Rassismus in Dresden: Vorwärts und vergessen

Viele Dresdner wollen nichts mehr von der Bluttat hören. Was bleibt, ist die alltägliche Fremdenfeindlichkeit, die Angriffe auf Migranten, die Todesopfer der rechtsextremen Gewalt.

Elbtal, Frauenkriche, Rassismus: Schöner leben in Dresden. Bild: ap

DRESDEN taz | Die Lilien und Gladiolen vor dem Landgericht welken. Und das Foto von Marwa El Sherbini fängt langsam an zu vergilben. Hier drin, im Saal 0.10, ist es vor drei Wochen passiert. Hier, nur wenige hundert Meter von El Sherbinis Wohnung entfernt, hat der 28-jährige Alexander W. sie mit 18 Messerstichen getötet. Aus Hass auf Muslime, die für ihn keine Menschen sind.

Dass El Sherbinis Andenken verblasst und der Rassismus in Dresden weiterwuchert, genau davor hat Nabil Yacoub Angst. Yacoub stammt wie Marwa El Sherbini aus Ägypten und lebt seit fast 50 Jahren in Dresden. Er kennt die alltägliche Fremdenfeindlichkeit. Er kennt die Angriffe auf Migranten. Er kennt die Todesopfer der Rechtsextremen.

Yacoub steht am Jorge-Gomondai-Platz auf der anderen Elbseite neben einem Block aus Sandstein, darin eingemeißelt: "Opfer rassistischer Gewalt". An Ostern 1991 haben Neonazis den Mosambikaner Gomondai aus einer Straßenbahn geworfen. Er starb an seinen Verletzungen. Mehr als 15 Jahre lang mussten Yacoub und seine Mitstreiter vom Ausländerrat darauf warten, dass der Platz nach ihm benannt wurde, erst vor zwei Jahren war es so weit.

Die Tat: Am 1. Juli tötet der 28-jährige Alexander W. die 31-jährige Ägypterin Marwa El Sherbini im Landgericht Dresden mit 18 Messerstichen. El Sherbinis Ehemann Elwy O. versucht den Täter aufzuhalten und wird durch Stiche lebensgefährlich verletzt. Ein Polizist, der aus dem Saal nebenan dazugeholt wird, schießt O. ins Bein.

Die Folgen: Vergangene Woche besucht ein ägyptischer Staatsanwalt die Generalstaatsanwaltschaft. Er will wissen, wie es zu dem Mord kommen konnte und warum der Polizist nicht auf den Täter, sondern auf den Ehemann schoss. Elwy O. ist laut Freunden inzwischen von der Uniklinik in eine Rehaklinik verlegt worden. WOS

Auch für Marwa El Sherbini wird es in Dresden vielleicht einmal einen Gedenkstein geben. Oder eine Straße, der ihren Namen trägt, Pläne dafür gibt es schon. Das findet Yacoub auch alles richtig, ja, ja, ja, und dennoch schüttelt er den Kopf. "Symbole sind wichtig", sagt er. "Aber Symbole allein lösen das Problem nicht." Was dann? Ein Aufstand der Anständigen, den Kanzler Gerhard Schröder einmal verlangt hat? "Besser wäre ein Aufstand der Zuständigen."

Yacoub ist nicht der Einzige, der von der Stadt verlangt, entschlossener gegen Rassismus vorzugehen, das Problem nicht immer nur herunterzuspielen aus Angst um das Image. Wenige hundert Meter weiter in der Dresdner Neustadt sitzt Marianne Thum von der Opferberatung für Betroffene rechtsextremer Gewalt. Sie legt den aktuellen Bericht ihrer Einrichtung auf den Tisch. Es ist wie ein Statement. Von 401 Übergriffen in Sachsen im vergangenen Jahr ist dort die Rede, 66 davon in Dresden. Ungefähr jeden fünften Tag wird in der Stadt also ein Mensch Opfer von Rechtsextremen.

