Blog aus Teheran - Teil 8: Auf dem Friedhof und im Kühlhaus

Behsad Mohadscher verschwand am 15. Juni. Seine Familie hat ihn erst in der Gerichtsmedizin wiedergesehen.

Proteste während der Trauerfeiern auf dem Friedhof Beheschte Sahra. Bild: dpa

Behsad Mohadschers Leichnam wurde am Sonntag neben anderen Todesopfern der "grünen Bewegung" auf dem Friedhof Beheschte Sahra begraben. Der 47-Jährige war während der friedlichen Großdemonstration am 25. Khordad (15. Juni) verschwunden, und bis zur Übergabe seiner Leiche an die Familie wurde sein Name in keiner der Gefangenenlisten geführt. Auch in den Krankenhäusern der Stadt hatten die Angehörigen vergebens nach ihm gesucht.

"Was ist das für ein Land, in dem eine friedliche Demonstration zum Tod unserer Lieben führen kann?", fragt Mahwasch Mohadscher, die Schwester von Behsad. "Sie sollen die militärische Sperrstunde öffentlich ankündigen, damit wir wissen, wann wir nicht aus dem Haus gehen dürfen. Wer kann nachvollziehen, dass Menschen bei einer Demonstration erschossen werden, bei der noch nicht einmal Parolen skandiert wurden!"

Mahwasch Mohadscher hatte am 15. Juni zum letzten Mal mit ihrem Bruder gesprochen. Seitdem fehlte von ihm jede Spur: "Er rief mich an diesem Abend gegen 21 Uhr an und sagte, dass er auf dem Asadi-Platz in einer großen Menschenmenge sei. Alles sei ruhig und erinnere ihn an 1979. Das war das letzte Lebenszeichen von ihm." An den folgenden Tagen versuchte die Familie, ihn auf seinem Mobiltelefon zu erreichen, ohne Erfolg: "Wir waren täglich beim Revolutionsgericht und beim Evin-Gefängnis, in der Hoffnung, seinen Namen auf den ausgehängten Listen zu entdecken. Aber wir erhielten von keiner Stelle Auskunft. An diesem Samstag (1. August) wurden wir bei der Gerichtsmedizin der Haftanstalt Kahrisak vorstellig und haben dort seine Leiche identifiziert." Mahwasch Mohadscher erkannte die Leiche des Bruders nur im Profil. "Von vorne hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit meinem Bruder. Sein Gesicht war zerschunden, die Zähne waren ausgeschlagen und sein Brustkorb aufgerissen."

Im Totenschein sei vermerkt gewesen, dass Behsad Mohadschers Leiche am 31. Khordad (21. Juni) aus dem Loghman-Krankenhaus in die Gerichtsmedizin von Kahrisak überführt worden sei: "Dabei war mein anderer Bruder vor 15 Tagen dort, aber Behsads Bild war nicht unter den ausgehängten Bildern der Getöteten." Auf dem Schein war "Schusswunde" als Todesursache angegeben. "Wir haben bei der Staatsanwaltschaft Klage eingereicht", berichtet Frau Mohadscher weiter. "Wir werden Behsads Fall so lange verfolgen, bis die Mörder meines Bruders gefunden und bestraft sind. Mein Bruder stand der Gesellschaft nicht gleichgültig gegenüber, aber besonders politisch war er auch nicht. Er wäre Schwierigkeiten sicherlich aus dem Weg gegangen."

In seinem Blog schreibt Nima Namdarie, der Neffe des Getöteten, dass die Leiche Mohadschers nach 50 Tagen im Kühlhaus "hart wie Stein" gewesen sei: "Kühlhäuser - sind das Gefängnisse für Tote?", fragt er. "Zum Waschen konnte man die Leiche nur schwer drehen. Sie war aufgedunsen, der Brustkorb vom Hals bis zum Bauchnabel und von einer zur anderen Schulter kreuzförmig aufgeschnitten. Vielleicht haben sie ihn obduziert, vielleicht nach einer Kugel gesucht. Ein kleiner Kreis auf der Stelle, wo einst sein Herz schlug, markierte das Einschussloch. Das Loch auf dem weißen Körper stach sofort ins Auge. Das zweite Loch dagegen fiel kaum auf. Es befand sich auf der hinteren Seite seines rechten Oberarms. Und wenn man ihn zum Waschen drehte, brannte der Anblick des zerrissenen Rückens so heftig in den Augen, dass man kaum auf das kleine Loch im Oberarm achtete."

*Der Name der Bloggerin ist der Redaktion bekannt.Bisher erschienen sind:

"Die schicken ja Kinder!" (taz vom 25. 6.)

"Antidepressiva gegen den Schmerz" (1. 7.)

"Wir töten deine Kinder" (6. 7.)

"Den Wetterbericht gründlich lesen" (13. 7.)

"Das Ritual auf den Kopf gestellt" (23. 7.)

"Wie die Katze bei Alice im Wunderland" (30. 7.)

"Sie gab den Opfern ein Gesicht" (4.8.)

Aus dem Persischen von Shahram Najafi

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