Neues Video belastet Beamten: Mal eben weggeschaut

Offenbar haben Einsatzkräfte absichtlich eine Dokumentation des Übergriffs auf die "Freiheit statt Angst"-Demonstration in Berlin verhindert.

Ein Ausschnitt von der Video-Zusammenstellung des Chaos Computer Clubs. Bild: screenshot ftp.ccc.de

BERLIN taz | Wie neue Videos zu dem Polizeiübergriff bei der "Freiheit statt Angst"-Demonstration im September in Berlin zeigen, haben die filmenden Beamten bei dem Vorfall offenbar weggeschaut. In einer Zusammenstellung, die am Freitagnachmittag vom Chaos Computer Club veröffentlicht wurde, sind zum ersten Mal auch Teile von zwei Polizeivideos zu sehen. "Die Bänder belegen, dass die Videobeamten offensichtlich gezielt die Kameras von der Gewalthandlung weggehalten haben", sagt Anwalt Johannes Eisenberg, Strafverteidiger des 37-jährigen H., der seinerzeit von Polizisten niedergeschlagen wurde. Eisenberg hat sechs verschiedene Videos professionell synchronisieren lassen; vier stammen von Demonstranten, zwei von der Polizei. Sie wurden so nebeneinandergestellt, dass sie das Geschehen gleichzeitig aus verschiedenen Perspektiven zeigen.

Das aussagekräftigste der Videos wurde schon am Abend der Bürgerrechtsdemonstration bekannt und löste eine bundesweite Debatte über Polizeigewalt aus. Man sieht darauf H., wie er zunächst mit einem Polizisten spricht und sich etwas notiert, weggeschickt wird und geht, aber nach wenigen Schritten von einem Beamten gepackt und dann von einem anderen mehrmals ins Gesicht geschlagen wird. Nach der Veröffentlichung der Aufnahmen kritisierten die Demonstrationsveranstalter und Politiker von Grünen, Linken und FDP den Einsatz. Gegen zwei Beamte wird ermittelt.

Bei seiner Erklärung im Berliner Innenausschuss sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch Ende September, das aufgenommene Videomaterial der Polizei liefere keine weiteren Erkenntnisse. Wie die Bänder nun zeigen, stimmt das in einem Punkt: Der konkrete Vorfall ist auf keinem der Videos zu sehen. Aber gerade das findet Anwalt Eisenberg bedenklich. Denn zumindest eine der beiden Aufnahmen wirkt, als vermeide der Polizist absichtlich, das Geschehen zu filmen.

In der Zusammenstellung der Videos sind Polizei- und Demonstrantenband nebeneinandergestellt. Minute 3:21 ist der Moment des Übergriffs. Auf dem Polizeivideo hört man im Hintergrund die ersten erschrockenen Rufe. Die Polizisten direkt vor der Kamera drehen sich in Richtung des Tumults um und laufen eilig links aus dem Bild zu dem Geschehen, das sich offenbar wenige Meter entfernt abspielt. Auch die Demonstranten kommen heran. Doch statt der Bewegungsrichtung zu folgen, dreht sich die Kamera nach rechts, also vom Tumult weg, und filmt die Gesichter der Demonstranten.

Eisenberg hat nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den filmenden Beamten eingereicht. Frank Millert, Sprecher der Berliner Polizei, erklärte gegenüber der taz: "Behördliche Anweisungen, bestimmte Situationen wie etwa Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei oder Festnahmen gerade nicht zu filmen, gibt es nicht." Sie hätten den Auftrag, gerade "in Brennpunktbereichen eine möglichst lückenlose Bild-, Video- und Tondokumentation zu gewährleisten".

Für den angegriffenen H. ist das Material noch aus anderen Gründen wichtig: Weil ein Band über längere Zeit durchgängig das Geschehen filmt, lassen sich anhand dessen die Amateurvideos in eine genaue zeitliche Folge bringen. Die Polizei hatte die Videos als lückenhaft kritisiert. Außerdem interpretiert Eisenberg eine Stelle, auf der man die Polizisten von Weitem sieht, wie sie sich offenbar etwas zurufen und in eine Richtung zeigen, als eine Verabredung zum Angriff. Das Material bekam Rechtsanwalt Eisenberg im Zuge eines Verwaltungsstreitverfahrens.

Dass die neuen Aufnahmen lange vor der bekannten Sequenz beginnen, ist insofern wichtig, als die Polizei angekündigt hat, selbst Anzeige gegen H. zu erstatten. Sie wirft ihm vor, vor dem Vorfall gestört und sich der Polizei widersetzt zu haben. Ganz ausschließen lässt sich das anhand der Videos nicht - aber auch in keinem Punkt belegen.

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