Seit dem Mord an Marwa El Sherbini hat die Stadt Dresden fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Der Trauerfeier vor dem Rathaus blieb Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) fern, weil sie ihren Urlaub nicht unterbrechen wollte. Auch der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) kam nicht. Dafür irritierte der erste Bürgermeister Dirk Hilbert von der FDP die Trauergäste damit, dass er zum Beweis der Weltoffenheit Dresdens auf seine koreanische Ehefrau verwies. Kameras übertrugen die Bilder bis nach Ägypten.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Stadtspitze im Kampf gegen Rechtsextremismus blamiert. Am Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Februar hielt sich die CDU von der Demonstration gegen den Aufmarsch von Neonazis fern - wegen der "linken Chaoten", die mitprotestierten.

Doch nun merken sogar Teile des konservativen Establishments, dass es so nicht weitergehen kann. "Dresden hat nicht verstanden, welche Dimension dieses Verbrechen für die Stadt hat und welche Dimension man deshalb seiner Bewältigung zukommen lassen muss", schrieb der TU-Professor Wolfgang Donsbach nach der mäßig besuchten Trauerfeier in einem offenen Brief. "Wir haben einen deutlich erkennbaren Sockel an bekennend ausländerfeindlichen Bürgern, eine Mehrheit, der das Thema gleichgültig ist, und ein paar Aufrechte, die etwas ändern wollen. Das ist zu wenig."

Vorwärts und vergessen - das scheinen viele Dresdner zu denken, auch im Wohnblock, in dem die ägyptische Apothekerin Marwa El Sherbini und der aus Russland stammende arbeitslose Deutsche Alexander W. wohnten. Gerade dort denken sie so.

Der Bönischplatz im Dresdner Stadtteil Johannstadt. Hier über einem Elektrogeschäft in dem sanierten Wohnhaus haben El Sherbini, ihr Ehemann Elwy O. und ihr dreijähriger Sohn Mustafa gewohnt. Schräg über die Straße stehen die Plattenbauten, die den miesen Ruf der Gegend prägen, zehnstöckige Waschbetonklotze, an denen die Zierkacheln abfallen.

Wohnung 602 in einem der grauen Hochhäuser, Alexander W.s Namensschild hängt nicht mehr an der Tür. "Ich hab den noch nicht einmal gesehen oder gehört", sagt die Nachbarin direkt nebenan. "Und das interessiert mich alles auch nicht. Es sterben so viele Menschen, warum wird da jetzt so ein Aufhebens gemacht?" Sie sieht die Sache so: "Das kommt davon, wenn das hier immer mehr zum Ausländergetto wird." Es ist eine Form der Schuldabwehr, die man von vielen hören kann: Nicht wir Deutschen sind schuld, sondern die Fremden, die ihre Konflikte hierhergetragen haben.

Kaum einer in den Plattenbauten will Alexander W. gekannt haben. Und wer ihn kannte, will nicht über ihn sprechen. Nur ein paar Anekdoten bekommt man zu hören: Einmal habe er aus dem Fenster gerufen, die Kinder auf dem Spielplatz sollten doch die Klappe halten, sonst komme er runter. Ein Reporter traf vor wenigen Tagen einen Nachbarn, der mit Alexander W. zusammen eine Ausbildung zum Lagerarbeiter machte. In der Berufsschule habe der in der Pause einmal mit einem Schnappmesser gedroht.

Doch die entscheidenden Fragen lassen sich noch nicht beantworten: Woher kam sein mörderischer Hass auf Muslime? Aus Russland, wo der deutsche Staatsbürger Alexander W. bis 2003 lebte? Oder hat er sich durch die Hetzparolen der NPD aufstacheln lassen, als deren Wähler er sich unmittelbar vor seiner Bluttat bekannte?

