Durchbruch für Lissabon-Vertrag: Eine Klausel für Klaus

Auf dem EU-Gipfel akzeptieren die Staats- und Regierungschefs die Forderung Tschechiens, aus der Grundrechte-Charta auszusteigen. Uneinigkeit herrscht bei der Finanzierung des Klimaschutzes.

Der schwedische EU-Ratspräsident Fredrik Reinfeldt erkärt dem Journalistenpulk, dass das mit einer gemeinsamen Klimaschutz-Strategie nicht sehr weit her ist. Bild: rtr

BRÜSSEL ap | Der EU-Gipfel hat die letzte politische Hürde vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages aus dem Weg geräumt: Die 27 Staats- und Regierungschefs akzeptierten die Forderung Tschechiens, von der Grundrechte-Charta des Vertrages ausgenommen zu werden.

Tschechien solle wie bereits Großbritannien und Polen per Protokoll ein Ausstiegsrecht aus der Grundrechte-Charta zugesichert werden, erklärte Schwedens Premier Fredrik Reinfeldt am späten Donnerstagabend. Dies hatte der tschechische Präsident Vaclav Klaus zur Bedingung für seine Unterschrift gemacht, um etwaige Regressforderungen von nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Sudetendeutschen auszuschließen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach auf der Abschlusskonferenz von einem "Marathonlauf mit Hürden. Die letzte politische Hürde haben wir heute ausgeräumt". Allerdings gibt es noch eine juristische: Das Verfassungsgericht in Brünn muss in der kommenden Woche noch entscheiden, ob der Lissabon-Vertrag verfassungskonform ist.

Nach dem Zugeständnis des EU-Gipfels an Tschechien ist ein Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages in greifbare Nähe gerückt. Der Reformvertrag, über den jahrelang verhandelt wurde, soll die EU demokratischer und effizienter machen. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

EU-RATSPRÄSIDENT UND "AUßENMINISTER" Die EU soll besser sichtbare "Köpfe" erhalten. Die Geschäfte soll ein Ratspräsident leiten, dessen Amtszeit zweieinhalb Jahre statt wie bisher sechs Monate beträgt. Als eine Art Außenminister fungiert der Hohe Repräsentant für Außen- und Sicherheitspolitik. Er erhält einen eigenen diplomatischen Dienst.

MEHRHEITSENTSCHEIDUNGEN EU-Beschlüsse werden erleichtert, indem vor allem bei der polizeilichen und Justiz-Zusammenarbeit der Zwang zur Einstimmigkeit wegfällt. In sensiblen Gebieten wie der Außen-, Steuer- und Sozialpolitik müssen weiter alle Mitgliedsländer zustimmen.

STIMMRECHTE Bei Abstimmungen in der EU gilt ab 2014 mit einer Übergangsfrist bis 2017 das Prinzip der "doppelten Mehrheit". Danach erfordern EU-Beschlüsse im Ministerrat eine Mehrheit von 55 Prozent der Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung auf sich vereinen. Deutschland gewinnt damit gegenüber Ländern wie Polen und Spanien an Gewicht.

PARLAMENTSMITSPRACHE Das Europaparlament erhält erstmals ein Mitspracherecht in den wichtigen Fragen der Justizzusammenarbeit, der inneren Sicherheit und der illegalen Einwanderung. Die Zahl der Parlamentssitze wird von derzeit 785 auf 751 verringert. Deutschland stellt nur noch 96 statt bisher 99 Abgeordnete. Die EU-Kommission muss ihre Gesetzesvorschläge überprüfen, wenn dies mehr als die Hälfte der nationalen Parlamente verlangt.

BÜRGERRECHTE Der Vertrag macht die Grundrechtecharta rechtsverbindlich, die alle europäischen Bürgerrechte festschreibt. Mit einer Million Unterschriften können Bürgerinitiativen künftig die EU-Kommission auffordern, Gesetzesvorschläge zu machen.

AUSTRITT Der Vertrag sieht erstmals die Möglichkeit eines Austritts aus der EU vor. (afp)

Wer der erste Präsident der reformierten EU wird, darum wurde in Brüssel weiter heftig gerungen. Der britische Expremierminister Tony Blair schied aus dem Rennen aus, weil ihn die Sozialisten nicht unterstützen. Sie wollen lieber den Posten des einflussreichen künftigen "EU-Außenministers" besetzen und verweigern Blair deshalb die Gefolgschaft. Zu den am häufigsten genannten Namen für den Job gehörten am Donnerstag Österreichs Exbundeskanzler Wolfgang Schüssel, der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende, der belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt und der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker.

Das dominierende Thema des zweiten Gipfeltages wird die Finanzierung des Klimaschutzes sein. Am Donnerstag habe man sich mit dem Ziel auf einen konkreten Finanzbeitrag Europas für die armen Staaten noch nicht durchsetzen können, sagte Reinfeldt. Besonders Deutschland und Frankreich lehnen es ab, vor der Kopenhagener Weltklimakonferenz eine Summe auf den Tisch zu legen, wenn die USA und China nicht mitziehen.

Nach Einschätzung der EU-Kommission muss Europa in Kopenhagen bis zu 15 Milliarden Euro jährlich anbieten. Der britische Premierminister Gordon Brown forderte am Donnerstag sogar einen Jahresbetrag von 30 bis 40 Milliarden Euro ab 2020.

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