Sonntaz-Tour in Kevelaer: Im Epizentrum der Marienverehrung

Wie die Wirklichkeit jenseits der Politwelt aussieht? Im Westen in Kevelaer, der zweiten Station der Vorwahltour, trifft man auf Zerstörung und Glück.

KEVELAER taz | In Kevelaer läuten die Kirchturmglocken oft. Öfter als in anderen katholischen Ortschaften im Westen. Denn "Kevelaer ist eine heilige Stadt." Der dies sagt, ist Dönerladen-Besitzer, kurdische Herkunft, deutscher Pass. Sein Lokal liegt in der Nähe des Kapellenplatzes - dem Zentrum der religiösen Einkehr. Das Heilige, das ihn so anspricht: "Dass die Leute gut sind." Fast eine Millionen Pilgerinnen und Pilger kommen im Jahr hierher, um Maria zu verehren. "Kevelaer ist die guteste Stadt", sagt er.

Die Kleinstadt, zweite Station einer Tour in alle vier Himmelsrichtungen, bei der bundesrepublikanische Befindlichkeit kurz vor der Wahl erkundet werden sollen, liegt im Westen. Ein Wallfahrtsort, die Branche, die die Wirtschaft ankurbelt, liegt im Dienstleistungsbereich der Seele. Einigermaßen krisensicher ist sie. Der Dönerladen-Besitzer jedenfalls ist gerade mit Frau und Kindern in eine größere Wohnung gezogen. Obwohl er, bei aller Krisensicherheit, zum wiederholten Male auf die Kirchturmuhr schaut. Eine Stunde noch, dann ist es 23 Uhr. Dann kann er zumachen - nach dreizehn Stunden Arbeit.

Um eine Kapelle gruppiert sich die Stadt an der niederländischen Grenze. Im Altar ist die Kevelaer Madonna. Mitte des 17. Jahrhunderts hatte ein Kaufmann Marienerscheinungen. Ihm wurde eingegeben, dass er die Kapelle bauen soll. Damit begann die Wallfahrt, die von den wechselnden Herrschern nicht immer erlaubt war.

Heute stehen mehrere Kirchen rund um die Kapelle. Sie bilden den ersten Kreis um das Epizentrum der Marienverehrung. Hier finden die Messen statt, die, lauscht man ihnen öfter, schnell Fließbandcharakter erhalten. Den nächsten Kreis bilden Cafés, Eisdielen und Läden mit Kerzen, Rosenkränzen, Kreuzen. Darum gruppieren sich die Schuhhäuser, Bekleidungsläden und Apotheken. Je weiter entfernt von der Kapelle, desto normaler das Stadtbild. Eine auf und ab gehende junge Frau unter der Straßenlaterne inbegriffen.

Freundlich, aber wortkarg sind die Leute am Niederrhein, selbst dort, wo die Stadt mit ihren Backsteinhäusern und Vorgärten, ihren Billigmärkten und Bahnhofsvorplätzen nicht von anderen Orten in der Gegend zu unterscheiden ist. Die Verkäuferinnen, grauhaarigen Cafégänger oder androgynen Motorradfahrerinnen wollen auf die Frage, was sie politisch bewegt so kurz vor der Wahl, nicht antworten. "Damit kann ich nicht dienen."

Die Wortkargheit, die habe damit zu tun, dass eine solche Frage im Alltag der Kevelaer kaum vorkomme, meint die Inhaberin des Hotels zum Goldenen Löwen. Denn irgendwie wissen die meisten doch gut zu leben. Mit Häusern, Gärten, Autos.

Nachts, wenn die Wallfahrenden die Stadt wieder verlassen haben, verändert sich jedoch das Bild. Plötzlich sitzen Leute auf den Bänken am Kapellenplatz, denen kirchliche Fürbitten allein nicht helfen: Der Mann, dessen Frau totkrank ist und der sich betrinkt aus Verzweiflung. Frührentner bei Krupp war er und Vertrauensmann, Alkohol hat sein Leben, seine Liebe zerstört.

Und die Jungen, die trifft man auch auf den Bänken. Andere Orte gebe es nicht. "Man hängt in der Luft", sagt ein 18-Jähriger. "Nichtwähler". Gerade hat er eine Lehrstelle angefangen. "Glück gehabt." Ahmed, sein Kumpel, hat zuletzt CDU gewählt. Einer von denen habe ihn angequatscht und gesagt, er wolle was für Jugendliche tun. Die Aldi-Verkäuferin, die im Sonnenstudio noch einen 400-Euro-Job hat, weil sie sich sonst die Miete nicht zahlen kann, geht auch zur Wahl. Was sie ankreuzen soll, wird sie die Eltern fragen.

Bleibt der eben wiedergewählte Bürgermeister. Axel Stibi, CDU. "Meine Türen stehen immer offen", sagt er. Aber wie viele Hartz-IV-Empfänger oder wie viele Einwanderer in Kevelaer leben, weiß er nicht aus dem Stand. "Sie kommen hier rein und erwarten Antworten auf Fragen, die ich noch gar nicht kenne."

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