Harry Potter, der Sechste: Entspannt in der Parallelwelt

Die Kritiker haben kritisiert, die Schwärmer geschwärmt - und in Erinnerung bleibt, dass Ron eine Freundin hat: "Harry Potter und der Halbblutprinz" hat die Ruhe des Nach-Potter-Hypes.

"Harry Potter und der Halbblutprinz". Von David Yates. Mit allen Schauspielern, die bislang auch dabei waren. Bild: warner

Die eingefleischten Fans werden es kaum hören wollen, aber der Blick auf die Bestsellerlisten enthüllt, dass die große Zeit der "Harry Potter"-Serie vorbei ist. Dort nimmt nun mit Stephenie Meyer und ihrer "Bis(s)"-Reihe das nächste Phänomen die vorderen Plätze ein, das allein wegen seines durchschlagenden kommerziellen Erfolgs in Schrift und Bild, Literatur und Kino, von sich reden macht. Statt über die Popularität eines Brille tragenden Waisenkinds mit Zauberbegabung spekuliert nun alles über die Bedeutung sexueller Enthaltung bei Vampiren …

Für die Verfilmung des sechsten und vorletzten Potter-Bands, "Harry Potter und der Halbblutprinz" (der siebte wurde auf zwei Filme verteilt, deren Start für 2010 bzw. 2011 angekündigt ist), heißt das, dass er ohne das gewohnte Medienrauschen ins Kino kommt. Irgendwie scheint alles gesagt. Die Kritiker haben kritisiert und die Schwärmer geschwärmt, der Stoff ist durchanalysiert. Die Fans haben derweil zu Ende gelesen und wissen, wie "es ausgeht". Der Rest hat Schwierigkeiten, sich an das, "was bisher geschah", zu erinnern.

Das alles hat durchaus seine Vorteile: Man kann nun einfach so in den Film gehen - und, befreit von jedem Druck, ein Zeitphänomen verstehen zu müssen, vielleicht sogar feststellen, dass das alles ganz unterhaltsam sein kann: Hogwarts, dieses typisch englische "Public School"-Gehabe mit seinen Roben und Ritualen und das geheimnisumwitterte Ringen mit dem ewig Bösen in Form von "Todessern" und dem "Dunklen Lord".

Die genaue Kenntnis dessen, was in den vorherigen fünf Folgen erzählt wird, ist jedenfalls nicht vonnöten. Es reichen ungefähre Vorstellungen von der "Potter"-Welt, wie etwa zu wissen, dass in "Hogwarts" statt Matheunterricht im Zaubertrankbrauen erteilt und statt Crickett Quidditch gespielt wird, eine Art Hockey auf Flugbesen. Und, ach ja, Harry Potter ist als "Auserwählter" geoutet, was bedeutet, dass der "Dunkle Lord" ihn auf dem Kieker hat.

Zusätzlich zur Entspannung des Zuschauers trägt bei, dass sich nach fünf Folgen jeglicher Überraschungseffekt abgeschwächt hat. Die Hogwarts-Welt und ihre spektakulären Eigenheiten wie etwa die Fotos, die eigentlich kleine Filmchen sind, haben ihre digitale Kinogestaltung erfahren und sind eingeführt. Nur noch am Rand muss etwas hinzu erfunden werden. Der "Halbblutprinz", bei dem wie schon bei Teil 5 David Yates Regie führte, verzichtet weitgehend auf Actionsequenzen, als gäbe es ein müdes Abwinken: Jetzt, wo man dank Digitaltechnik alles darstellen kann, jede Art von Bewegung und jede zauberhafte Verwandlung, wird "Action" schnell langweilig.

Das verschafft der sechsten Folge eine Ruhe, die positiv wirkt. Wo die früheren Teile oft hektisch Handlung abwickelten und in Spezialeffekte umsetzten, kann sich hier endlich so etwas wie Stimmung ausbreiten. Da das Böse in den letzten Teilen immer mehr an Macht gewonnen hat, beginnt "Harry Potter und der Halbblutprinz" auf einer düsteren Note. Die Himmel sind grau in Muggelland beziehungsweise London. Und die Straßen wirken merkwürdig unbelebt, als hätten die Menschen keine Freude mehr. In der Gasse, in der Harry und seine Freunde einst ihre Zauberstäbe erworben haben, sind die Zeiten so schlecht, dass ein Geschäft nach dem anderen schließt. Und dann wird auch noch die Millenniumsbrücke durch ein Attentat zum Einsturz gebracht. Krise und Verunsicherung überall also, fast ist man verführt, diesen "Harry Potter" für ein Werk mit aktuellen Zeitbezügen zu halten. Dabei war das Schöne bislang doch immer, dass er gerade mit nichts zu tun hatte, dieser Harry Potter, weder mit "9/11" noch mit der Bankenkrise noch mit dem Niedergang von British Labour.

Doch mit den aktuellen Anspielungen hat es sich, sobald die Zauberschüler wieder ins Internat zurückkehren. Auch dort ist die Stimmung düsterer als sonst, was nicht allein auf das Konto von finsteren Mächten geht, breitet sich doch unter den Schülern eine gewisse Abschlussjahrwehmut aus, ganz so, als ob sie selbst schon wüssten, dass der nächste Teil nicht mehr in Hogwarts spielen wird. Orchestriert wird diese Melancholie des vorauseilenden Trennungsschmerzes von allerlei Schwärmereien untereinander, die, wie es in diesem Alter eben so ist, erst mal mehr Unglück anrichten als Glück bereiten. Ein paar dramatischere Dinge passieren auch, aber trotzdem wird man diesen Film am Ende wohl als den in Erinnerung behalten, in dem Ron seine erste Freundin hat.

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