Bundeswehr wirbt Schüler: Sport, Spaß und Afghanistan

Die Bundeswehr hat ihre Rekrutierungsarbeit unter Jugendlichen professionalisiert und massiv ausgebaut. Die Minderjährigen werden vom Schulhof weggeworben - mit der Aussicht auf Action.

Wenn Schüler mit Action und Karriere geworben werden, geraten die psychischen und körperlichen Gefahren schnell in der Hintergrund. Bild: ap

Die Pause hat gerade begonnen. Hunderte Schüler stehen zwischen den drei grauen Betonklötzen des Berufsschulzentrums im thüringischen Eisenach. Viele rauchen auf dem verwahrlosten Pausenhof, einige sitzen auf Treppenstufen und lehnen sich an die verrosteten Geländer. In den vergangenen dreißig Jahren hat sich hier kaum etwas getan. Reinste Tristesse.

Gestört wird das Bild an diesem Vormittag durch einen riesigen blauen Fremdkörper, der am Rande des Schulhofes steht. Der glänzende Truck passt so gar nicht in die Umgebung, viel zu modern und verheißungsvoll sieht er aus. Er gehört der Bundeswehr. Deren "Schultour" macht heute in Eisenach Halt.

Es ist eine befremdliche Vorstellung: Die Bundeswehr wirbt ihren Nachwuchs direkt auf dem Schulhof. Ohne Einwilligung von Eltern oder Jugendlichen, nur der Schulleiter muss zustimmen und schon rückt die Bundeswehr an. Der Truck tourt durch vier Thüringer Schulen. Etwa 500 SchülerInnen werden in dieser Zeit so erreicht.

Sie sollen über Karrieremöglichkeiten bei Heer, Marine und Luftwaffe informiert werden. Im 45-Minuten-Takt nehmen Klassen im hochmodern ausgestatteten Truck Platz, der reguläre Unterricht fällt für sie aus. Eine Altersgrenze gibt es nicht - auch 15-Jährige dürfen in den Truck. Ihnen wird auch erzählt, wie viel Geld sie verdienen können. Bei einigen wirkt das: "Wenn mich meine Firma nicht übernimmt, überlege ich mir das mit der langjährigen Verpflichtung", sagt etwa Daniel Weißbrot. Der 20-Jährige macht gerade eine Ausbildung zum Mechatroniker. "Das Geld reizt auf jeden Fall."

Die Bundeswehr ist auf Nachwuchssuche. Etwa 20.000 junge Männer und Frauen benötigt das Militär jährlich. Um den Bedarf zu decken, hat die Bundeswehr in den vergangenen Jahren etliche neue Strategien entwickelt, um Jugendliche zu ködern. Sportveranstaltungen, Messeauftritte, Karrieretouren, ein Internetauftritt gezielt für junge Leute sowie Werbeanzeigen in Jugendmedien. Eine professionelle PR-Maschinerie zur Nachwuchsrekrutierung.

Ines Buchwald ist 27 Jahre und Oberleutnant. Ihr schwarzes langes Haar hat sie zum Zopf gebunden, sie ist dezent geschminkt und trägt ein hellblaues Hemd und eine dunkle Hose. "Ich war eine der ersten Frauen, die eine Offizierslaufbahn eingeschlagen hat", sagt sie stolz. Ihre Stimme klingt dabei deutlich sanfter als wenige Minuten zuvor. Da hat sie vor einer Schülergruppe über die Vorteile des Soldatenberufs gesprochen.

Für zwölf Jahre hat sich Buchwald nach dem Abitur verpflichtet. Jetzt ist sie Wehrdienstberaterin im südthüringischen Suhl. "Bei den Schultouren kommt es mir darauf an, kein einseitiges Bild der Bundeswehr zu vermitteln, das könnte ich mit meinem Gewissen gar nicht vereinbaren", sagt sie. Buchwald steht hinter einem Tresen im Bundeswehr-Truck, vor ihr fünfzehn Jungen und Mädchen samt Lehrkraft. "Was, glaubt ihr, sind die wichtigsten Aufgaben der Bundeswehr", fragt Buchwald die 16- bis 17-Jährigen. "Katastrophenschutz", sagt Sven, "Verteidigung im Kriegsfall", tippt Luise. Eine interessante Reihenfolge.

In ihrem Vortrag informiert sie über Musterung und Karrierechancen, zeigt einen actiongeladenen Kurzfilm, der die verschiedenen Einsatzfelder der Bundeswehr verdeutlicht, spricht aber auch die Gefahren von Auslandseinsätzen an. Es gebe immer das Risiko der körperlichen oder psychischen Verwundung.

"Ginge es nach mir, würde ich nur vor volljährigen Jugendlichen sprechen", sagt Buchwald in einer Pause. Aber die Schulen wählten die Klassen aus. Fragt man sie, ob sie die Bundeswehr für einen ganz normalen Arbeitgeber halte, verneint sie. "Soldat ist natürlich ein Risikoberuf, das will ich deutlich machen", erklärt Buchwald.

Von offizieller Seite hört man anderes: "Die Bundeswehr ist ein ganz normaler Arbeitgeber. Wir wollen den Jugendlichen, die sich in der Berufsfindungsphase befinden, zeigen, was für Chancen sie bei uns haben", erklärt Bundeswehr-Pressesprecher Gerhard Horstmann das Anliegen der Schultouren.

