Volkskunde des Wegschließens: Der Dieb, das dunkle Spiegelbild

Das Museum auf Schloss Gottorf in Schleswig zeigt Anlagen, mit denen das Eigentum der besitzenden Klasse durch die Jahrhunderte geschützt werden sollte. In ihnen spiegelt sich auch der Aufstieg des Bürgertums und seine Angst vor jenen Mächten des sozialen Umbruchs, denen es seine Existenz verdankt.

Das älteste Möbel Schleswig-Holsteins: Was hier wohl schon alles drin verschlossen wurde. Bild: Museum

Die Angst der anderen weckt uns samstags um sieben, wenn die Alarmanlage eines Luxusautos losjault, weil ein Vogel sein Geschäft verrichtete. Die Besitzenden wollen sich und das ihre nicht mehr allein dem Staat anvertrauen. Läuft man nachts durch die besseren Gegenden, macht fast in jedem Garten ein Bewegungsmelder das Licht an. Dabei sind Einbrecher und Autodieb nicht in erster Linie gefährlich, weil sie sich aneignen, was ihnen nicht gehört. Angst machen sie als Personifizierung der Gefahr, dass einem alles weggenommen werden kann. Weil nichts jemals sicher ist.

Das Bürgertum fürchtet, seit es ein Bürgertum gibt, den mit dem Verlust des Besitzes verbundenen Abstieg. Der Dieb verbreitet Schrecken, weil er ein Bote ist, den die dunklen Mächte des sozialen Umbruchs, der Krise, der Revolution, letztlich der prinzipiellen Veränderbarkeit sozialer Verhältnisse, denen das Bürgertum einst seinen eigenen Aufstieg verdankte, voranschicken. Der sozialen Dynamik des Kapitalismus verdankt das Bürgertum seine Existenz, und es versucht nun, dieser Dynamik zu entgehen. Gerade weil der Einbrecher das Bürgertum an seine dunkle Vergangenheit erinnert, weil sie so viel gemein haben, muss der Bürger sich vor ihnen schützen.

Eine wunderbare Ausstellung im Volkskundemuseum in Schleswig flüstert noch bis 31. Januar 2010 von der Angst der Bürger. Die Ausstellung heißt "Verschlusssachen" und zeigt Schlösser und Beschläge.

Das erste Exponat ist eine Standseitentruhe aus dem 12. oder 13. Jahrhundert, die mehr Beschläge aufweist als Holz. In ihr wurden Urkunden aufbewahrt, die Besitzansprüche zu sichern vermochten. Zu allen Zeiten wertvoller als Geld. Diese Truhe, das älteste Möbel des Bundeslandes, stand im Museum Schloss Gottorf und erfreute sich geringer Beachtung, bis sie für die "Verschlusssachen" entdeckt wurde.

In der ersten Vitrine ein Bettelbrett für den Ablass, gotisch, um 1470. Der Ablasshandel war eine für die deutsche und europäische Geschichte zentrale Einrichtung. Nicht zuletzt die Ablehnung des Ablasses führte zur Reformation und ihren Folgen. Auf dem Bettelbrett, in das der Ablass gelegt wurde, sehen wir den heiligen Petrus, der den Schlüssel zum Himmel in der Hand hält. Wenn du zahlst, dann schließt dir Petrus den Himmel auf, lautet die Botschaft. Weil die Päpste ihre Legitimation von Petrus herleiten, zieren Schlüssel ihre Wappen.

"Der Schlüssel ist ein Symbol der Macht, der Verfügungsgewalt", erklärt Museumsleiter Carsten Fleischhauer, der die Ausstellungstücke nicht ohne seinen Restaurator Wolfgang Heppelmann zusammenbekommen hätte, der "von Kindesbeinen an Schlösser und Beschläge sammelt". Und zwar lange Zeit in der DDR, wo er sie aus Häusern, die zusammengebrochen waren oder kurz davor standen, herausholte. Oft Häuser von Westflüchtlingen, die Wohnungssuchenden zugeteilt und von diesen kaputt gewohnt wurden.

