Senegalesin gegen Europaflucht per Boot: "Wir zeigen ihnen das wahre Europa"

Sie möchte Jugendliche von der gefährlichen Überfahrt abhalten, sagt Yayi Bayam Diouf aus Senegal. Ihr eigener Sohn starb auf dem Weg nach Europa.

Erschöpft und paralysiert: Flüchtlinge aus Afrika auf dem Weg nach Spanien. Bild: dpa

Die 49-Jährige aus Thiaroye, Senegal, ist Präsidentin der Womens Association Against Illegal Migration. Etwa 350 Mitglieder in 34 Ortsverbänden leisten Aufklärungsarbeit. Diouf nahm im Mai an der Tagung "Festung oder Freiheit" zur EU-Grenzpolitik in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin teil.

taz: Frau Diouf, Sie wollen Jugendliche von der gefährlichen Reise nach Europa in klapprigen Booten abhalten. Wie kamen Sie darauf?

Yaya Bayam Diouf: Ich komme aus einer Fischergemeinde, in der die Männer mehrere Frauen haben und wo es keine Arbeitsplätze mehr gibt. Im März 2006 ist mein Sohn mit 80 anderen in einem Boot nach Europa aufgebrochen und alle ertranken. Das war sehr schwer für mich, denn ich hatte nur diesen einen Sohn. In unserer Gesellschaft hat der Mann eine sehr dominante Rolle. Wenn es in einer Familie keine Männer gibt, dann ist dies eine Familie, der man nachsagt, dass sie verschwindet.

Inwiefern?

Diese Familie hat einfach keinen Einfluss in der Gesellschaft. In unserer Gemeinschaft haben die Frauen weder Zugang zu Bildung, noch ein Mitspracherecht. Als ich gesehen habe, dass auch andere junge Männer wie mein Sohn über das Meer nach Europa aufbrechen, habe ich es gewagt, das Wort zu ergreifen, damit die Stimme der Frauen gehört wird. Ich habe die Frauen, deren Söhne ebenfalls gestorben sind, angesprochen, um eine Sensibilisierungskampagne zu starten.

Wie war das?

Natürlich sehr schwierig. Erstens verliert man einen wichtigen Menschen und dann darf man noch nicht einmal darüber reden. Aber ich habe versucht, wirklich auf die Gesellschaft einzuwirken. Ich habe mit vielen führenden Persönlichkeiten gesprochen. Ich habe Kampagnen gestartet und Resonanz bekommen. Und dann hat mir meine Gemeinde die Erlaubnis erteilt, mich auszudrücken, meine Stimme zu erheben. Andere Fischergemeinschaften wenden sich an mich, damit ich einen Multiplikationseffekt erziele. Das war für mich der erste Trost.

Sie haben aber auch Anerkennung erfahren.

Ich bin in meiner Gemeinschaft ein ehrenwertes Mitglied geworden. Ich bin in einem Kreis von Männer, und wenn es eine Entscheidung zu treffen gibt, werde ich gefragt. Das ist das erste Mal in dieser Gemeinschaft! Sich auszudrücken ist etwas Gutes, aber wir müssen gleichzeitig Alternativen finden, um die Jugendlichen in unseren Ländern zu halten und die Mütter unterstützen, die ihre Kinder verloren haben. Denn auch diese Mütter sind traumatisiert.

Welcher Druck lastet denn neben der Trauer auf ihnen?

Wenn ein Sohn in Europa erfolgreich ist, wird seine Mutter mehr respektiert als die anderen. Und die Frau, die ihren Sohn verloren hat, sieht man an wie eine Verfluchte. Deshalb unterstützen wir diese Frauen und leisten ihnen Hilfe.

Wie sieht diese Hilfe aus?

Wir bieten Alphabetisierungskurse und versuchen, uns wirtschaftlich breiter aufzustellen. Die Frauen lernen beispielsweise Kleider zu fertigen. So nehmen sie dann wieder am Leben teil. Die Männern lernen auf diesem Weg, ihre Frauen miteinzubeziehen. Und das zeigt auch den Jugendlichen, dass sie innerhalb unserer Gesellschaft etwas erreichen können.

Sie befreien also die Frauen aus der Sprachlosigkeit. Gibt es denn viele Familien, die noch verbergen, was für ein Leid sie erfahren haben?

Ja, das ist eigentlich immer noch so. Aber auf unseren Veranstaltungen ist uns unter Frauen erlaubt, alles zu sagen, was wir wollen. Bevor unsere Kinder gestorben sind, haben die Frauen ganz viel verheimlicht. Über ihre Sexualität, ihre Krankheiten und so weiter. Nun beginnen die Frauen, sich zu öffnen. Wir sind keine Psychologen, aber wir helfen, das tut auch uns gut und ist praktisch unsere eigene Therapie.

