EU-Parlamentarier Engström: Der Pirat unter grüner Flagge

IT-Experte Engström war vier Jahre lang arbeitslos. Jetzt ist er eine Art Medienstar, denn er sitzt als einziger Abgeordneter der schwedischen Piratenpartei im Straßburger EU-Parlament.

Plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit: Europapirat Christian Engström. Bild: reuters

Am Telefon meldet sich der Pirat schlicht mit „Christian“. Beim persönlichen Kennenlernen entpuppt er sich als Gegenkonzept zum Filmseeräuber Jonny Depp: Rundlich, freundlich, arglos begegnet Engström all denen, die den ersten Vertreter der Piratenpartei im Europäischen Parlament kennenlernen wollen.

Zu kurz geschnittenen grauen Haaren trägt er Ehering statt Ohrring und ein kleinkarriertes blaues Hemd. Etwas überwältigt von dem Zirkus, der nun um ihn gemacht wird, sitzt der 49jährige Schwede im Foyer eines kleinen Hotels im Gewerbegebiet von Straßburg und beantwortet geduldig Reporterfragen zu sich und seiner Partei.

Arte hat sich gerade verabschiedet, morgen kommt CNN – nie hätte er sich träumen lassen, dass seine kleine Partei, die in Schweden gleich im ersten Anlauf einen Sitz fürs Europaparlament errang, auch in den Nachbarländern auf so großes Interesse stoßen würde. Der Spitzenkandidat gehörte früher den schwedischen Liberalen an, arbeitete ehrenamtlich als Schöffe, bekleidete aber noch nie ein politisches Amt.

1997 verkaufte er seine IT-Firma, arbeitete noch eine Weile unter einem anderen Chef weiter und machte sich 2001 als Berater selbständig. Doch das Geschäft lief schleppend. Seit 2004 ist Engström arbeitslos und lebt von Ersparnissen.

Was sagen seine Frau und sein neunjähriger Sohn dazu, dass er die kommenden fünf Jahre wie ein Nomade leben wird und sie ihn nur noch am Wochenende sehen können? Die Frage verblüfft ihn sichtlich. Dann platzt er heraus: „Ich habe wieder bezahlte Arbeit! Das ist doch die Hauptsache, das hatte ich vier Jahre lang nicht!“ Außerdem sei auch seine Frau in der Piratenpartei aktiv, zuhause werde ständig über Informationsfreiheit im Netz, über den Schutz der Menschenrechte im Bereich der neuen Technologien geredet.

Informationsfreiheit gilt im Hause Engström auch für Minderjährige. Natürlich hat sein neunjähriger Sohn Internetzugang im Zimmer, die Eltern kontrollieren seinen Medienkonsum nicht. Klar gebe es da schreckliche Dinge zu sehen, räumt der Vater ein. Aber im wirklichen Leben gebe es schließlich auch viel Schreckliches. „Kinder lernen unglaublich viel aus dem Fernsehen und den neuen Medien“, glaubt er. Zensur im Netz lehnt Engström ab, ohne Ausnahme.

Die ganze Debatte um die Sperrung von kinderpornographischen Internetseiten zum Beispiel sei doch von Politikern nur inszeniert worden, um Tatkraft vorzutäuschen. „Wenn jemand etwas Verbotenes tut, muss man ihn bestrafen. Aber man darf nicht den Bürgern vorschreiben, welche Seiten sie aufrufen dürfen und welche nicht.“ Überhaupt werde das Thema maßlos aufgebauscht. „Haben Sie schon einmal so eine Seite gesehen? Also ich noch nie.“

Ob in der grünen Fraktion, der er sich Ende Juni angeschlossen hat, alle Abgeordneten diese Sichtweise teilen, hat Engström in der kurzen Zeit noch nicht herausfinden können. Die grüne Sprecherin Rebecca Harms merkt jedenfalls schon einmal an, dass es beim Urheberrecht Diskussionsbedarf gebe. Auch in Zukunft würden die Grünen sich dafür einsetzen, die Rechte von Autoren im Netz zu stärken.

Der Pirat sieht das natürlich anders und plädiert im Übrigen für Arbeitsteilung: Um Klimaschutz, Genfood oder andere wichtige grüne Themen sollen sich seine Fraktionskollegen kümmern. Sollten sich von Unternehmen bezahlte Lobbyisten in diesen Fragen an ihn wenden, wird er die Mails einfach löschen. Sollten politische Aktivisten sich melden, wird er sie an die entsprechenden Fachleute in seiner Fraktion weiterleiten. Er wird sich auf das Thema Neue Technologien konzentrieren, auf die neue Telekom-Gesetzgebung zum Beispiel oder eben auf Urheberrechtsfragen.

Sein Interesse für Politik entdeckte Engström 2004. Damals fand in Brüssel eine große Konferenz zum Thema Software-Patente statt und Engström sagte sich: Da fährst Du mal hin. Könnte interessant sein, dazu andere Meinungen zu hören und eine neue Stadt kennen zu lernen. Die Softwarepatentrichtlinie scheiterte schließlich am Widerstand des EU-Parlaments. Die Mehrheit hatte sich von den Interessenvertretern kleiner Softwarefirmen davon überzeugen lassen, dass solche Patente nur den großen Firmen nützen und die Entwicklung neuer Ideen behindert würde.

Hat ihn das politische Gewicht des Europaparlaments damals beeindruckt? Engström lacht. „Im Gegenteil! Ich war erstaunt, wie wenig sie mitzureden haben. Bevor ich zu der Konferenz nach Brüssel kam, dachte ich doch, sie seien ein richtiges Parlament mit vollen Rechten! Rat und Kommission, obwohl sie gar nicht demokratisch gewählt sind, haben viel mehr Macht!“ Und dennoch hat er selber sich um einen Sitz in diesem schwachen europäischen Parlament beworben? Engström nickt entschieden. „Informationspolitik, Zensur im Netz, das sind nun mal Themen, die man nur auf europäischer Ebene regeln kann.“

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