Staatsaffäre um Berlusconi: Spaß mit den Papis

Skandal? Ach was, Silvio Berlusconi wollte doch nur, dass die 18-jährige Noemi ihn in seinem Kampf gegen das Böse bestärkt: die Kommunisten und die Fremden. Die Italiener verstehen das.

Italiens Ministerpräsident und seine.... äh, sein Model: Noemi Letizia. Bild: dpa

Jetzt ist schon wieder nichts passiert. Weder bei den Europa- noch bei den Kommunalwahlen hat Silvio Berlusconi nennenswerte Einbußen hinnehmen müssen, mit Gaddafis Besuch lief auch alles super, ja selbst Barack Obama trägt ihm nicht nach, dass er einst feststellte, der Präsident sei "schön, jung und braungebrannt". Und ob die seit Anfang der Woche herumschwirrenden Gerüchte, eine Staatsanwaltschaft in Apulien bereite im Zuge von Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität auch einen "kräftigen Schlag" gegen den Premier vor, ihn tatsächlich nervös machen, wie La Repubblica berichtet? Vorerst jedenfalls hat jenes Drittel der italienischen Gesellschaft, das seit mehr als zwanzig Jahren verzweifelt versucht, den "Cavaliere" loszuwerden, gerade mal wieder alle Hoffnung fahren lassen.

Auslöser für die schnell "Noemi Gate" betitelte Staatsaffäre war ein Abstecher des Ministerpräsidenten zur 18. Geburtstagsparty einer neapolitanischen Schönheit namens Noemi Letizia am 26. April dieses Jahres. Die junge Frau wurde mit einem Diamantencollier beschenkt, alle waren fröhlich, und irgendwann bestieg der Märchenprinz Berlusconi seine Karosse und fuhr aus der Camorra-verseuchten nördlichen Peripherie Neapels zurück ins Hotel im Zentrum. Wie kam es zu diesem Besuch, fragte der Teil der italienischen Presse, der ihm noch nicht aus der Hand frisst, allen voran La Repubblica?

Nachweislich gelogen war, dass Berlusconi Noemi über ihre Eltern kennengelernt habe, mit denen ihn eine langjährige Freundschaft verbinde. Die Wahrheit ist, dass das Modelbook der ehrgeizigen Göre auf seinem Tisch landete und er das Mädchen dann im Oktober 2008 einfach mal anrief, ihr Fragen nach ihren schulischen Erfolgen stellte und säuselte, wie rein sie sei und dass sie sich diese Reinheit erhalte müsse. Aber wer das denn sei, der all das von ihr wissen wolle? Darauf er: "Wenn ich es sage, dann glaubst du es nicht." Und: "Hört man denn nicht, wer ich bin?" So erzählte es jedenfalls Noemis damaliger, inzwischen abservierter Freund Gino Flaminio.

Seit diesem Telefonat sagt Noemi zu Berlusconi "Papi".

Ende 2008 lud "Papi" Noemi dann zu einer mehrtägigen Silvestersause auf sein Disneyland-artiges Anwesen auf Sardinien ein (sein Sardinien: regiert vom Sohn seines Steuerberaters). Und fortan lebt die junge Frau in einer anderen, der schmierig-schillernden Märchenwelt, von der nicht nur sie (schon ist die Rede von einer neuen "sozialen Klasse" minderjähriger TV-Showgirl-Aspirantinnen ) immer geträumt hat. Es ist ein Ambiente, aus dem "Papis" Nochgattin Veronica Lario (52) gerade dabei ist, sich endgültig zu verabschieden - mit der öffentlich abgegebenen Begründung, dass er intim mit Minderjährigen verkehre (und das, obwohl sie ihn "immer geliebt" habe).

Der Premierminister einer der bedeutendsten Industrie- und Kulturnationen der Welt, Milliardär und Eigentümer eines marktbeherrschenden privaten Medienkonzerns (von seinem politischen Einfluss auf das Staatsfernsehen RAI zu schweigen) ruft Topmodel-geile Mädchen, die sich als lebende Schaufensterpuppen für Shows seiner Fernsehsender beworben haben, auf ihrem Handy an; er versammelt "40 bis 50" (La Repubblica) solcher "veline" auf seinem gigantischen Domizil "Villa Certosa", wo sie - laut Noemi - "viel Spaß" hatten. Der Präsident ist dabei immer korrekt gekleidet - was man nicht von allen Gästen sagen kann. Auf einem der Fotos des sardischen Fotografen Antonello Zappaddu, die die spanische Zeitung El País veröffentlicht hat, ist der tschechische Exministerpräsident Topolanek zu identifizieren, wie er sich, seinem halb erigierten Penis folgend, je nach Interpretation einem Handtuch oder einer topless sonnenbadenden Frau nähert. Diese Fotos machten die Reise um die ganze Welt und führten dazu, dass der Anteil der italienischen Besucher der El-País-Website von 1 Prozent auf 20 Prozent anstieg.

Vergangenen Freitag erzählte Zappaddu nun La Repubblica, dass er noch 4.300 Fotos in petto habe - 700 hat die Staatsanwaltschaft einkassiert, sie dürfen in Italien nur über den Umweg des Verweises auf die El-País-Website veröffentlicht werden. Zappaddu sagt, dass die Fotos, die er demnächst im Ausland publizieren will, zwar nichts "Aufreizendes" zeigen, deutet aber an, dass auf "La Certosa" regelmäßig Mottopartys der Art veranstaltet wurden, dass junge Frauen - manche mit "slawischen" Gesichtszügen - leicht bekleidet, in hohen Stiefeln oder High Heels zwischen dem Premier und anderen alten Männern herummodeln. Ein Foto zeige sogar eine Hochzeitsszene inklusive Brautstrauß von Berlusconi und einer jungen Frau.

