SPD-Krise: Polit-Krimi an der Waterkant

Mit gezielten Indiskretionen, Intrigen und Verdächtigungen demontiert sich die Hamburger SPD. Im Mittelpunkt: Parteichef Egloff, Möchtegern-Bürgermeister Petersen und Ex-Parteisprecher Ciftlik

Gespanntes Verhältnis unter Sozialdemokraten: Ex-Bürgermeisterkandidat in spe Mathias Petersen (links) und Parteisprecher Bülent Ciftlik Bild: dpa

Michael Neumann versucht es mit Humor zu nehmen: "Wenn ich das, was bei uns passiert, im Kino sehen müsste, würde ich sagen: Der Drehbuchautor muss einen ziemlich schlechten Stoff geraucht haben", lässt sich der Hamburger SPD-Fraktionschef zitieren. Die Hamburger SPD ist derzeit Schauplatz eines Polit-Krimis, der seinesgleichen sucht. Zwietracht, Intrigen und Indiskretionen sind an der Tagesordnung. Ihr erstes Opfer: SPD-Sprecher Bülent Ciftlik, der vergangenen Freitag seinen Posten vorläufig räumen musste.

Blenden wir zurück: Im Februar 2007 kommt es zu einem "Stimmenklau" im Kurt-Schuhmacher-Haus, der Hamburger SPD-Zentrale. Hamburgs SPD-Basis soll per Mitgliederbefragung ihren Bürgermeisterkandidaten bestimmen, doch am Tag der Auszählung sind 1.000 Stimmzettel spurlos verschwunden.

Für den damaligen SPD-Chef Mathias Petersen endet mit dem Diebstahl ein Lebenstraum. Dass er bei der Auszählung uneinholbar vorne liegt, hilft ihm nichts - er wird von seiner Partei erst als Kandidat durch den Zeit-Mitherausgeber Michael Naumann ersetzt, dann als Landeschef abserviert. "Die Wunde ist noch immer offen", sagt Petersen heute.

Der Vorstand der Hamburger SPD will den so genannten Grambow-Bericht für Parteimitglieder freigeben. In ihm wird das Verschwinden von Stimmzetteln im Februar 2007 bei der Kür des Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl untersucht.

Aus dem Geheim-Bericht war in den Medien bereits zitiert worden. "Ich habe deshalb beschlossen, den Bericht den Parteimitgliedern zur Verfügung zu stellen. Diese Entscheidung fiel in Absprache mit den betroffenen Beschäftigten der SPD Hamburg", teilte der SPD-Landesvorsitzende Ingo Egloff am Dienstagabend mit.

In dem 17-seitigen Bericht kam die Untersuchungskommission unter Vorsitz des Juristen Hans-Jürgen Grambow zu dem Schluss, dass sich ein Schuldiger für das Verschwinden der Stimmzettel nicht finden lasse. Es habe aber Mängel im Verfahren gegeben. So sei die Wahlurne nicht ausreichend gesichert gewesen und das Kurt-Schumacher-Haus für ein derartiges Verfahren nicht geeignet.

Die Staatsanwaltschaft und eine SPD-interne Kommission untersuchen den Diebstahl - ohne Ergebnis. Während die Staatsanwälte ihre Ermittlungen einstellen, verschwindet der parteiinterne Bericht auf Anordnung von Neu-Parteichef Ingo Egloff im Panzerschrank. Er wolle nicht, dass Unschuldige öffentlich unter Verdacht geraten, nur weil sie zur fraglichen Zeit in der SPD-Zentrale waren, begründet Egloff die Geheimhaltung.

Mitte Mai erhält Petersens Anwalt Einsicht in das Geheimdokument. Wenige Tage später tauchen im Spiegel Details aus dem Bericht auf. Details, die Bülent Ciftlik, den Petersen bis heute für seinen Sturz mitverantwortlich macht, unter Tatverdacht stellen: Ciftlik hat unterschiedliche Angaben darüber gemacht, ob er die Parteizentrale am Tag vor der entscheidenden Auszählung schon um 18 oder erst um 19.30 Uhr verlassen hat.

Ein Fakt, den die "Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Einstellungsverfügung als irrelevant bezeichnet", betont Egloff, der es als "ungeheuerlich empfindet, dass Dinge aus der amtlichen Ermittlungsakte plötzlich an die Öffentlichkeit gelangen".

Doch damit nicht genug: Kaum hat der Spiegel seine Anschuldigungen veröffentlicht, werden - zum Teil über anonyme Mails - weitere Vorwürfe gegen Ciftlik verschiedenen Redaktionen zugespielt. Mal geht es um den Unfall mit einem Dienstwagen, den Ciftlik angeblich verschwiegen haben soll, mal um einen weit zurückliegenden Streit zwischen ihm und dem Pförtner der SPD-Zentrale, mal um den Vorwurf, Ciftliks Wahlkampfteam habe einigen Deutschtürken bei der Briefwahl zur Bürgerschaft die Hand geführt.

Zwar sind die Vorwürfe kaum substantiiert, doch der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist gut gewählt. Gegen Ciftlik läuft seit März ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts, eine Scheinehe zwischen einer Deutschen und einem Türken mit geschmiedet zu haben. Als er vergangenen Freitag unangekündigten Besuch von den Ermittlern in seiner Wohnung erhält, die seinen Computer konfiszieren, ist Ciftlik nicht mehr zu halten. Die Partei beurlaubt ihn von seinem Sprecheramt, auch wenn "an diesen Vorwürfen absolut nichts dran ist", wie der Beschuldigte beteuert.

Doch bei den Angriffen gegen Ciftlik geht es weniger um den beurlaubten SPD-Sprecher - sie zielen auf Parteichef Egloff, der sich lange vorbehaltlos hinter Ciftlik stellte, und um die Macht in der SPD. Nicht nur Egloff vermutet, dass Petersen, zu dem er ein "Nicht-Verhältnis" pflege, hinter der Medienintrige steckt.

"Petersen träumt noch immer davon, Bürgermeister zu werden, doch einen Führungsanspruch kann er erst geltend machen, wenn es in der Partei drüber und drunter geht", sagt ein führender Sozialdemokrat. Zudem müsse Petersen zwei Personen beschädigen, an denen er nicht vorbeikommt: Parteichef Egloff und den designierten Spitzenkandidaten für die nächste Bürgerschaftswahl, Michael Neumann.

Ersteres ist Petersen, der für die taz gestern nicht erreichbar war, gelungen: Egloffs Autorität ist nach den jüngsten Vorfällen geschwächt, zudem musste der Parteichef zurückrudern - auf seine Initiative hin beschloss am Dienstag der SPD-Vorstand, den Untersuchungsbericht nun doch zu veröffentlichen.

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