Kritiker werfen der Bundeswehr vor, mit ihren Maßnahmen zur Personalwerbung ein verzerrtes Bild zu präsentieren. "Die Bundeswehr kann kein normaler Arbeitgeber sein, weil ein normaler Arbeitgeber von seinen Beschäftigten nie verlangen würde, auf Kommando zu töten oder sich selbst in akute Lebensgefahr zu bringen", sagt etwa Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag.

Dabei gibt sich die Bundeswehr alle Mühe, als normaler Arbeitgeber zu wirken, und hat in den vergangenen Jahren ihre Rekrutierungsarbeit professionalisiert. Seit 2006 gibt es das "Zentrale Messe- und Eventmarketing Bundeswehr" (ZeMEMBw), das so genannte KarriereTreffs durchführt. Drei Trucks fahren dabei durch die Republik und gastieren meist zwei bis vier Tage auf zentralen Plätzen deutscher Städte. Kinovorführungen, Ausstellungen und Vorträge, Kletterwand und Flug- und Fahrsimulatoren sollen die Menschen anziehen. Etwa 80 Mal gibt es solche KarriereTreffs in diesem Jahr. Rund 2,6 Millionen Euro kostet das, 10 Prozent mehr als 2008.

Die Werbemaßnahmen der Bundeswehr wurden in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut. Allein bei den Karrieretouren wurden 2008 fast 40.000 "Kontakte" geknüpft, doppelt so viele wie ein Jahr zuvor. Wie viele SchülerInnen im Rahmen der Schultouren erreicht werden, wird offiziell nicht erfasst. Schätzungen gehen von 50.000 aus.

Problematischer als die Schul- und Karrieretouren sind von der Bundeswehr organisierte Teamsport-Events wie das "BW-Beachen". Zum dritten Mal haben sich daran über 1.200 Jugendlichen aus ganz Deutschland beteiligt. Voraussetzung für die Teilnahme: Die Jungen und Mädchen müssen zwischen 16 und 18 Jahre alt sein - also im besten Rekrutierungsalter - und die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

Besonders perfide wirbt die Bundeswehr für die "Bundeswehr Adventure Games" (BAG), die seit 2007 mal auf Sardinien, mal in Oberbayern stattfinden. Mit dem Kooperationspartner bravo.de, dem Internetportal von Deutschlands größtem Jugendmagazin, macht die Bundeswehr auf die BAG aufmerksam und verlost die Teilnahme am "Ausbildungscamp für Einzelkämpfer". Dabei setzt sie voll auf Action, Sport, Spaß und Spannung. "Liebst du das Abenteuer? Bist du topfit? Dann solltest du dich schnell bewerben", heißt es in der nur undeutlich als Anzeige gekennzeichneten Werbung auf der Website.

"Es ist verwerflich, dass die Bundeswehr ungehindert Minderjährige mit Sport, Spaß und Technik ködert", kritisiert Linksparteipolitikerin Ulla Jelpke. Den Jugendlichen werde suggeriert, die Bundeswehr mache Lust und Laune. "Aber es geht ums Töten", so Jelpke.

Auch Michael von Schulze Glaeßer, Politikstudent aus Münster, wirft der Bundeswehr vor, Jugendliche mit unlauteren Mitteln zu ködern. "Die umwerben ja selbst 11-jährige Mädchen, etwa beim GirlsDay", sagt der 22-Jährige. Er hat für die Informationsstelle Militarisierung (IMI) eine umfangreiche Studie zu Rekrutierungsmaßnahmen der Bundeswehr geschrieben. Bei Karrieretouren würden auch 9-jährige Jungs in einen Panzer gesetzt. "Die Kinder lassen sich von Technik begeistern, sind unreflektiert. Das nutzt die Bundeswehr gezielt aus."

Neben der Rekrutierung junger SoldatInnen wolle die Bundeswehr öffentlich Präsenz zeigen, so der 22-Jährige. "Wenn sich das Militär in den Köpfen junger Menschen ein positives Bild schafft, dann werden die Wähler von morgen die Bundeswehr positiv sehen, ebenso wie ihre Einsätze im In- und Ausland", befürchtet von Schulze Glaeßer.

Mit 17 kann man sich in Deutschland bereits verpflichten - mit Einwilligung der Eltern. Das ist heftig umstritten. Nach Angaben des Child Soldiers Global Reports 2008 ist Deutschland eines von weltweit nur 26 Ländern, die Minderjährige für den Armeedienst rekrutieren. Das tun sonst Länder wie Somalia, Birma, aber auch die USA und Großbritannien. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das scharf.

Die Bundeswehr selbst weicht bei konkreten Nachfragen zu allen Kritikpunkten aus. "Es bestehen von unserer Seite aus keine Bedenken hinsichtlich der genutzten Kontaktkanäle oder der Angebote an Schulen", so die schriftliche Antwort. Mit dem speziellen Jugendmarketing wie BW-Beachen oder den BAG werde in der Phase der Berufsfindung die Aufmerksamkeit auf die Bundeswehr gelenkt. Es würden "Brücken gebaut" und "Vorurteile abgebaut", heißt es lapidar.

Immerhin: Das mit dem Brückenbauen funktioniert nicht immer. Bei der Schultour in Eisenach bleiben viele SchülerInnen trotz des Einsatzes der Wehrbeauftragten Ines Buchwald skeptisch. "Das war eine reine Werbeveranstaltung. Ich gehe da nicht hin", sagt Martin Griebel, als er nach 40 Minuten aus dem blauglänzenden Truck steigt. "Krass" sei es, dass die Bundeswehr um ihn und seine 16-jährigen MitschülerInnen werbe. "Wir sind doch viel zu jung dafür." Er wird Zivildienst machen, da ist er sich spätestens jetzt sicher.

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