Kommentar Wehrpflicht: Besser ganz abschaffen

Bevor das Bundesverfassungsgericht immer wieder über die Wehrpflicht entscheiden soll, gehört sie besser abgeschafft. Attraktive Angebote für Freiwillige sind die Alternative.

Die Wehrpflicht ist ein massiver Einschnitt in das Leben junger Männer. Der Staat verlangt neun Monate Dienst für wenig Geld unter unangenehmen Bedingungen. Nach dem Wegfall des Kalten Kriegs lässt sich dieses gewaltige Sonderopfer kaum noch rechtfertigen. Die Wehrpflicht gehört schleunigst abgeschafft, weil sie als Grundrechtseingriff völlig unverhältnismäßig ist.

Die Wehrgerechtigkeit, mit der sich das Bundesverfassungsgericht jetzt auseinandersetzen musste, ist dabei nur ein Nebengleis der Diskussion. Zwar stimmt es, dass derzeit nicht einmal jeder fünfte junge Mann eines Jahrgangs eingezogen wird. Doch die plakative Zahl unterschlägt einfach die Kriegsdienstverweigerer und ihren Ersatzdienst. Zu Recht hat das Verfassungsgericht eine komplexere Sicht gefordert. Es kommt damit also auch in Zukunft für die Wehrgerechtigkeit nur darauf an, dass möglichst viele "verfügbare" Wehrpflichtige einberufen werden.

Dass es für Unmut sorgt, wenn fast jeder zweite junge Mann von vornherein nicht verfügbar ist, weil er als untauglich ausgemustert wird, liegt zwar auf der Hand. Aber nur ein kleiner Teil davon geht auf die Verschärfung der Tauglichkeitskriterien zurück.

Verfassungsrechtliche Zweifel lösen aber zwei Zahlen aus: Rund 50.000 Männer pro Jahrgang werden gar nicht gemustert und fallen so aus der Statistik. Und 30.000 Männer werden nicht eingezogen, weil sie die Altersgrenze von 23 Jahren erreicht haben. Diese Gruppen kann man schlecht als gesetzliche Ausnahmen von der Wehrpflicht einstufen. Hier wäre noch Spielraum für mehr Wehrgerechtigkeit.

Besser aber ist es, sich gar nicht auf diese Diskussion einzulassen und die Wehrpflicht gleich ganz abzuschaffen. Bundeswehr und Sozialverbände müssen und können die Lücken dann mit attraktiven Freiwilligen-Programmen füllen. Auf das Bundesverfassungsgericht braucht man dabei nicht zu warten. Es hat dem Gesetzgeber in einem Urteil von 2002 größtmöglichen Freiraum eingeräumt, ob er die Wehrpflicht beibehalten oder abschaffen will. Diesen Freiraum sollte der Bundestag nutzen und die Wehrpflicht zumindest aussetzen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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