Diskussion der Woche: Wird der Profifußball jetzt menschlicher?

Kann sich ein Land verändern, weil ein Fußballtorwart stirbt? Soll Enkes Tod als Einzelschicksal betrachtet werden? Sollen Fußballer echte Gefühle zeigen? Ein Pro und Kontra.

35.000 Menschen ziehen durch Hannover und trauern kollektiv. Bild: dpa

Pro: Ein Mensch will nicht mehr leben. Ein als kalter Geschäftsmann verschriener Sportmanager weint. 35.000 Menschen ziehen durch Hannover und trauern kollektiv. Ein ganzes Land beginnt, über die Krankheit Depression zu diskutieren. Die Diskurse, die in elitären Zirkeln schon lange geführt werden, finden mit einem Mal breites Interesse. Kann sich ein Land verändern, weil ein Fußballtorwart stirbt?

Die Reaktionen auf den Tod von Robert Enke zeigen nicht zum ersten Mal die gesellschaftliche Relevanz des Fußballs. Er ist schon lange mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung für spinnerte Männer, die dämliche Kappen tragen und in der Kurve primitive Slogans brüllen. Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußballbundes, ist sich der Bedeutung seines Sports bewusst. Er hat beinahe so etwas wie ein gesellschaftspolitisches Sendungsbewusstsein entwickelt. Offen spricht er über den Rechtsradikalismus, den er endlich aus den Kurven vertreiben will. Wenn er über die Integration von Migranten redet, geht es ihm um mehr, als einen deutschtürkischen Superfußballer wie Mesut Özil für die Nationalmannschaft zu werben. Und wenn der Spieler Philipp Lahm wegen ein paar kritischer Äußerungen über den FC Bayern von seinem Klub bestraft wird, entbrennt eine Debatte über mündige Arbeitnehmer in der modernen Arbeitsgesellschaft. Der Fußball ist ein wahrer Diskursmotor.

Nun wird das Thema Depression durch die Medien gejagt. Die Gesellschaft denkt darüber nach, warum es so lange ein Tabu war. Sie wird sich darüber verändern, genauso wie sich der Fußball verändern wird.

Natürlich ist der Profisport keine Liebeleutewelt. Mit sozialem Gewissen gewinnt man keine Titel. Und doch bahnt sich etwas an, was gerade noch unmöglich schien: dass Spieler echte - und auch negative - Gefühle zeigen. Wenn einer wie Kevin Kuranji, der aus Frust über eine Nichtnominierung einfach abgehauen ist aus dem Kreis der Nationalmannschaft, weil er sich gekränkt fühlte, nicht mehr behandelt würde wie ein Hochverräter, dann hätte sich schon etwas getan.

Kontra: Die Zeit der Sonntagsredner ist angebrochen. Das "System" habe den Torwart Robert Enke ruiniert, sagen sie. Und wenn man dieses System, das einen unmenschlichen Druck ausübe, nicht schnellstens umkrempele, dann stehe Schlimmes zu befürchten: der Untergang des abendländischen Ballbetriebs. Man wird Enke aber nicht gerecht, wenn man ihn als Opfer gnadenloser Mächte darstellt. Sein Fall ist einzeln zu betrachten, und Selbsttötungen haben viele Ursachen.

Es stimmt schon, dass Spitzenkickern einiges zugemutet wird. Ein Normalbürger kann die heftigen Belastungen kaum ermessen. Das System aber, das nun angeblich zur Disposition steht, hat seine Stars ganz gut auf die zu überstehenden Garstigkeiten vorbereitet: Die jungen Fußballer bekommen Unterstützung von Karriereberatern, Spielervermittlern, Sportpsychologen und Trainern. Die Coaches sorgen sich um den Reifeprozess ihrer Schützlinge und organisieren auch schon mal ein Studium generale. Rundumsorglospakte werden geschnürt. Fußballer, auch solche mit Problemen, finden Hilfe - wenn sie denn wollen.

Es ist schlicht nicht so, dass es reihenweise labile Fußballer zu therapieren gäbe, Leidgeprüfte, die sich nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wer heutzutage aufsteigt in der Szene, der zeichnet sich durch psychische Stabilität aus. Wer es nicht erträgt, in seiner Jugend von zwanzig Fans ausgepfiffen zu werden und auf dem Höhepunkt seiner Karriere von 40.000, der hat es schwer.

Sicher, es geht den Klubs immer darum, das Optimum aus dem hochbegabten Angestellten herauszukitzeln; es handelt sich schließlich nicht um die humanistische Liga, sondern die Bundesliga. Die Investition in Beine, wie es in der Managersprache heißt, muss sich später rentieren. Es ist das alte kapitalistische Spiel.

Es wäre doch sehr verwunderlich, wenn gerade der Deutsche Fußball-Bund und die Bundesliga den Kapitalismus abschaffen wollten. Nein, sie wollen mit ihren Sonntagsreden auch hier nur wieder - das System optimieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.