Die taz-Autoren stellen sich vor (II): Vorurteile sind nicht so schlimm

Früher war er ein treuer Leser offizieller chinesischer Publikationen, heute bildet er seine Meinung mittels westlicher Websites. Unser Autor Chen Mengcang erzählt.

Fremde Zeichen: Ein Arbeiter fixiert am Montag auf der Buchmesse in Frankfurt am Main eine Platte mit chinesischen Schriftzeichen. Bild: dpa

Als Oberschüler war ich ein treuer Leser von “Global Times”, einer offiziellen chinesischen Tageszeitung. Damals war das Internet noch nicht so verbreitet wie heute, außerdem konnte ich noch keine Fremdsprachen. Für mich war die “Global Times” eine Zeitung von verhältnismäßig hohem Niveau, und man konnte sie am Kiosk kaufen.

Als ich dann 1999 mit dem Studium begann, war ich wohl auch Nationalist. Ich hasste die Japaner, weil sie im Zweiten Weltkrieg Verbrechen an Chinesen begangen hatten. Und ich glaubte allen Berichten, die behaupteten, dass wir Chinesen in der ganzen Welt feindselig behandelt würden. Natürlich erlebte auch ich, wie das Land Tag für Tag stärker wurde.

Das China von 1999 war eine komische Mischung. Es fühlte sich minderwertig und gab sich trotzdem selbstbewusst. Manche von meinen Freunden konnten sich bereits Reisen oder gar ein Auslandsstudium leisten. Wir verehrten die westlichen Labels, glaubten aber gleichzeitig, dass viele Westler noch immer darauf hofften, China niederzuringen. Dabei konnten uns selbst die offiziellen Medien nicht erklären, warum die einzelnen Bevölkerungen jeweils sehr freundlich auf China reagierten, hingegen die Politiker die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern mutwillig zerstören wollten.

Die Zeit vergeht, und ich kann allmählich alles im Internet lesen und spreche Englisch. Und ich habe festgestellt, dass “Global Times” eine vollkommen unqualifizierte Zeitung ist.

Für mich war das eine revolutionäre Entdeckung. Danach habe ich keiner einzigen chinesischen Publikation mehr geglaubt. Ich versuche stattdessen, mir die Welt mit der Hilfe der westlichen Medien zu erklären. Sogar in Bezug auf mein eigenes Land habe ich in den ausländischen Medien Chinesen aus “Fleisch und Blut “ gefunden. Was sie sagten und machten, das war meiner eigenen Welt viel näher.

Glücklicherweise hat das Internet China in nur zehn Jahren sehr verändert. Mehr und mehr junge Chinesen verlassen sich nicht mehr auf die offiziellen Medien. Sie haben sich daran gewöhnt, selbst im Internet nach Informationen und Zusammenhängen zu suchen. Mithilfe von Google Language übersetzen sie sich etwa französische Texte in Englische und versuchen sie, über diesen Umweg zu dechiffrieren. Es gibt inzwischen auch viele AGs, die sich zusammentun, um ausländische Filme und Fernsehserien zu übersetzen.

Erst neulich stieß ich im chinesischen Web auf einen Streit, der tiefen Eindruck auf mich gemacht hat. Ein Chinese kritisierte in einem langen Text die angeblich enorme Anzahl an Fehlern, die sich in CNN-Berichten über China fänden. Ein anderer Chinese regte sich umgehend über diese Statement auf und fragte zurück: “Die meisten Chinesen können CNN nicht mal empfangen, woher können sie wissen, dass deren Berichte zum großen Teil falsch sind?”

Nach meinen Erfahrungen mit CNN-Berichten lässt sich natürlich nicht leugnen, dass der Sender gegenüber China Vorurteile hat. Aber Vorurteile sind nicht schlimm. Schlimm ist, wenn es keine pluralistischen Töne gibt. Das ist auch ein Grund, warum ich nach Deutschland gekommen bin.

Auf dem inzwischen ja wohl international berühmten Symposium im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse verließ die chinesische Delegation aufgrund der Anwesenheit einiger chinesischer Dissidenten den Raum. Im Anschluss an diesen Eklat begannen sich die deutschen Medien und Zeitungen wie “Global Times” (Huanqiu Shibao) gegenseitig Vorwürfe zu machen. Leider kratzten diese Vorwürfe nur an der Oberfläche, und oft waren so gar nicht wahr.

China und Deutschland und ebenso wie die ganze westliche Welt gehören zwei komplett unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Systemen an. In vielen Fragen überwiegen die unterschiedliche Ansichten, etwa wenn es um freie Wahlen, Menschenrechte und ähnliches geht, an welche die westliche Welt gewohnt ist. Viele Chinesen können diese Konzepte noch nicht wirklich begreifen. Die Buchmesse, so glaube ich, bietet die Möglichkeit, den einen oder anderen Grabenkampf überflüssig zu machen. Sie ist ein nützlicher Versuch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.