Die Staatsanwaltschaft hält sich zurück, man ermittle in beide Richtungen. Die russischen Behörden lieferten ihre Informationen. Und die deutschen Ermittler prüften, ob es einen Kontakt zum "Arbeitskreis der Russlanddeutschen in der NPD" gab. Die marschierten mit einem Transparent im Februar im Zug der Neonazis durch Dresden.

Denkbar ist, dass beides zusammenkam: dass er schon einen Hass auf Muslime aus Russland mitbrachte, der dann durch die Parolen der NPD weiter radikalisiert wurde.

Die Dresdner Johannstadt galt in den Neunzigern als Hochburg der Neonazis, Streetworker arbeiteten bis 2002 gezielt mit rechtsextremen Jugendlichen. Inzwischen ist das Viertel bunter geworden, junge Familien und Studenten sind hierhergezogen, auch wegen der zentralen Lage, der Elbnähe. Gekommen sind auch Wissenschaftler des nahe gelegenen Max-Planck-Instituts, dort war auch El Sherbinis Ehemann Doktorand.

Doch die unsanierten Plattenbauten in der Johannstadt sind ein sozialer Brennpunkt geblieben. Hier leben die Abgehängten, egal ob sie Deutsche sind, Russlanddeutsche oder Ausländer. "Wer es sich leisten kann, zieht weg", sagt eine Bewohnerin.

Bei den Kommunalwahlen im Juni kam die NPD hier im Wahlbezirk auf 7 Prozent der Stimmen. Nur in rechten Hochburgen wie den Problemstadtteilen Prohlis oder Gorbitz erhielten die Rechtsextremen in Dresden noch mehr Anteile.

An der Bushaltestelle am Bönischplatz steht an diesem Nachmittag ein Jugendlicher mit einem schwarzen T-Shirt, darauf steht in Runenschrift "SSS". Das steht für Skinheads Sächsische Schweiz, eine verbotene Neonazikameradschaft. Hier scheint das keinen zu stören.

Der Kiosk am Platz verkauft Landser-Hefte, kriegsverherrlichende Abenteuerschundromane zum Zweiten Weltkrieg. "Der Krieg im Osten und die Ermordung der europäischen Juden waren die beiden tragenden Säulen seiner Programmatik", heißt es dort über Adolf Hitler.

Die Kioskverkäuferin hat ihre ganz eigene Sicht auf den Mord an Marwa El Sherbini. Der Täter sei ja ein Russe gewesen, und man wisse doch, dass die immer schnell ein Messer zur Hand hätten. Vielleicht seien ja auch Drogen im Spiel gewesen, auch das kenne man ja von denen. Abgesehen davon werde das alles doch viel zu sehr aufgebauscht. "Die ganzen Ehrenmorde der Moslems", sagt sie, "da kräht doch kein Hahn danach. Bevor die hier eingebürgert werden, sollten sie erst einmal unterschreiben, dass sie nach unseren Gesetzen leben und so was hier verboten ist." Ein Kioskkunde mit einer Bierflasche in der Hand nickt nur.

Wenige Meter von hier, hinter den Plattenbauten, liegt auch der Spielplatz, auf dem sich Marwa El Sherbini und Alexander W. an einem Abend im August 2008 begegnet sind. Dort auf den Schaukeln saß W. mit der Tochter seiner Schwester und rauchte. El Sherbini fragte ihn, ob er eine der beiden Schaukeln für ihren Sohn freimachen könne. Der rastete aus, beschimpfte sie als "Islamistin" und "Terroristin". Zehn Monate später wurde der Fall vor dem Landgericht in Berufung verhandelt. Er könne nicht verstehen, warum "diese Monster" nach den Anschlägen vom 11. September nicht rausgeschmissen wurden, sagte Alexander W. Kurz darauf stach er zu.

Von den beiden Schaukeln hängt heute nur noch eine. Irgendjemand hat die zweite abgehängt. Zwischen den beiden Holzbalken klafft nun eine Lücke, die an den Mord an Marwa El Sherbini erinnert. Es ist ein stilles Mahnmal. Ein sehr stilles.

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