Gender-Expertinnen über Wirtschaftskrise: Testosteron erklärt die Krise nicht

Bei einer Podiumsdebatte halten Gender-Expertinnen wenig von biologischen Erklärungen. Die Krise bringe keinen männlichen Hormonstau zum Ausdruck.

Wäre die Wirtschaftskrise anders verlaufen, wenn der Bulle eine Kuh wäre? Bild: dpa

BERLIN taz | Hat Trendforscher Matthias Horx nicht den passenden Begriff kreiert? Die Wirtschaftskrise sei eine "Testosteronkrise", lässt er allenthalben verlauten. Die Zockermentalität des weitgehend männlichen Bankenwesens könne nur dem zügellosen Hormon geschuldet sein. Die Lösung: Frauen an die Macht! Feministinnen allerdings sind nicht durchgängig erfreut über die biologische Diagnose, zeigte sich am Dienstagabend bei einem Jour fixe der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema "Frauen und Finanzkrise".

Zwar gibt es Studien, die die Hormonthese stützen. Frauen zocken nachweislich weniger als Männer. Gemischte Vorstände in Firmen arbeiten angeblich besser als homogen männliche. Aber der Hormonstatus ist als Erklärungsfaktor extrem ungenau: Wenn Firmen mit mehr weiblichen Vorständen bessere Renditen erzielen, arbeiten sie in der Logik maximalen Wachstums, die angeblich so testosteronbeladen ist. Und was ist mit der Studie, nach der auch Frauen mehr Testosteron bilden, je höher sie im Beruf aufsteigen?

Frauen in Chefsesseln sind nicht die biologische Antwort auf die Krise, sondern eine demokratische Selbstverständlichkeit. Auf diese Aussage konnten sich die drei Wissenschaftlerinnen auf dem Böll-Podium einigen. Die Krise bringe auch keinen männlichen Hormonstau zum Ausdruck, so Soziologin Christa Wichterich. Sie verschärfe und konturiere nur die inneren Strukturen der Globalisierung. "Sie kehrt das Innere dieser Ökonomie nach außen", erklärte Wichterich, "Sie zeigt, dass das Geschlecht ein Organisationsprinzip dieser Wirtschaft ist."

So habe die Krise damit begonnen, dass unterbezahlte oder unterbeschäftigte Frauen soziale Sicherheit in einer kapitalistischen Geldanlage suchten. Die Subprime-Kredite für arme Häuslebauer in den USA gingen mehrheitlich an Frauen, vor allem Afroamerikanerinnen und Latinas. Wer sie dann zu hochexplosiven Wertpapieren bündelte, waren gut verdienende Männer im Bankensektor. Nicht zufällig, so Wichterich. In der Weltwirtschaft seien Männer im profitablen Zentrum wachstumsorientierter Sektoren positioniert.

Frauen dagegen arbeiten mehrheitlich an der Peripherie, im Care-Sektor etwa. Reproduktive Arbeit aber soll in einem profitgesteuerten System billig sein, am besten umsonst. In der Krise verschärft sich dieser Spardruck. "Frauen bleiben weltweit in Zuverdienerjobs stecken", beschreibt Wichterich die globale Entwicklung. Dies sei in der Krise besonders sichtbar.

Alexandra Scheele, Ökonomin von der Uni Potsdam, trat den biologistischen FrauenverherrlicherInnen am deutlichsten entgegen. Das Finanzsystem sei patriarchal geprägt, egal ob Männer oder Frauen darin agierten. Ebenso wie Deborah Ruggieri von Attac, der dritten Expertin auf dem Podium, sah sie in der Bioargumentation eher eine Ablenkung von der Idealisierung von Wachstum und der Geringschätzung weniger profitabler Dienstleistungen. Dieser Logik folgten auch die deutschen Konjunkturpakete: Investiert wurde in Industrie und Bauwesen, nicht in die personennahen Dienstleistungen und nur eingeschränkt in Bildung.

Je tiefer die Krise, desto rigider das Kostensenkungsregime. Je mehr Kostensenkung, desto eher wird die öffentliche Versorgung privatisiert und damit laut Wichterich zur unbezahlten Frauenarbeit gemacht. Dagegen müsse man nicht nur die Ressourcen der Umwelt wertvoller machen, sondern auch die Humanressourcen weiblichen Arbeitsvermögens. Dazu gehöre mehr Geld für Erzieherinnen, aber auch das Verbot von Spekulation mit Gütern der Daseinsvorsorge. Fazit: Die Globalisierungskritik könnte in dieser Krise eine kräftige weibliche Stimme brauchen.

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