Die lange Nacht der Weltregierung

DIE LETZTEN STUNDEN Die Größe des Kopenhagener Gipfels wird nur übertroffen vom Ausmaß seines Scheiterns. Übrig bleiben Enttäuschung, Ärger und jede Menge wertloses bedrucktes Papier über ein Abkommen, das es nicht gibt

Noch nie haben sich so viele Regierungschefs so unwichtig gefühlt wie auf diesem gescheiterten Treffen

AUS KOPENHAGEN NADINE MICHEL UND RALPH BOLLMANN

Selten hat man den freundlichen Umweltminister so schimpfen gehört. Ein übermüdeter Norbert Röttgen steht am Samstag im Foyer des Hilton-Hotels, dem Quartier der deutschen Delegation. „Provokation, Unverschämtheit, Verantwortungslosigkeit“ lauten die Wörter, die er kurz vor dem Rückflug für das Verhalten der Verhandlungspartner bereithält. Gemeint sind vor allem die Chinesen.

Zu diesem Zeitpunkt hat Röttgen 50 Stunden ohne Schlaf hinter sich. Ununterbrochen haben die Minister und Chefunterhändler in dieser Zeit beraten, nur die Staats- und Regierungschefs selbst kamen für wenige Stunden ins Bett.

Abbautrupps ziehen bereits durch die Konferenzhallen, während UN-Generalsekretär Ban Ki Moon auf einer Pressekonferenz das fatale Ergebnis offiziell bekannt gibt. In der Haupthalle sind nur noch vereinzelt einige Plätze besetzt. Mit Ringen unter den Augen sitzen die letzten Journalisten vor den großen Bildschirmen. Ihre Blicke richten sich zwar auf Ban Ki Moon, doch sie scheinen seinen Worten nicht mehr zu folgen. Ihre Körper kämpfen mit der Müdigkeit, ihre Köpfe mit der Verarbeitung dessen, was gerade passiert ist.

Gegen halb elf Uhr am Samstagvormittag ist es dann Gewissheit: In Kopenhagen wird man kein Folgeabkommen für das Kioto-Protokolls unterzeichnen. Im Rückblick wird man den Gipfel von Kopenhagen nicht als Wendepunkt der internationalen Klimapolitik würdigen. Kopenhagen ist gescheitert.

Auf dem Weg zu den Delegationsbüros sind die Gänge schon menschenleer. Ein Mitglied der österreichischen Delegation ruft laut ins Telefon, der Bundeskanzler werde bis 19 Uhr über seine Rückreise entscheiden. Es spielt ohnehin keine Rolle. Wer ist schon Werner Faymann? Noch nie haben sich so viele Regierungschefs so unwichtig gefühlt wie auf diesem Treffen einer gescheiterten Weltregierung.

Bei den Deutschen hängen die letzten Überbleibsel des Klimakampfs jüngerer Generationen an der Tür. „Es ist Zeit zu handeln“ steht auf einem gelben Klebezettel. Neben den Kopierern liegen noch die Entwürfe für die „Vereinbarung von Kopenhagen“. Keiner interessiert sich mehr für sie. Für einen ehrgeizigen Kampf gegen den Klimawandel sind sie wertlos. In der Nacht zuvor waren sie noch heiß begehrt.

Es war die Nacht des Wartens. Hinter verschlossenen Türen soll der Deal ausgehandelt werden. Wie er wirklich aussehen könnte, weiß am Abend noch keiner.

Unzählige Gerüchte halten die Journalisten in Bewegung, alle hoffen auf den US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Gleich zweimal heißt es, er werde im großen Pressesaal gleich vor die Journalisten treten. Innerhalb weniger Minuten füllt sich der Raum, die Kameras richten sich auf das beleuchtete Podium.

Dann erscheint ein freundlicher Däne auf dem Podium. „Es ist schön, dass Sie so zahlreich gekommen sind“, sagt er. „Ich kann Ihnen leider keinen Kaffee anbieten, aber machen Sie es sich ruhig gemütlich.“ Die US-Delegation habe ihm bestätigt, dass eine Pressekonferenz mit Obama nie geplant war. Die enttäuschte Journalistenschar zieht ab.

Eine Stunde später wiederholt sich das Spiel. Wieder strömen Journalisten in den Saal, wieder zucken die Sicherheitsbeamten ratlos mit den Achseln auf die Frage, was hier vor sich gehe. Wieder kommt der Däne, wirft einen Blick in den Saal und fragt halb erheitert, halb genervt: „Schon wieder?“

Anschließend fahren die Journalisten auf der großen Rolltreppe nach oben, auf die Ebene, auf der das Plenum tagt. Zu sehen ist durch die Glastüren – nichts, außer den Kollegen von den Fernsehsendern, die ihre Aufsager für die weltweiten Abendnachrichten machen.

Inzwischen kursieren verschiedene Textentwürfe. An den Kopierern bilden sich lange Schlangen. Wie politisch verbindlich der Text ist, ob überhaupt echt oder nur ein Fake – keiner kann sich sicher sein. Doch jeder Happen an Information ist recht. Einige schreiben vom Durchbruch. Wer so lange auf ein Ergebnis wartet, wer zwei Wochen mitgefiebert hat und die letzten langen Verhandlungsstunden angespannt mitverfolgt, hat bei der kleinsten Bewegung das Gefühl, es sei etwas erreicht worden.

