Lärm um den neuen Großflughafen: Flugplatz trotzt Naturschutz

Die Anwohner im brandenburgischen Schönhagen wehren sich gegen die Nebenwirkungen eines Flugplatzes: Waldrodungen und Lärm im Naturpark.

Noch eine Baustelle, bald das Drehkreuz der Hauptstadt: Der künftige Großflughafen BBI. Bild: Reuters

Der künftige Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) in Schönefeld wird größer und teurer als geplant. Die Kapazität zur Eröffnung im Herbst 2011 wird laut Betreibergesellschaft von bisher geplanten 25 Millionen auf bis zu 27 Millionen Passagiere pro Jahr erhöht.

So soll es zum Beispiel nicht 60, sondern 80 Abstellpositionen für Jets geben. Damit mehr Flugzeuge abgefertigt werden können, sind am Terminal drei statt zwei Rollgassen geplant. Dadurch steigen die veranschlagten Investitionskosten von 2,2 Milliarden auf 2,5 Milliarden Euro.

Das Finanzierungskonzept für eines der letzten großen Verkehrsprojekte der deutschen Einheit ist nun endgültig unter Dach und Fach. Dafür sind Kreditvereinbarungen über insgesamt 2,4 Milliarden Euro mit acht Banken geschlossen worden. (dpa)

30 50 30 - diese Telefonnummer können die Einwohner des brandenburgischen Schönhagen im Schlaf. Wenn wieder während des Nachmittagskaffees ein Hubschrauber im Luftraum über dem Garten steht und jedes Gespräch unmöglich macht, wenn ein Kleinflugzeug ohne Unterlass über den Häuserblock kreist, dann greifen die Schönhagener zum Telefonhörer. 30 50 30 ist die Telefonnummer des Towers. Wenn die Anrufer Glück haben, ist der Fluglotse freundlich, wenn sie viel Glück haben, verspricht er, sich um das Problem zu kümmern. Neulich hat ein Lotse sogar zurückgerufen. Und ausgerichtet, dass sich der Pilot für den Lärm entschuldigt. "Da war ich im siebten Himmel", sagt Anwohnerin Renate Thomas. Der Normalfall ist das nicht.

Den Normalfall hält Norbert Wagner, der in einer der wenigen Straßen Schönhagens wohnt, schon gar nicht mehr aus. "Am Wochenende, wenn hier richtig was los ist, dann flüchte ich." 52.000 Starts und Landungen im Jahr verzeichnet der kleine Flugplatz in Schönhagen nach Aussage seines Geschäftsführers Klaus-Jürgen Schwahn im Jahr. Das wären durchschnittlich über 140 pro Tag. "Mal gibt es Tage mit 500 Flugbewegungen, mal nur 50", erklärt er jedoch. Mit dafür verantwortlich ist unter anderem der Kundenstamm des Flugplatzes: Vor allem Flugschulen - zwei für Hubschrauber und drei weitere für Flugzeuge - nutzen die Hangars und die beiden Start- und Landebahnen. Unter der Woche ist bei den fünf Flugschulen weniger Betrieb, entsprechend laut wird es für die Schönhagener am Wochenende.

Rein optisch ist der Flugplatz eine Idylle. Bis auf die geteerten Bahnen und das Rollfeld ist das Gelände grün, rundherum Wald und zwei kleine Hügel, angrenzend ein Vogelschutzgebiet nach dem europäischen FFH-Standard. Wenn gerade kein Flugzeug startet oder landet, sind das Zwitschern von Vögeln und das Summen von Bienen zu hören und der Aussichtspunkt mitten auf dem Flugplatz wirkt friedlich wie eine Waldlichtung. Die Idylle ist sogar gesetzlich geschützt: Der Flugplatz liegt mitten im Naturpark Nuthe-Nieplitz.

Dass ein Flugplatz in einem Naturpark überhaupt möglich ist, geht auf die parallelen Nach-Wende-Verfahren von Flugplatzgenehmigung und Schutz des Gebietes als Naturpark zurück. "Die unterschiedlichen Stellen haben es nicht mitbekommen, dass sie gleichzeitig einen Flugplatz und einen Naturpark genehmigen", kritisiert Anwohner Norbert Wagner. Doch darüber regt sich heute kaum noch jemand auf. Denn die Anwohner befürchten Schlimmeres.

