Debatte G8: Der ewige Crash

Das Treffen in LAquila erinnert an den ersten Gipfel der "führenden Industrienationen" 1975. Kein Wunder: Die Krise ist systemimmanent.

Die Zeitmaschine, es gibt sie wirklich, nicht nur im Film! Die globale Finanzkrise macht es möglich, dass die Uhr plötzlich rückwärts läuft. Jedenfalls sind in diesem Crash schon die Fortschritte vieler Jahre vernichtet worden - nun wirken sie wie nie gewesen.

Beispiel Wachstum: Dort ist ein ganzes Jahrzehnt verloren gegangen. 2010 wird das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wieder ungefähr dort liegen, wo es sich schon im Jahr 2000 befand. Der zwischenzeitliche Boom ab 2005 wurde komplett ausradiert durch den jetzigen tiefen Fall der Wirtschaft.

Beispiel Aktien: Kürzlich wartete die Financial Times Deutschland mit der Berechnung auf, dass die Kursverluste an den Börsen seit Sommer 1989 mehr als ein Zehntel betragen - bei diesem Minus ist die Inflation eingerechnet. Jede Bundesschatzanleihe hat also in den vergangenen zwanzig Jahren besser abgeschnitten, während die Börsianer gleich zwei verlorene Jahrzehnte beklagen müssen.

Die Zeitschleife, in der die Politik gefangen ist, greift sogar noch weiter aus. Das Symbolwort lautet: G 8. Sie werden auch "die führenden Industrienationen" genannt, deren Regierungschefs sich ab Mittwoch im italienischen LAquila treffen. Es ist ihre fünfunddreißigste Zusammenkunft, und wie sich nun bestürzend zeigt, ist man seit dem ersten Gipfel 1975 nicht wesentlich weitergekommen. Damals wie heute schien eine Systemkrise des Kapitalismus zu drohen - und auch die Ursachen sind durchaus vergleichbar.

Im Jahr 1975 kam es zum tiefsten Wirtschaftseinbruch, der bis dahin seit dem Zweiten Weltkrieg zu verzeichnen war; die Statistiker konstatierten ein Minus von 0,9 Prozent. Sichtbarer Auslöser für die Krise waren die Opec-Staaten, die ihr Kartell erstmals strategisch nutzten und den Ölpreis von 1972 bis 1980 von 2,89 Dollar pro Barrel auf durchschnittlich 36 Dollar erhöhten.

Doch nicht nur der rasante Anstieg des Ölpreises war besorgniserregend. Genauso verstörend war damals das Währungschaos; der Dollar schien ins Bodenlose zu stürzen. Denn 1971 hatte US-Präsident Richard Nixon das Bretton-Woods-System aufgekündigt, das feste Wechselkurse vorsah und noch auf der Idee beruhte, dass die Leitwährung Dollar mit Gold hinterlegt sei. Diese Fiktion brach zusammen, nachdem die USA immer neue Dollarmassen in Umlauf gebracht hatten, um den Vietnamkrieg zu finanzieren. Seither flottieren die Kurse frei.

Um wieder Ordnung in die Weltwirtschaft zu bringen, lud Frankreichs Präsident Valéry Giscard dEstaing 1975 in das kleine Schloss Rambouillet bei Paris. "Wir haben uns in einem Wohnzimmer getroffen", erinnerte sich Exkanzler Helmut Schmidt später nostalgisch. "Und die Medien wurden über viele Kilometer auf Abstand gehalten." Diese Inszenierung hat sich inzwischen definitiv geändert; nach LAquila reist Angela Merkel mit einer Kanzlermaschine, die gut gefüllt ist mit Hauptstadtjournalisten. Doch zu den wichtigsten Problemen zählen noch immer der Ölpreis und das Weltwährungssystem, die schon in Rambouillet die Regierungschefs bewegten.

So kostet das Barrel Öl momentan rund 63 Dollar - mitten in der schwersten Wirtschaftskrise. Das ist sensationell. Vor zehn Jahren wurde selbst im Boom nur maximal die Hälfte fällig. Anders als 1975 wird der Ölpreis diesmal jedoch nicht allein durch die Opec und die Spekulation getrieben, sondern drückt reale Knappheiten aus. "Peak Oil" dürfte hinter uns liegen und die Fördermenge für immer ihren Höchstpunkt überschritten haben. Wenn die verfügbaren Ölvorräte jedoch sinken, könnte der Barrelpreis auf weit über 150 Dollar schießen, sobald der nächste Aufschwung einsetzt - und die Erholung wieder abwürgen.

Schon das erste Treffen in Rambouillet stand unter der Warnung möglicher "Grenzen des Wachstums", wie der Bestseller des Club of Rome hieß, der kurz zuvor erschienen war. Diese natürlichen Grenzen werden nun real erlebbar. Doch dazu wird jenseits der bekannten Bekenntnisse zur Energieeffizienz nichts zu hören sein aus LAquila.

Ähnlich lapidar gehen die Regierungschefs mit dem zweiten Thema um, das sich als Erbe von Rambouillet erweist: der latenten Währungskrise. Es steht noch nicht einmal auf der G-8-Tagesordnung, obwohl Wissenschaftler wie etwa der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz dringend dafür plädieren, den Dollar als frei flottierende Leitwährung abzulösen (siehe taz vom 23. 6. 09).

Inzwischen nämlich ist die Ursachenforschung vorangekommen, was nun eigentlich die jetzige Finanzkrise ausgelöst hat. Die mangelnde Regulierung allein kann den Crash jedenfalls nicht hervorgerufen haben. Es muss auch geklärt werden, woher das viele Geld stammte, das so dringend nach Anlagemöglichkeiten auf den Finanzmärkten suchte.

Eine Analyse ist nun: Nach der Asienkrise 1997/98 haben viele Schwellenländer angefangen, Devisen zu horten, um nie wieder erleben zu müssen, dass ihre Währung innerhalb von Tagen kollabiert. Hinzu kommt, dass China enorme Exportüberschüsse aufgehäuft hat. Inzwischen ist das Devisenpolster der Schwellenländer auf 4 Billionen Dollar angeschwollen, die meist in den USA angelegt wurden - und dort den Konsumrausch und die Hypothekenkrise befeuert haben.

Und als sei nichts geschehen, geht die Währungsspekulation munter weiter; sogar mitten in der Finanzkrise funktioniert sie bestens. So machen die Investmentbanken momentan einen großen Teil ihrer Gewinne, indem sie mit Devisen handeln.

Stiglitz schlägt daher vor, die Finanzmärkte zumindest zu beruhigen, indem eine Art Bretton Woods II aufgelegt wird - allerdings ohne jede Anbindung ans Gold. Neue Leitwährung sollten die sogenannten Sonderziehungsrechte des IWF sein, die sich aus einem Währungskorb der wichtigsten Devisen zusammensetzen. Doch dieser Vorstoß interessiert bisher nur Indien, China oder Brasilien, denen auf dem G-8-Gipfel aber nicht mehr als ein Gaststatus am Rande zugestanden wurde. Und so ist die Gefahr groß, dass dieser Crash nur der Crash vor dem nächsten Crash war.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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