Fußballfan-Aktivistin Daniela Wurbs: "Englischer als in England"

Zum Beginn des zweiten europäischen Fußballfankongresses erklärt Daniela Wurbs von den Football Supporters International, warum England kein Vorbild mehr ist.

Nicht nur Konsumenten: Die Fans des FC St. Pauli beziehen Stellung gegen Diskriminierung. Bild: dpa

taz: Frau Wurbs, welches war Ihr erstes Fußballspiel?

Daniela Wurbs: Stuttgarter Kickers im Waldstadion gegen irgendwen, Stehplatz, hinter uns eine Handvoll Faschos mit üblen Sprüchen.

Hat nicht abgeschreckt?

Ich war noch mal bei den Kickers. Das nächste Spiel war beim FC St. Pauli am Millerntor. Da wars um mich geschehen.

Die Sozialpädagogin aus Schrozberg bei Schwäbisch Hall erfuhr ihre Fußball-Sozialisation beim FC St. Pauli und ist seit 2007 hauptamtliche Koordinatorin der Football Supporters International (FSI). Dieser 2001 gegründete europäische Fan-Dachverband richtet an diesem Wochenende in Hamburg den 2. Europäischen Fußballfankongress aus.

Angemeldet haben sich über 300 Fans aus 29 Ländern, die für mehr als zwei Millionen Fans sprechen.

Der erste Kongress fand im Juli 2008 in London statt, mit 280 Teilnehmern aus 27 Ländern, die etwa eine Millionen Fans repräsentierten. Es gab Workshops zu Themen wie Repression, Fankultur, Ticketing, Anti-Diskriminierung und Mitbestimmung. (ror)

Wie wird man als Sozialpädagogin Koordinatorin des Fan-Verbands Football Supporters International (FSI)?

Ich bin da reingerutscht. Hab mich im Studium mit Fußballfans beschäftigt und danach ein Praktikum bei der Koordinierungsstelle für Fanprojekte in Frankfurt gemacht. Danach war ich auf Honorarbasis bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal. Von 2005 bis Mitte 2007 hab ich im Fanladen des FC St. Pauli gearbeitet. Dann wurde ich gefragt, ob ich bei der Gründung einer europäische Fanorganisation mitmachen und den ersten Fankongress organisieren will.

Sie haben das von England aus gemacht.

Ja. Das Büro war in Sunderland, gewohnt hab ich in Newcastle. Die Rivalität zwischen Sunderland und Newcastle ist in etwa so wie zwischen HSV und Werder.

Worum ging es beim ersten Kongress in London?

Es gab einen großen Konsens bezüglich Stehplätzen, unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen, Mitbestimmung. Erstmals wurde auf europäischer Ebene deutlich: Fans wollen mehr Mitbestimmung, sie sind keine bloßen Konsumenten.

Warum ist der zweite Kongress in Hamburg?

Wir haben hier zwei erfolgreiche Fanszenen. Die Supporters des HSV, die in Sachen Mitbestimmung europaweit beachtet werden, und die Fanszene des FC St. Pauli, die von vielen linken Fans für ihre Arbeit, etwa im Bereich Anti-Diskriminierung, bewundert werden. Beide Fanszenen und die Vereine unterstützen uns beim Kongress durch ihre Mithilfe und Sachspenden.

Unterstützung kommt auch von der Uefa.

Ja. 2007 gab es in Nyon erstmals ein siebenstündiges Gespräch mit Uefa-Präsident Michel Platini und Vertretern der FSI und nationaler Fanorganisationen.

Wie war das bei Platinis Vorgänger Lennart Johansson?

Meines Wissens gab es damals so gut wie keine Kommunikation zwischen Fans und Uefa.

Welchen Eindruck macht Platini?

Wie ich ihn erlebt habe, sehe ich bei ihm eine aufrichtig gemeinte Vorstellung davon, wie Fußball, wie das Spiel sein soll. Die Fans gehören für ihn dazu. Wie ernst unsere Ansichten genommen werden, muss man abwarten.

Die Uefa finanziert diesen Kongress?

Ja. Und meine Stelle, obwohl sie gleichzeitig die Unabhängigkeit von FSI anerkennt. Das war für uns entscheidend, um diese Form der Unterstützung akzeptieren zu können. Das Büro ist auch bereits nach Hamburg umgezogen. Hamburg liegt, europäisch gesehen, schlichtweg zentraler als Sunderland.

Wo sitzen aus Ihrer Sicht die Sorgenkinder?

In Osteuropa gibt es einige Länder ohne vernünftige Strukturen der Selbstorganisation von Fans. Vielerorts beobachten wir heute eine Situation wie in deutschen Stadien in den Achtzigern: Es gibt Probleme mit Rassismus und Gewalt, aber auch bereits ein paar positive Strömungen.

Wie ist die Lage in Italien, wo 2007 ein Polizist und ein Fan ums Leben kamen?

Dort herrscht derzeit große Resignation unter Fans vor.

Und in England?

Da ist auch viel Apathie. In der Premier League ist der durchschnittliche Dauerkartenbesitzer 44 Jahre alt, in Deutschland deutlich jünger. Englische Fans haben, bedingt durch die Rechtsform der Vereine, kaum Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Die Spiele sind oft vorhersehbar, die Vereine Geldmaschinen, die Fans fristen ihr Dasein als Anhänger von Clubs, deren Erfolg vom Geld abhängt. Für die Vereine sind die Fans eine kommerzielle Größe, die englische Fankultur, so wie wir sie kennen, ist fast verloren gegangen.

Hat das was mit den Ticketpreisen zu tun?

Bestimmte Schichten haben keinen Zugang zum Fußball mehr, nur noch übers Fernsehen im Pub. Viele Vereine kriegen ihre Stadien nicht mehr voll. Die Fans, die kommen, werden finanziell ausgebeutet. Aus Sicht der Vereine zum Teil notgedrungen, weil sie hemmungslos überschuldet sind.

Als der US-Geschäftsmann Malcolm Glazer 2005 Manchester United kaufte, regte sich Widerstand.

Da sagten unter anderem einige Fans: Das ist nicht mehr unser Verein. Sie gründeten den F. C. United of Manchester, die "Red Rebels". Ein Teil geht nicht mehr ins Old Trafford.

Was sagen Sie zu dem Drängen von Hannover 96-Präsident Martin Kind, im deutschen Fußball Mehrheitsbeteiligungen von Investoren zuzulassen?

Angesichts der englischen Erfahrungen verstehe ich das nicht. Der Verlust der 50 plus eins Regel, die den Vereinen eine Mehrheit der Stimmrechte garantiert, wäre fatal. Es gibt englische Fußballfans, die fahren zum HSV oder FC St. Pauli, um Fußball zu sehen, mit Stehplätzen, Bier und Rauchen. Im Volkspark und am Millerntor geht es englischer zu als in der Premier League.

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