Unruhiger Süden Russlands: Der Kaukasus zerfällt von innen

Schon 300 Tote durch Bandenkriege gab es in diesem Jahr. Die russische Regierung versucht sich herauszuhalten.

In Putin-Pose zu Besuch bei einem der raren Truppenbesuche in Dagestan: Russlands Präsident Medwedjew im Juni. Bild: dpa

MOSKAU taz"In der Republik Dagestan erschoss ein Scharfschütze den Innenminister, als er eine Hochzeitsgesellschaft verließ. Der Täter konnte entkommen… Der Präsident der Republik Inguschetien wurde bei einem Terroranschlag schwer verletzt… An der Grenze zwischen Tschetschenien und Inguschetien geriet ein tschetschenischer Milizkonvoi in einen Hinterhalt. Neun Milizionäre wurden erschossen."

Kaum ein Tag vergeht im Nordkaukasus ohne alarmierende Nachrichten. Anfang dieser Woche kamen bei der Detonation einer Autobombe in Grosny mehrere Menschen ums Leben. In der Nachbarrepublik Inguschetien beschossen Unbekannte in der Nacht die Wohnung eines hochrangigen Mitarbeiters des Innenministeriums aus einem Granatwerfer.

Meldungen, die es kaum in die russischen Medien schaffen und schon gar nicht über die Grenzen Russlands hinausgelangen. Auch in Moskau möchte sich eigentlich niemand damit beschäftigen. Für die Menschen im Süden Russlands gehören Mord und Bandenkriege, Entführungen und Überfälle inzwischen wieder zum Alltag. Von Januar bis Juni 2009 kamen im Nordkaukasus 300 Menschen durch Anschläge oder Bandenkriege ums Leben, ermittelten die Experten der Website kavkaski usel, darunter 87 Ordnungshüter, 62 Zivilisten und 145 Rebellen. Ob es sich bei den Rebellen tatsächlich immer um Mitglieder radikaler islamistischer Dschaamate (Gemeinden) handelt, wie es die Behörden darstellen, ist jedoch umstritten.

Oftmals steckt hinter den Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht der Kampf um wirtschaftliche Einflusszonen. Der Nordkaukasus mit sieben Republiken, mehreren Dutzend Völkern und Sprachen war schon immer eine unruhige Region, die sich durch scharfe Gegensätze und schwelende ethnische Konflikte auszeichnete. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Gleichwohl sind in allen Republiken inzwischen ähnliche Entwicklungen zu erkennen. Das Gebiet zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer gleicht einer Armutszone ohne Wirtschaftsaufkommen. Die Schulbildung der Jugend wird immer schlechter, Arbeitsplätze gibt es nicht. Die Mehrheit der jungen Leute ist jeglicher Zukunftsperspektive beraubt. Russische Lehrer und regionale Intelligenz haben die Region verlassen.

Viele junge Leute schließen sich aus Verzweiflung radikalen islamistischen Gruppen an. War die Rückkehr des Islam in den 1990er-Jahren eine Reaktion auf den sowjetischen Atheismus, ist inzwischen eine zweite Welle der Islamisierung im Gang, die langsam in alle Lebensbereiche vordringt. "Eine Archaisierung der sozialen Verhältnisse findet statt, die Region degradiert und fällt ins Mittelalter zurück", meint der russische Kaukasusexperte Alexej Malaschenko.

Die zunehmende Unregierbarkeit der Republiken ist auch auf das Moskauer Regierungsmodell der "Machtvertikalen" zurückzuführen. Der Kreml setzt Statthalter ein, die sich durch Loyalität auszeichnen, in der Bevölkerung jedoch keinen Rückhalt genießen. Im Tausch für Treue zum Kreml erhalten die Provinzsultane in ihrem Lehen freie Hand. In Kooperation mit einflussreichen Klans annektierten sie die lukrativsten Posten in Politik und Wirtschaft. Wer diesem korrupten Klanwesen nicht angehört, und das sind die meisten, fristet ein Leben in Armut.

Da Moskau fürchtet, die Unterstützung zu verlieren, hält es sich aus Konflikten und Verteilungskämpfen heraus. Das Paradoxe: Auch ohne nennenswerte separatistische Bewegung driftet der Kaukasus vom Mutterland weg, da er nicht einmal an den minimalen Modernisierungsversuchen des Zentrums beteiligt ist.

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