Ein Indiz dafür sind die neuen Mieter, die noch vor Jahresende auf den Flugplatz ziehen sollen: die Hubschrauberstaffel der brandenburgischen Polizei. "Voraussichtlich ab November werden die Hubschrauber hier sein, zunächst in einem vorhandenen Hangar, etwa nach einen Jahr im eigenen Gebäude", sagt Flugplatzchef Schwahn. "Diese zwei Hubschrauber sind nur der Anfang", befürchtet Wagner. Er und zwei Dutzend andere Anwohner, die sich in der Bürgerinitiative des Ortes engagieren, gehen davon aus, dass wegen der beiden Hubschrauber unter anderem die Nachtflugerlaubnis ausgedehnt wird. Derzeit sind nur 15 Nachtflüge gewerblicher Art im Monat gestattet.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich bis zuletzt gegen den Umzug der Hubschrauber von Schönefeld nach Schönhagen gewehrt. "Wir können nicht garantieren, dass die 15 Nachtflüge monatlich eingehalten werden", erklärt Andreas Schuster, Landesbezirksvorsitzender der Gewerkschaft. Er prangert die Entscheidung vor allem aus "polizeitaktischen und Effektivitätsgründen" an. Von Schönhagen aus würden die Flüge - im Gegensatz zu einem Start vom zukünftigen Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI) - deutlich länger. Das koste Zeit und Geld. Ebenso wie die Umplanung. Denn eigentlich gab es unter anderem schon eine Raumplanung für BBI. "Ich sags mal so: persönliche Kontakte", vermutet Schuster als Erklärung für den plötzlichen Meinungsumschwung im Brandenburger Innenministerium. Das wehrt sich mit Wortkargheit gegen die Argumente der Anwohner und Gewerkschaft: "In die Entscheidungen wurden alle erforderlichen Überlegungen einbezogen", kommentiert Sprecherin Dorothée Stacke.

Ein weiteres Indiz, dass der Flugplatz wachsen soll, liegt gleich neben den Zäunen, die den Flugplatz begrenzen: Äste und Stämme, die vor einigen Monaten noch Bäume waren, sind ordentlich aufgeschichtet. Mehrere Hektar wurden hier gerodet - für den Flugbetrieb. Denn in Zukunft soll, wer in Schönhagen landet, nicht mehr auf Sicht fliegen müssen, sondern mit dem Instrumentenlandesystem (ILS) navigieren können. Der Flugplatzchef begründet das mit einem Zugewinn an Sicherheit für die Piloten und an Wettbewerbsvorteil für ansässige Unternehmen. Doch das ILS funktioniert nur ohne Hindernisse. Daher müssen die Bäume weg.

Die Anwohner glauben nicht an das Argument vom Sicherheitsgewinn. Schon eher an einen Wettbewerbsvorteil - aber weniger für die Unternehmen als für den Flugplatz selbst. Sie gehen davon aus, dass nicht nur die Polizeihubschrauber, sondern auch die Kleinflugzeuge aus Schönefeld nach Schönhagen kommen sollen - und nicht nur Geld für den Flugplatz, sondern vor allem noch mehr Lärm mitbringen. "Die Kleinflugzeuge haben wir ja schon zum Teil", entgegnet der Flugplatzchef. Dass Schönhagen "zur dritten Startbahn" von BBI werden solle, würde er so unterschreiben.

Während alles danach aussieht, dass die Bürgerinitiative bei dem Umzug der Hubschrauberstaffel ihren Kampf verloren hat, sieht sie für die Erhaltung des Waldes noch Chancen. Nach Gesprächen mit der Forstbehörde wurden die Fällarbeiten erst einmal gestoppt. Nun soll es eine Umweltverträglichkeitsprüfung geben. Mitte Mai haben sich dafür Forstbehörde, Flugplatzbetreiber und Umweltverbände zusammengesetzt. Nach Ansicht der Umweltschützer darf das Verfahren aber erst im kommenden Jahr abgeschlossen werden. Denn die betroffene Flora und Fauna müsse während ihres Wachstums- und Entwicklungsperiode von März bis September untersucht werden. Für eine Untersuchung über den gesamten Zeitraum ist es jetzt schon zu spät. Doch selbst, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass der Wald gerodet werden darf, muss der Flugplatz mit den Besitzern der Waldstücke verhandeln. "Ich kenne einige Waldbesitzer, die geben ihren Wald unter keinen Umständen her", ist sich Wagner sicher. Als letztes Mittel bliebe nach Ansicht der Bürgerinitiative nur die Enteignung - ein Verfahren, das sich über Jahre hinziehen kann.

Die Schönhagener üben sich zwischen Protestbriefen und Transparenten an ihren Fassaden in Realismus: "Abreißen können sie den Flugplatz nicht mehr, aber sie sollen ihn zumindest nicht weiter ausbauen", sagt Wagner. Einige tragen sich mit dem Gedanken, ihr Haus aufzugeben und wegzuziehen. Andere hoffen, dass vielleicht für BBI doch noch eine dritte Landebahn gebaut wird und die Piloten der Kleinflugzeuge lieber von dort starten. Dann könnte in Schönhagen wieder ein bisschen Ruhe einkehren.

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