taz-Veranstaltung: Deutsche China-Baustellen

Studentenbewegung 1968 und die Kulturrevolution, die SED und das Tiananmen-Massaker von 1989 - was in China passierte, wurde auch immer in Deutschland aufgegriffen.

Die wachsende wirtschaftliche Bedeutung Chinas wird noch immer von Menschenrechtsverletzungen überschattet. Bild: dpa

Wer heute glaubt, die Ereignisse der vergangenen vier Jahrzehnte in China liefen hierzulande eher unter ferner liefen, der irrt. Was im Reich der Mitte geschah, ist auch in Deutschland immer wieder vor dem Hintergrund hiesiger Verhältnisse aufgegriffen oder gar politisch funktionalisiert worden.

So haben große Teil der westdeutschen Studentenbewegung in den späten 60er und bis weit in die zweite Hälfte der 70er Jahre die chinesische Kulturrevolution (1966 bis 1976) als antiautoritäre Bewegung verherrlicht, die dazu bestimmt war, "eine versteinerte und eigensüchtige Parteielite hinwegzufegen", wie es der taz-Autor und ehemalige Studentenführer Christian Semler formuliert.

Großen Einfluss hatte aber auch die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung am 4. Juni 1989 auf die ostdeutsche Bürgerbewegung.

Und heute? Beeindruckt einerseits von der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung Chinas sorgt man sich hierzulande andererseits umso mehr um die massiven Menschenrechtsverletzungen, die in China nach wie vor auf der Tagesordnung stehen.

Die 68er-Studentenbewegung und die Kulturrevolution, die SED und die "chinesische Lösung" sowie der deutsch-chinesische Dialog der Zivilgesellschaften heute - darüber diskutierten am Donnerstag im taz-Café neben dem Alt-68er Semler auch Christian Halbrock, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen ("Birthler Behörde), sowie die Sinologin Nora Sausmikat vom EU-China Civil Society Forum.

Semler, der Mitbegründer und von 1976 bis zu deren Auflösung 1980 auch Vorsitzender der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands war, begründet seine einstige Begeisterung vor allem damit, dass Mao im Gegensatz zum klassischen Marxismus nichts als endgültig gegeben ansah. "Faszinierend war für mich ein Denken, das sich an der Bewegung von Widersprüchen orientierte", erinnert sich Semler. Mao propagierte die permanente Revolution. Und die Kulturrevolution war für große Teile der westdeutschen Studentenbewegung ein Versuch, den "privilegierten Status von Intellektuellen abzuwerfen und dem Volke zu dienen". Daher habe es auch eine große Faszination für den Maoismus vor allem bei Ärzten, Juristen, Krankenschwestern und gar Theologen gegeben.

Semler gibt zu, dass über die Demütigungen, denen viele Intellektuelle in China damals ausgesetzt wurden und die massiven Menschenrechtsverletzungen viele linke Studenten in Westdeutschland durchaus informiert waren. "Dies wurden als Begleiterscheinung des Klassenkampfs" angesehen und nicht weiter kritisiert."

Erst als mit dem Tod von Mao 1976 die Verbrechen der Viererbande auch in China offiziell enthüllt wurden, habe auch hierzulande die Linke begonnen, den Maoismus zu hinterfragen. Zunächst seien nach dem Sturz der Viererbande zwar nur wenige Mitglieder ausgetreten, berichtet Semler. "Aber der Zustand der Begeisterung war dahin".

Podiumsdiskussion im taz-Café am Donnerstag. Bild: felix lee

Heute sieht Semler die Kulturrevolution als ein "zwiespältiges Phänomen": Einerseits die Morde und die Verfolgung von Millionen Menschen, andererseits den anfänglichen revolutionären Schwung vieler Jugendlicher, deren Enthusiasmus später so grausam enttäuscht wurden. Für Semler und viele andere Linksradikale rückte ab 1980 die

Menschenrechtsfrage in den Mittelpunkt des politischen Denkens. Sie solidarisierten sich mit den demokratischen Oppositionsbewegungen in Osteuropa als "eine Art praktischer Selbstkritik".

Von diesen Solidaritätsbekundungen der westdeutschen Linken hatten nur wenig spürbaren Einfluss auf die politischen Entwicklungen in Ostdeutschland. Im Gegensatz zu den osteuropäischen Nachbarländern kam es bis zum Frühsommer 1989 nicht zu den entsprechenden Protesten in der DDR. Als im Frühjahr 1989 die Studenten in Peking auf die Straße gingen, hätten sich in Ostdeutschland die meisten Menschen "beschämt" gefühlt. "Obwohl es überall Proteste und Reformbewegungen gab, blieb Ostdeutschland eine Wüste, wo die Bevölkerung schwieg", erinnert sich Halbrock.

Zugleich entbrannte unter den Bürgerrechtlern ein Streit über die Reformfähigkeit des Sozialismus, den der sojwetische Staatschef Michail Gorbatschow beschwor. Denn anders als etwa in Polen und Ungarn sei für die DDR-Führung klar gewesen: Eine Reform war immer verbunden mit der Auflösung der DDR.

Der demonstrative Schulterschluss der SED-Führung mit der Kommunistischen Partei nach der Niederschlagung der Proteste in China sei für die ostdeutsche Bürgerrechtsbewegung ein Schock gewesen, berichtet Halbrock. Bis zum Mauerfall am 9. November befürchteten sie die "chinesische Lösung". Deswegen sei die ostdeutsche Protestbewegung bis zum Schluss darauf bedacht gewesen, es zu keiner Gewalt auf den dann doch anschwellenden Demonstrationen kommen zu lassen. "Jeder wusste, dass die SED-Führung auf diesen Anlass nur wartete", so Halbrock.

Die "chinesische Lösung" blieb den Ostdeutschen erspart. Nicht zuletzt deswegen gebe es hierzulande heute das Bemühen, beim Aufbau einer chinesischen Zivilgesellschaft in China beizutragen. Nora Sausmikat vom EU-China Civil Society Forum weist auf einen grundlegenden Denkfehler hin, den es bei vielen Initiativen jedoch dabei gebe. Mehr als 380.000 Nichtregierungsorganisationen seien in China inzwischen offiziell registriert, von denen viele den Namen gar nicht verdienten, weil sie zum Teil doch staatlich angebunden sind.

Der Begriff der Zivilgesellschaft in China werde heute auch nicht mit einem oppositionellen Modell verknüpft, sondern "kooperativ" verstanden. Spätestens seit dem schweren Erdbeben vergangenes Jahr in der Provinz Sichuan wird der Begriff selbst von der Regierung positiv aufgegriffen. "Die Zivilgesellschaft in China dient als Lückenbüßer für Wohlfahrtsaufgaben, die der Staat nicht auffängt", so Sausmikat. Die hohen Erwartungen auf europäischer Seite würden aus diesem Grund häufig nicht erfüllt werden. Viele Hilfsorganisationen in Deutschland befürchteten, vom chinesischen Regime instrumentalisiert zu werden.

Semler steht vor allem Initiativen wie dem deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog kritisch gegenüber. Zentrale Fragen der Rechtsstaatlichkeit wie die Todesstrafe blieben auf diesem Weg auch weiterhin unberührt. Wichtiger für ihn sind Initiativen, die die individuelle Haltungen der Chinesen gegenüber dem Regime stärken. "Der Wille zur Umgestaltung muss schon im Land selbst entstehen."

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