Warum ist Europa eine Versuchung für die Jugendlichen und woher kommt diese? Sie werden ja nicht gerade mit offenen Armen empfangen.

Die Medien spielen eine große Rolle, sie vermitteln ein Europabild mit riesigen Gebäuden und dicken Autos. Die Jugendlichen wissen, in Europa gibt es Arbeit, und so fühlen sie sich gezwungen, zu kommen. Auf meinen Reisen mache ich Reportagen und zeige zu Hause das wahre Gesicht Europas. Als Teil meiner Sensibilisierungskampagnen. Wenn Europa nicht den Bildern entspricht, zeigen wir das. Dann zeigen wir Arbeitslose, es gibt ja auch Europäer, die keine Arbeit haben. Das wird die Jugendlichen entmutigen. Ich denke, dass sie auf diese Art und Weise das wirkliche Europa sehen.

Wer organisiert denn die gefährlichen Überfahrten?

Diese Menschen leben auch in unserer Gemeinschaft. Am Anfang habe ich sie bei der Polizei angezeigt. Zwei sitzen jetzt auch im Gefängnis. Aber es ist nicht gut, wenn junge Leute aus meiner Gemeinschaft ins Gefängnis gehen und wir ihre berufliche Zukunft verbauen. Wir müssen auf sie zugehen, ihnen die Realität präsentieren. Wir sind ja nicht von der Polizei. Die Menschen kennen uns, unsere Arbeit, und sie wagen nicht, fortzugehen, denn dann werden sie angezeigt. Über alle Überfahrten nach Europa, ob nun aus meinem Dorf, oder aus anderen Dörfern, werde ich informiert.

Wie ist der Leidensdruck für die Auswanderer? Können sie den den überhaupt bestehen?

Die Auswanderer wagen es nicht, ihre wirkliche Situation zu offenbaren. Grundsätzlich sprechen sie nicht darüber. Aber es gibt nach und nach auch welche, die sagen, wie es wirklich ist in Europa, auch aufgrund unserer Sensibilisierungskampagnen.

Wenn Sie die Frauen aus der Sprachlosigkeit befreit haben, wie ist es mit den Mädchen?

Von denen wollten auch einige nach Europa. Es wurde ihnen gesagt, wenn ihr nach Europa geht, müsst ihr versuchen, einen Europäer zu heiraten. Dann bekommt ihr Papiere und werdet Europäerinnen. Auch mit ihnen suchte ich das Gespräch und habe daraufhin eine Firma für Kleidung und Stoffe gegründet. Diese Mädchen können nun dort arbeiten und sind folglich geblieben. Es ist möglich, bei uns in Würde zu leben und auch die nötigen Mittel dazu zu haben.

Und halten Mädchen ihre Brüder jetzt davon ab, zu gehen?

Nein, auf dieser Ebene sind wir noch nicht angekommen. Die Mädchen haben noch keinen Einfluss, was die Gemeinschaft angeht. Wir haben ein Ausbildungsprogramm ins Leben gerufen und nach und nach werden sie in der Lage sein, sich wertzuschätzen, wie eine eigenständige Person.

Können Sie mir einen Tag Ihrer Arbeit beschreiben?

Ich stehe um fünf Uhr morgens auf, dann gehe ich zum Markt und verkaufe Fisch. Um 14 Uhr bin ich zur Verwaltungsarbeit im Büro. Ab 17 Uhr mache ich Sensibilisierungsaktionen. Entweder mit den Behörden, um sie von meiner Arbeit zu überzeugen, oder mit den Jugendlichen selbst, oder mit den Religionsführern - denn wir sind Muslime -, damit sie die Rolle des Islam darlegen in Bezug auf diese gefährlichen Reisen. Abends zeigen wir den Jugendlichen Filme. Wenn Menschen wirkliche ernsthafte Probleme haben, dann kommen sie danach zu mir. Oder ich mache Rundreisen zu den verschiedenen Standorten meiner Organisation. Wir haben keine Mittel, aber wir haben einen Willen. Wir wollen unserer Nation helfen. Für mich ist das ein Opfer, aber ich kann den Tod meines Sohnes nicht vergessen. Ich kann ihn in meiner Gemeinschaft nicht ersetzen, aber ich versuche etwas zu unternehmen, damit jeder etwas lernt. Und ich versuche zu vermitteln, dass auch Frauen reden können und dürfen.

Ist Ihre Arbeit nicht auch mitunter ermüdend?

Was mich manchmal müde macht, ist, dass die Jugendlichen, die ich sensibilisiert habe, immer noch von uns wissen wollen, wie sie nach Europa kommen. Da habe ich mich zurückgezogen und eine Konferenz organisiert mit andern Experten. Da haben wir den Jugendlichen beigebracht, wenn man in ein anderes Land geht, braucht man Referenzen, um überhaupt gut behandelt zu werden.

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