Liberischer Bürgerkrieg "aufgearbeitet": Wahrheitsfindung, die keine war

Die Bürgerkriegskommission empfiehlt ohne Begründung, Liberias Staatschefin Johnson-Sirleaf vom Amt auszuschließen. Nicht nur deshalb mutet der Bericht seltsam an.

Zwischen 1989 und 2003 wurden in Liberia hunderttausende Menschen getötet. Bild: dpa

Einer der brutalsten Bürgerkriege Afrikas ist aufgearbeitet - aber die Folgerungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) Liberias aus ihrer Aufarbeitung des Kriegsgeschehens von 1989 bis 2003 stoßen im Land auf Befremden. Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen haben die Rücknahme des am vergangenen Donnerstag vorgelegten Berichts gefordert.

"TRC schießt Friedensprozess ab" titelte am Montag die Zeitung The Analyst, warnte vor erneuten Kriegsvorbereitungen und kommentierte: "Liberia kann nicht die halbe Bevölkerung strafrechtlich verfolgen, auch wenn dies Gerechtigkeit bringen würde, was es natürlich nicht tut."

Für Empörung sorgt vor allem die Empfehlung, Liberias derzeitige Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf, in ganz Afrika als Friedensbringerin für ihr Land verehrt, von öffentlichen Ämtern auszuschließen. Johnson-Sirleaf steht auf Platz 12 einer Liste von fünfzig "politischen Führern und Finanzierern verschiedener Kriegsfraktionen", die 30 Jahre lang keine gewählten oder ernannten öffentlichen Positionen mehr bekleiden sollten. Die Liste sei "keineswegs vollständig", heißt es.

Konkrete Vorwürfe gegen die Genannten werden nicht erhoben. Das Kriterium lautet lediglich: "Alle, die mit ehemaligen Kriegsfraktionen, ihren Führern, politischen Entscheidungsträgern, Finanzierern, Organisatoren, Kommandeuren und einfachen Soldaten assoziiert waren, sollen öffentlichen Sanktionen in der einen oder anderen Form ausgesetzt werden."

1847 Liberia entsteht. Die USA gründeten es zur Ansiedlung nach Afrika zurückgeschickter Sklaven.

1989 Rebellenführer Charles Taylor beginnt Krieg gegen Diktator Samuel Doe. Das Eingreifen Nigerias verhindert Taylors Sieg. Der Krieg dauert an und fordert hunderttausende Tote.

1996 Taylor gewinnt Wahlen. Seine Gegner kämpfen weiter.

2003 Rebellen kesseln die Hauptstadt Monrovia ein. Friedensvertrag entmachtet Taylor.

2005 Menschenrechtlerin Ellen Johnson-Sirleaf gewinnt Wahlen gegen Fußballer George Weah.

2007 Die 2005 gegründete Wahrheitskommission nimmt Anhörungen auf.

Jetzt fragt sich Liberias Öffentlichkeit, ob irgendjemand unter den vier Millionen Liberianern es geschafft haben könnte, sich 14 Jahre lange nicht mit irgendeinem Mitglied dieser Täterkategorien zu "assoziieren". Johnson-Sirleaf soll früher, was im Bericht nicht steht, mit der NPFL (Nationale Patriotische Front Liberias) von Charles Taylor sympathisiert haben, der 1989 den Krieg gegen Liberias damaligen Diktator Samuel Doe begann und 1996 bis 2003 Liberia regierte.

Auch Mitglieder der Wahrheitskommission dürften von ihrem eigenen Vorwurf betroffen sein, wie die Friedensgruppe "Coalition for Peace and Tranquility" anmerkt. Manche nahmen auch direkt am Kampfgeschehen teil: "Von ,einfachen Soldaten' zu sprechen, bedeutet eine Anklageerhebung gegen Kindersoldaten, die von verschiedenen Fraktionen zwangsrekrutiert und in den Kampf geschickt wurden, unter ihnen Schlüsselmitglieder der TRC wie John Stewart." Der TRC-Bericht nimmt Kindersoldaten von strafrechtlicher Verantwortung aus.

Für die Täter selbst - die rund 250.000 Menschen, die irgendwann während der 14 Jahre Krieg in einer bewaffneten Gruppe aktiv waren - empfiehlt die Wahrheitskommission ein Sondertribunal. Auch das stößt auf Überraschung, da die TRC als Alternative zu einem Tribunal gedacht war. Der Bericht veröffentlicht eine Liste von acht Kriegsführern sowie der 98 "notorischsten Täter". Auf der letzteren Liste stehen Fantasienamen wie "Blood Sucker War Boss", "Mike Tyson" oder "Chinese Jabber".

"Alle Kriegsparteien sind für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich", so der Bericht. Es habe davon genau 155.130 gegeben. Charles Taylors NPFL sei am schlimmsten mit 63.843 Verletzungen.

Liberias Parlament muss nun entscheiden, ob es den Bericht annimmt. Darin haben Johnson-Sirleafs Gegner eine Mehrheit. Menschenrechtsgruppen hoffen, dass der Streit um die Präsidentin weitere Versöhnungsarbeit in Liberia nicht verhindert.

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