Als sich die Gemüter fast beruhigt haben, kommen die nächsten Informationen. Bundeskanzlerin Angela Merkel gebe eine Pressekonferenz, auch Vertreter der Europäischen Union würden vor die Medien gehen. In einem kleinen Raum warten die Journalisten, dicht gedrängt, diesmal auf EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Vergeblich.

Schließlich ist es Obama, der als Erster seine Stellungnahme abgibt.

Hatten zuvor einige noch von einem Durchbruch geschrieben, lassen Obamas Worte nur noch eine Interpretation zu: Das Scheitern ist offensichtlich. Gegen halb elf versammeln sich im Bella Center wieder alle vor den Bildschirmen. Wie schon zehn Stunden zuvor, als Obama seine Rede vor dem Plenum hielt, ohne konkrete Zusagen, aber mit viel Pathos: „Die Zeit für Worte ist vorbei.“

Die Worte, die der Präsident vor seiner Abreise direkt am Flughafen spricht, sind ebenso enttäuschend: „Wir haben viel erreicht, aber wir haben noch immer einen weiten Weg zu gehen.“

Es ist die Zeit, in der die meisten Staats- und Regierungschefs die Veranstaltung verlassen. Für sie gibt es hier nichts mehr zu gewinnen. Das gemeinsame Gruppenfoto ist abgesagt, die dürftige Erklärung formuliert. Wie sie im Plenum der 193 Staaten demontiert wird, das müssen sich die Großen nicht mehr anschauen.

Auch Angela Merkel fährt, gegen Mitternacht gibt sie eine Pressekonferenz am Flughafen. Zu diesem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass das Plenum dem ausgehandelten Dokument nicht zustimmen wird. Schon jetzt ist aber klar: Der Gipfel war nicht der Erfolg, den sie sich vorgestellt hat.

„Die Verhandlungen waren extrem schwierig“, sagt sie gleich zu Beginn. „Ich will ausdrücklich sagen, dass ich das Ergebnis mit sehr gemischten Gefühlen sehe.“ Auch sie schimpft über China. Das Land sei „genau bei der Position geblieben, mit der es hier angereist ist“. Anders als die Europäer seien die Chinesen an die Bereitschaft zu Kompromissen nicht gewöhnt.

Gleich nach ihrer Ankunft war die Kanzlerin am Donnerstag zum chinesischen Ministerpräsidenten ins Hotel geeilt. Am Freitag hatte sich Obama zweimal dorthin bemüht, Chinas Premier ließ ihn sogar warten. Die Art, wie Wen Jiabao in seiner Herberge Hof hält und das Selbstbewusstsein der Wirtschaftsmacht demonstriert, wie die Chinesen jedes Zugeständnis bei der Kontrolle der Klimaziele ablehnen – sie erzürnt die Europäer noch mehr als die harte Haltung des US-Präsidenten, für den sie wegen seiner innenpolitischen Probleme Verständnis haben.

Am Ende erscheint Obama ungefragt bei einem Treffen der großen Schwellenländer und handelt dort den Abschlusstext aus. Die Europäer sind daran nicht mehr beteiligt.

Als die EU gegen ein Uhr früh noch eine eigene Pressekonferenz abhält, interessieren sich nur noch wenige dafür. „Ich will meine Enttäuschung nicht verbergen“, sagt Barroso fast wortgleich wie die deutsche Kanzlerin. Der schwedische EU-Ratspräsident Fredrik Reinfeldt erklärt: „Das ist kein perfektes Abkommen.“ Zumindest glaubt er zu diesem Zeitpunkt noch, es wäre ein Abkommen.

Für viele ist die Pressekonferenz der EU der Schlusspunkt. Bis drei Uhr morgens verlassen sie das Gelände. Doch für Minister und Unterhändler geht der Marathon weiter. Die Staats- und Regierungschefs haben gesprochen, nun sind die Delegierten im Plenarsaal wieder gefragt. Auch das wird noch mal ein harter Kampf. Venezuela, der Sudan, Kuba und Bolivien – sie wollen dem Papier nicht zustimmen. Kleine Inselstaaten wie die pazifische Republik Tuvalu sind ebenfalls zutiefst enttäuscht. Doch sie wollen wenigstens den Minimalkonsens retten.

Irgendwann gibt der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen entnervt die Leitung der Verhandlungen ab. Von Anfang an hatten die dänischen Gastgeber eine unglückliche Figur gemacht, bekamen den mühsamen Diskussionsprozess von 193 Staaten nicht in den Griff. Erst die Ankunft der übrigen Regierungschefs schien dem Gipfel am Donnerstag noch einmal Hoffnung einzuimpfen, einen Diskussionsprozess im kleineren Kreis von 30 Staaten zu ermöglichen. Die Ausgeschlossenen revanchieren sich am Samstagvormittag im Plenum, indem sie die Zustimmung zu dem Papier verweigern.

Als ein anderer das Ruder von Rasmussen übernimmt, geht es immerhin zügig zu Ende. „Das Papier wird zur Kenntnis genommen“, heißt schließlich die Zauberformel, mit der alle ihre Koffer packen.

Eine Formel, die den gesamten Prozess entzaubert.