Geschlechter-Gerechtigkeit: "Männer hatten mehr Chancen"

Die Grünen in Niedersachsen wollen mehr Frauen im Lehrplan für Geschichte. Am heutigen Mittwoch debattiert der Landtag in Hannover über den Antrag.

Klassisch, aber nicht die einzige Frau von historischer Bedeutung: Kleopatra Bild: dpa

taz: Herr Sauer, einem Antrag der Grünen zufolge gibt es zu wenig Frauen in niedersächsischen Geschichtsbüchern. Stimmt das?

Michael Sauer: Das ist eine Argumentationsweise, die typisch für die 1980er Jahre war. Großen Männern in der Geschichte wollte man große Frauen entgegensetzen - das ist kompensatorische Frauengeschichte. Ich bin skeptisch, ob es sinnvoll ist, auf dieser stark personalisierten Ebene Geschichte zu betrachten.

Kritiker behaupten, es gab keine großen Frauen.

ist Professor für Geschichtsdidaktik in Göttingen und Mitherausgeber von "Geschichte lernen"

Diese Kritiker haben natürlich insofern Recht, als Männer viel mehr Chancen hatten als historisch Handelnde in Erscheinung zu treten. Es wurden aber im Zuge dieser Diskussion Frauen neu entdeckt, zum Beispiel Olympe de Gouges, eine "Säulenheilige" der Frauengeschichte in Bezug auf die Französische Revolution. Und es ist richtig, dass sie im Unterricht vorkommen soll.

Würde eine Frauenquote dabei helfen?

Hier muss man aufpassen. Ich kenne das aus Schulbuchdiskussionen. Da kommt es vor, dass man sagt: "Jetzt haben wir in dem Kapitel überhaupt keine Frau, und wen können wir da jetzt nehmen." Das ist der falsche Ansatz. Es müssen wirklich Personen sein, die sich anbieten.

Welche Kriterien müssen diese Personen erfüllen?

Das können große Einzel- und Ausnahmepersönlichkeiten sein, also Herrscherinnen wie Maria Theresia oder Katharina die Große. Wichtiger sind Personen, die bestimmte Ideen und Bewegungen verkörpern. Zum Beispiel Louise Otto Peters oder Getrud Bäumer, die für Emanzipationsbewegungen im 19. Jahrhundert stehen. Oder im politischen Bereich Clara Zetkin. Die sind natürlich interessanter, weil sie säkulare Veränderungsprozesse verkörpern.

Glauben Sie, dass das Selbstverständnis von Schülerinnen unter einem Mangel an weiblichen Vorbildern leidet?

Ich bin da eher skeptisch. Das würde bedeuten, dass Geschichte ein Fundus an Identifikationsvorlagen ist. Das ist eine kurzschlüssige Betrachtungsweise. Wir wissen noch ziemlich wenig darüber, welche psychischen Prozesse beim Geschichtslernen eigentlich stattfinden. Wenn es solche Identifikationsprozesse gibt, dann eher über andere Darbietungsweisen von Geschichte, beispielsweise über Literatur.

Gab es in DDR-Geschichtsbüchern eine Frauenquote?

Nein, die gab es nicht. Man hatte ganz klar definiert, was Fortschritt ist, und wer auf der Seite dieses Fortschrittes stand, der wurde dort genannt. Das waren natürlich auch Frauen, die parteipolitisch engagiert waren. Aber es ging nicht um die Frauen an sich.

Welche Frauen dürfen im Lehrbuch nicht fehlen?

Ich glaube, dass die meisten wichtigen Namen zumindest in den Geschichtsbüchern vorkommen. Im Kerncurriculum nicht unbedingt. Das ist dort ein sehr viel reduzierterer Bestand. Ein Problem ist, dass viele Frauen sozusagen als Frauen von Männern in Erscheinung treten.

Ein Beispiel?

Katharina von Bora. Die stünde natürlich nicht im Schulbuch, wenn sie nicht die Frau von Luther gewesen wäre. Da müsste man genauer gucken, wo Frauen eigentlich nur so mitgenannt werden.

Was denken Sie über die Vorschläge der Grünen: Olympe de Gouges, Hannah Arendt, Maria Montessori?

Olympe des Gouges kommt heute in jedem Schulbuch vor, Arendt und Montessori eher nicht. Das sind alles Personen, die in bestimmten Kontexten tätig waren. Also Maria Montessori als Reformpädagogin, die bis heute wirksam ist. Man muss aber fragen, welche Rolle Erziehung überhaupt im Geschichtsbuch spielt. Nur dann könnte sie als Protagonistin in diesem Bereich in Erscheinung treten. Es ist verfehlt, mit einer lexikalischen Zugangsweise an die Problematik heranzugehen. Nach dem Motto: Große Frauen, die im Lexikon stehen, müssen auch im Schulbuch vorkommen.

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