Heppelmann schleppte, was er fand, ins Museum Güstrow. Ein Jahr vor der Wende verließ Heppelmann die DDR und ließ seine Schätze, nicht nur Schlösser, in der Nikolai-Kirche und in seiner Wohnung, wo sie vor den gierigen Fingern des Alexander Schalck-Golodkowski und dessen Mitarbeitern der Kommerziellen Koordinierung (KoKo) sicher waren. In Heppelmanns Stasi-Akte - auch die lange Zeit eine Verschlusssache - steht, dass seine Sammlung unter keinen Umständen in den Westen darf. Kam sie ein Vierteljahr vor der Wende aber doch.

Die Angst vor sozialer Veränderung ist kein Privileg des Kapitalismus und führt überall zu Mauern und Schlössern. Vieles in der Ausstellung ist - dank Heppelmann - aus Güstrow. Nicht aus Güstrow, sondern aus Haithabu ist ein Wikingerschloss aus Bronze, etwa 1000 Jahre alt. Weltweit gibt es sechs.

Dann haben wir eine "Fahrbüchse", entstanden um 1600, in der Münzprägestempel und Musterprägungen aufbewahrt wurden. Basis jeder merkantilen Tätigkeit. Die Büchse hat kein Schloss. Jedenfalls keines, das man sofort sieht. Man muss es suchen. Es sitzt unter einem der vielen Knöpfe der Büchse. Als Heppelmann die Büchse bekam, fragte er sich: "Wie kriegt man das auf?"

Viele der hier ausgestellten Schlösser sind mit Drachen und anderen mythologischen Figuren verziert. "Du", heißt das, "der du dich unrechtmäßig hier zu schaffen machst, wirst beobachtet, und am Ende holt dich der Teufel."

Um 1730, das Bürgertum ringt um den ihm gebührenden Platz in der Gesellschaft, entstanden die riesigen Portalschlösser für einen der Haupteingänge des Dresdner Schlosses. Für Schlösser und Beschläge an Möbelstücken gilt im 18. Jahrhundert, dass sie wertvoller sind als das, an dem sie sich befinden. In dieser Zeit gab es Hochsicherheitsschlösser, "die so sicher waren, dass sie nur mit Gewalt zu knacken waren", sagt Heppelmann. Die Herstellung, erwies sich aber, da nicht industriell, als zu teuer.

Aus dem 19. Jahrhundert, dem der Industrialisierung, zeigt uns Fleischhauer ein Zylinderschloss der weltweit erfolgreichen Marke "Yale". Nur hierzulande setzte sich Yale nicht durch, weil der Deutsche die glatte Seite des Schlüssels oben haben will. Das ist bei Yale umgekehrt. Also musste mittels aufwändiger Federkonstruktionen dafür gesorgt werden, dass wenigstens beim Schlüssel alles glatt ging. Wie bei Yale werden Schloss und Schlüssel nun nicht mehr vom Schmied, sondern industriell hergestellt, weil es viele sind, die Sicherheit brauchen, und viele sie sich leisten können.

Vom 20. Jahrhundert berichtet eine Vitrine mit Handschellen, einer schönen Auswahl von Dietrichen, einem Gefängnis-Schlüsselbrett, dem Schloss einer Gefängniszelle und einem Zellenguckloch. In der Mitte des Raumes liegt der per Schneidbrenner geöffnete Tresor einer Lübecker Autofirma. Die Tat wurde 1982 begangen. "Wenn die Schlösser so gut sind, hilft nur Gewalt", weiß Heppelmann.

Die Gegenwart wird in einer kleinen Vitrine abgehandelt. Die Gründe für die Sicherheitsmaßnahmen, auch für die Kameras im Hamburger Schanzenviertel, haben sich uns beim Gang durch die Ausstellung längst erschlossen.

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