Man kann das ein Gesamtkunstwerk des Aufgeilens nennen, man kann darin aber auch schlicht die Real-Live-Version eines normalen italienischen TV-Abends sehen, mit denen Berlusconi ein Vermögen gemacht hat: Das gleiche Spiel in echt: Alte Männer erzählen schlechte Witze, während sie sich durch eine Riege halbnackter Tänzerin schlängeln. Dazu passt, dass - sagt Noemi - Berlusconi von ihr vor allem wollte, dass sie ihm zuhört und ihn dadurch in seinem Kampf gegen das Böse bestärkt und tröstet. Veronica Lario hingegen widerspricht auch schon mal, etwa, als sie es geschmacklos fand, dass ihr Gatte Filmsternchen ins Europaparlament entsenden wollte, damit da auch mal Leute sitzen, die "gut angezogen sind und nicht stinken". Mit dieser großen Show hat Berlusconi einige Dinge klargestellt: Er macht nicht nur Spektakel, er ist es selbst; und alle machen mit, alle wollen sehen, wollen wissen, was und mit wem er es treibt. Wer neidisch ist, wählt statt seiner Partei eben die Lega - das sind die, die sich keine Villa und keine Nuttenkolonnen leisten können, sondern mit dem Autostrich vorliebnehmen müssen, um ein paar Stunden später in Fantasieuniformen der "guardia nazionale padana" die Ausweisung aller illegalen Ausländer tatkräftig zu befördern.

Der Bestsellerautor Massimo Carlotto analysiert, Berlusconi habe einen "sozialen Block" kreiert, der von ihm ökonomisch profitiert und ihn unbeirrbar unterstützt - ob nun einzelne Handlungen oder sein ganzes, gleichzeitig bewusst und natürlich vulgäres, scheinbar antipolitisches Gebaren gefallen oder nicht. Der traurige Rest, die Demokratische Partei, das "Italien der Werte" Antonio Di Pietros, die "Linken" - sie alle sind inzwischen "verbannt im eigenen Land" (La Repubblica). Rätselhaftes Italien? "Stinkstiefel" (SZ)?

Ach was! Massen sogenannter Satiriker haben sich hierzulande an "Birne" abgearbeitet (dessen Verhältnis zu Frauen und zum Privatfernsehen wir hier mal nicht behandeln) - Erfolg: null. Franz Josef Strauß überlebte sämtliche schmutzigen bis schlüpfrigen Skandale, trotz linksintellektuellem Dauerfeuer. Wenn wir aufhörten, auf den gelifteten Spaghetti da unten mit Herablassung zu schauen, sondern uns an unsere eigene Schande erinnerten, dann wüssten wir, dass Berlusconi nur auf zwei Arten gestürzt werden kann: Aus den eigenen Reihen (wie Kohl) oder durch einen unerwarteten, exzessiver Lebensführung geschuldeten Tod (wie Strauß) - also letztlich durch eigene Hybris. Seine Frau sagt ja schon: "Meinem Mann geht es nicht gut."

Dass es nicht lohnt, sich an ihm abzuarbeiten, haben die klügeren italienischen Intellektuellen längst erkannt. Immerhin, schrieb der Schriftsteller Paolo Nori, habe Berlusconi die an sich faschistischen Italiener zweimal dazu gebracht, die Linke an die Macht zu wählen - was seit Gründung des italienischen Nationalstaats 1860 nie der Fall gewesen sei. Diese linken Regierungen haben aber nun nicht einfach nur versagt (Berlusconis Medienimperium, auf das er unter gar keinen Umständen verzichten kann, blieb unangetastet), sie waren zu dumm und zu arrogant, überhaupt zu erkennen, mit wem sie es zu tun hatten, in welcher veränderten Welt sie lebten.

Kein Wunder, dass Berlusconi die Versuche, ihm ans Bein zu pinkeln, nicht nur ignoriert, sondern seine Gegner souverän verhöhnt. Nach den Wahlen kündigte er an, sich bei Noemi - die ganz nach Plan zur nationalen Berühmtheit avanciert ist - für ihre Treue, die seinen Wahlerfolg erst ermöglicht habe, zu bedanken: mit einer Party für sie und ihre Familie auf - na? - Sardinien. "Papi" kümmert sich eben immer um alles, hatte Noemi schon dem Corriere del Mezzogiorno gesagt, denn "er schläft nie". Wie Mussolini, genau. Na und?

Angstpolitik

"Papi" ist eine der Haupttendenzen des Zeitalters, weil er verstanden hat, dass aus dem 20. Jahrhundert zwei Dinge aktuell geblieben sind: die Angst vor dem Kommunismus und die vor dem Fremden. Immer wenn er auch nur ansatzweise in die Defensive gerät, unterstellt er ein linkes Komplott und lässt anschließend ein rassistisches Statement vom Stapel, etwa der Art - kurz vor den Wahlen -, in Mailand sehe es aus wie in Afrika. "Dieses Ungeheuer von einem Mann ist von einer unheimlichen Wachsamkeit, Schnelligkeit und Umsicht", hat Cicero als Repräsentant einer in den letzten Zügen liegenden Staatsform einst über seinen Gegner gesagt. Der Gegner hieß Cäsar, seine Soldaten hatte ihm die Republik selbst zur Verfügung gestellt.

Noemi will übrigens in die Politik gehen, die "süße blonde Madonna". Ihr Programm: weniger Steuern, mehr Kontrollen. Der zweite Punkt muss in der Umsetzung wegfallen - das wird "Papi" ihr schon noch beibringen.

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