Kommentar Wiederwahl Barrosos: Die Lähmung in Person

In Wahrheit wollen die meisten Regierungen einen schwachen Boss an der Spitze der Brüsseler Behörde.

Theoretisch sind sich alle einig: Europa braucht einen starken Kommissionspräsidenten, der mit einer Vision begeistern kann. Schließlich sollte sich angesichts von Wirtschafts-, Energie- und Klimakrise die EU um Augenhöhe mit einem Partner wie Barack Obama bemühen. Gewählt aber wurde gestern José Manuel Barroso, der in den vergangenen fünf Jahren gezeigt hat, wer er ist: ein glatt gebügelter Phrasendrescher ohne Profil.

Warum einer wie er sich zehn Jahre an der Spitze von Brüssels mächtigster Behörde wird halten können? Nun, 27 Regierungschefs müssen den neuen Kommissionspräsidenten unterstützen, darunter so gegensätzliche Charaktere wie Tschechiens Antieuropäer Václav Klaus und Frankreichs Egomane Nicolas Sarkozy. Zusätzlich braucht er auch noch eine Mehrheit im Europaparlament. Ein solches Verfahren produziert den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Die meisten Regierungen sind darüber froh. Sie rufen zwar stets nach einer starken, handlungsfähigen Union. In Wahrheit aber wollen sie einen schwachen Boss an der Spitze der Brüsseler Behörde. Er soll bei Vertragsverletzungen beide Augen zudrücken und keine Gesetzesvorschläge machen, die zu Hause die Wirtschaft oder das Wahlvolk verärgern könnten. Doch die Billigung aller braucht der Kandidat gar nicht. Sowohl der geltende Vertrag als auch der geplante neue Lissabonvertrag geben sich damit zufrieden, dass die qualifizierte Mehrheit im Rat einen Kandidaten vorschlägt, den das Parlament bestätigen muss. Ein ungeschriebener Ehrenkodex verlangt aber, dass die Präsidentschaft mit den anderen Regierungen so lange verhandelt, bis der letzte Sturkopf im Boot ist. So kommt es immer wieder zu lähmenden Kompromissen. Und charismatische Persönlichkeiten, die zu polarisieren vermögen, haben keine Chance.

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