Am Nagel der Welt – Irak: Ein Hauch von Glamour in Bagdad

Einst war Siham Antoine der Star unter den Stylistinnen Bagdads. Doch islamistische Hardliner machten auch vor Schönheitssalons nicht halt. Jetzt wagt sie einen Neuanfang.

Die Chefin des Salons lässt sich verschönern Bild: Muhannad Fala‘ah/Getty Images

Kniehohe Betonbarrikaden und Stacheldrahtrollen versperren den Weg. Misstrauisch starrt ein Polizist in unseren Wagen, die Hand griffbereit an der messerscharfen Metallkralle, die in Sekundenschnelle jeden Reifen zerfetzt. Durchfahrt verboten, die Bestätigung, dass man unseren Besuch erwartet, zwecklos. „Aussteigen, Taschenkontrolle“, knurrt der Polizist. Besser, sich schnell der Order zu beugen, wer weiß schon, ob an der nächsten Straßenecke nicht bereits ein Selbstmordattentäter darauf lauert, sich ins vermeintliche Paradies zu bomben.

Wenige Meter hinter dem Checkpoint versperrt eine hohe Sprengschutzmauer die kleine Seitenstraße, zehn mal vier Meter nackter, grauer Beton gegen das Misstrauen und die Angst. Im Niemandsland dazwischen hat Siham Antoine ihren Beautysalon „Mina und Dina“.

Die Polizisten und Barrikaden stören, sie sind schlecht fürs Geschäft. „Aber das ist Politik“, sagt Siham Antoine. Und davon halte sie sich lieber fern, denn die Politik hat sie schon einmal beinahe in den Ruin getrieben. Ganz Fachfrau redet sie lieber über Stile, gutes Aussehen und die Qualität von Kosmetikprodukten sowie über die ständige Fortbildung, die es in ihrem Beruf brauche. Sie war in allen Modehauptstädten der Welt, hat Kurse bei den Großmeistern ihrer Zunft in Paris, London, Hamburg und Zürich belegt. Von dort brachte sie ein wenig internationales Flair in die miefige Enge der Diktatur von Saddam Hussein und wurde selbst zum Star.

Zwei Jahrzehnte lang setzte Antoine die Kosmetiktrends im Irak. Wer immer es sich leisten konnte, ging zu „Mina und Dina“. Und sie kamen alle. Ein paar Fotos in einem abgegriffenen Fotoalbum, das in der Schublade ihres Kassiertischs liegt, erinnern daran.

Derzeit angesagt: Handpainting Bild: Muhannad Fala‘ah/Getty Images

Auf einem Foto ist eine hübsche junge Frau abgebildet. Sie trägt ein ausgeschnittenes Dekolleté, das dunkelbraune Haar fällt offen auf ihre Schultern, Glanzlichter und ein farblich sorgfältig auf ihre bronzefarbene Haut abgestimmtes Make-up unterstreichen ihre zarte Erscheinung. Wer sie ist, sollen wir nicht verraten, überhaupt sollen wir über die Namen der Frauen und Töchter der Mächtigen und Reichen, die einst bei „Mina und Dina“ ein und aus gingen, Stillschweigen bewahren. „Es gibt Leute, denen das nicht passt, sie könnten es in den falschen Hals bekommen“, sagt Antoine.

Staatsgründung: 1920 unter britischer Mandatsmacht, 1932 Unabhängigkeit, 1958 Sturz der Monarchie und Republikgründung, 1968-2003 Diktatur der Baath-Partei Hauptstadt: Bagdad Fläche: 427.072 qm Einwohnerzahl: ca. 28 Millionen

Amtssprachen: arabisch, kurdisch

Bevölkerung: Araber (Mehrheit Schiiten), Kurden, Turkmenen und zahlreiche ethnische und religiöse Minderheiten. Die Flucht der Christen hält weiter an

Grenzen: Türkei (Norden), Iran (Osten), Kuwait und Saudi-Arabien (Süden), Jordanien und Syrien (Westen)

Staatsform: gemäß der Verfassung von 2005 parlamentarische Republik, die sich zu Demokratie, Pluralismus und Föderalismus bekennt

Staatsoberhaupt: Präsident Dschalal Talabani (Kurde), Regierungschef: Ministerpräsident Nuri al-Maliki (Schiit)

Politische Parteien: hunderte

Wirtschaftsform: Mischung aus Privat- und Staatswirtschaft. Wichtigster Wirtschaftsfaktor ist mit über 90 Prozent am Bruttosozialprodukt die Ölwirtschaft. Die Vorkommen werden als die zweitgrößten weltweit geschätzt. Investitionen kommen wegen politischer Querelen nicht voran.

Währung: Irakischer Dinar (IQD), rund 1.650 Dinar = 1 Euro

Islamische Hardliner haben in den letzten Jahren auch vor den Schönheitssalons nicht haltgemacht. Sunnitische und schiitische Extremisten sprengten zahlreiche Salons in die Luft, etliche Stylistinnen wurden umgebracht. Make-up und stylisches Aussehen ist in den Augen der selbst ernannten Sittenwächter westliches Teufelszeug, nur der Ehemann sollte seine Frau unverschleiert zu Gesicht bekommen. Viele Salonbesitzerinnen übten ihr Handwerk fortan nur noch im Verborgenen aus.

Christinnen wie Antoine traf die Gewalt gleich doppelt. Sie wurde nicht nur wegen ihres Berufs, sondern auch wegen ihres Glaubens verfolgt. Im Frühjahr 2006 erschossen Unbekannte ihren Neffen vor seinem Haus, kurz darauf wurde der Mann ihrer Nichte ermordet. Zwei ihrer Mitarbeiterinnen verloren ihre Brüder.

In der Nähe ihres Geschäfts, im vornehmen Stadtteil Karrada, sprengte ein Autobombenattentäter eine ganze Ladenzeile in die Luft. Die Wucht der Explosion riss auch die Glasfront von „Mina und Dina“ weg. Antoine floh zuerst nach Jordanien und später nach Dubai. Dass sie jetzt wieder nach Bagdad zurückgekehrt ist, ist auch ein Hoffnungszeichen für die unruhige Stadt.

„Ich habe es kaum noch ausgehalten“, sagt Antoine. Jetzt hofft sie, dass sie wieder an ihren alten Ruhm anknüpfen kann. Entschlossen hat sie erste Renovierungsarbeiten vorgenommen. Vor der breiten Glasfront stehen lilafarbene Ledersofas, die Wände sind passend dazu gestrichen. Zufrieden ist Antoine damit noch nicht, aber es sei ein Anfang. Dieser lässt sich gut an. „Die Frauen von Bagdad wollen gut aussehen“, sagt Antoine. „Glauben Sie bloß nicht, dass Bagdad immer so konservativ war wie heute.“

In leuchtenden Farben beschreibt sie eine Vergangenheit, in der Frauen in Bagdad kurze Röcke trugen und sich bis in die frühen Morgenstunden auf Partys amüsieren konnten. Im Rhythmus der Worte schlagen dabei die Goldreifen an ihrem Handgelenk auf den Ladentisch. In ihrer engen Jeans, dem engen, kurzärmeligen T-Shirt und dem knallroten Lippenstift wirkt sie wie das Denkmal einer untergegangenen Epoche. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass die Frauen von Bagdad gegen den Druck der Islamisten aufbegehren. Zwar verhüllen sich die meisten in der Öffentlichkeit, doch die Kleidung wird bunter, dazu tragen viele Make-up und modische Accessoirs, manch eine wagt sogar kräftigen Lippenstift. Bei „Mina und Dina“ gibt es alles, was derzeit angesagt ist: von der modischen Frisur bis zum Nagel- und Handpainting. Selbstverständlich auch Haarentfernung und Gesichtsmassagen.

Berühmt ist Antoine vor allem für ihre Haarfärbekunst. Kaum eine andere Stylistin kann wohl so fein gesetzte Farbeffekte setzen wie sie. Die Behandlung hat freilich ihren Preis. Für Waschen, Schneiden und Färben muss man umgerechnet 180 Dollar auf den Tisch blättern. Für das komplette Programm mit Maniküre, Pediküre und Gesichtsmassage sind leicht mal 400 Dollar fällig.

Der Salon „Mina and Dina“ liegt im Niemandsland vor einer Sprengschutzmauer Bild: Muhannad Fala‘ah/Getty Images

Ihrem Geschäft tut das aber offenbar keinen Abbruch. Denn schnell hat sich herumgesprochen, dass der ehemalige Star unter Bagdads Stylistinnen wieder in der Stadt ist. Erneut sind es die Frauen und Töchter der Mächtigen und Reichen, die sich bei ihr pflegen lassen. „Sie verhüllen sich von Kopf bis Fuß, schön sein wollen sie aber trotzdem“, sagt Antoine. „Und bei mir wissen sie, dass sie für ihr Geld erstklassige Qualität bekommen.“

Seit mittlerweile fast 30 Jahren ist Antoine in ihrem Beruf tätig. Trotz der Tiefen der letzten Jahre ist ist noch immer mit ganzer Leidenschaft dabei. Pünktlich um zehn steht sie jeden Morgen im Geschäft, abends um sieben schließt sie. Inzwischen ist sie 66 Jahre alt, in Rente will sie aber noch lange nicht. „Mein Beruf ist mein Leben“, sagt sie und stöckelt auf ihren weißen Sandaletten zu einer Kundin, um die Farbe zu überprüfen. Ob sie aber in Bagdad bleiben wird, weiß sie noch nicht. „Warten wir erst einmal die nächsten Wochen ab.“

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