Pro und Contra Neobürgerlichkeit: Ist konservativ zu sein wieder sexy?

Muss man als aufgeklärter Mittelschichtler jetzt konservativ werden, um souverän zu wirken? Oder entziehen sich die Neokonservativen nur schnöde der Verantwortung?

Ist Grau jetzt das neue Bunt? Und Konservativ das neue Aufregend? Bild: photocase/misterqm

Ja, offenkundig. In der aufgeklärten Mittelschicht gilt konservatives Verhalten zunehmend als Ausdruck von Souveränität, als Befreiungsschlag gegen eine angebliche kulturelle Hegemonie der Linken. Heiraten? Sicher, wir sind so frei. Galeriebesuch am Freitagabend, Kirchgang am Sonntag? Ein wenig Spirituelles gegen den Pragmatismus im Alltag schadet nicht. Dazu Highheels für Mutti, das muss die emanzipierte Frau schon können - ein Schelm, der Reaktionäres vermutet, schließlich sieht es gut aus. Ihm übrigens obliegt die Sicherung des Familieneinkommens; er verdient einfach besser. Seien wir Realisten und keine verbohrten Idealisten. Das ist so unsexy.

Das Umarmen von Familientraditionen, die damit verbundene Versöhnung mit Teilen der klassischen Geschlechter- und also der bürgerlichen Machtordnung, das alles erscheint nicht als Bürde, sondern als ein Surplus. Es bietet ein Zuhause - und ein bisschen verboten ist es überdies. Für jene, die sich von Aushandlungsprozessen und Verteilungskämpfen keinen Begriff machen müssen, weil er und sie qua Herkunft und Ausbildung sicher sein können, dass die erbrachten Leistungen schon in Geldwerte übersetzbar sein werden - für diese Spießer hat das Bekenntnis zum Konservatismus etwas Aufregendes. Zumal wenn man einem linksliberalen Haushalt entsprungen ist.

"Die Linke", was immer das genau heißen soll, erscheint in dieser Perspektive als eine ewig unerwachsene Veranstaltung, die sich der feinen Unterschiede nicht zu bedienen weiß. Weswegen sie pedantisch auf Gleichmacherei und Jugendlichkeit beharren muss. "Sumpfiges Duzen" nennt Jan Fleischhauer das in seinem kürzlich erschienenen Buch "Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde".

Das Feuilleton applaudiert: Welch Regelbruch! Und verkennt geflissentlich: Ein selbstbestimmtes, um maximale Entscheidungsfreiheit bemühtes Leben benötigt nicht die pauschale Abwertung "der Linken" oder "der Konservativen", um sich seiner selbst zu vergewissern.

INES KAPPERT ist Meinungsredakreurin der taz.

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Nein, konservativ werden ist gar nicht sexy: und zwar deswegen, weil - paradox gesagt - die einzig zu erkennende Sexyness der Konservativen eben darin bestünde, nicht sexy zu sein: "Macht euren Dreck allein" - das ist konservativ; es nicht nötig zu haben, weiter mitzumischen; an eine Macht jenseits der Werte dieser Welt zu glauben und nicht mehr um ihre Gunst zu buhlen (macht aber nur Spaß, wenn man katholisch ist); den Erfahrungen des Schmerzes und des Scheiterns einen zentralen Platz im Denken einzuräumen - hier liegt die Würde des Konservatismus.

Die aktuellen Bekenntnisse der Konversion zur Neobürgerlichkeit dagegen kommen zumeist von Leuten, denen das Gefühl für persönliche Würde abgeht. Wenn sie von Werten sprechen, dann meinen sie immer die anderen, die gefälligst weiter zu beten, zu betteln und zu verzichten hätten. Insofern findet sich hier die passende Ideologie zur Weltwirtschaftskrise. Erst hat man die Milch überkochen lassen, sieht aber nun überhaupt keine Veranlassung, die Sache wieder in Ordnung zu bringen - was umso leichter fällt, als diejenigen, die gern was von der Milch gehabt hätten, nicht etwa forsch dazu auffordern, den Herd zu putzen und den Topf neu aufzusetzen, sondern nur zart bitten, doch das nächste Mal die Flamme nicht ganz so hoch zu stellen.

Die Neokonservativen preisen ihren Seitenwechsel, weil sie alle, die nicht am Drücker sind, verachten. Sie ertragen es nicht mehr, bei denen verortet zu werden, die für sich in Anspruch nehmen, alle mit ins Boot zu nehmen, also global sozial und ökologisch zu denken. Sie sagen das auch ganz offen: Karen Horn, Leiterin des Hauptstadtbüros des Instituts der deutschen Wirtschaft, empörte sich kürzlich darüber, dass in Zukunft anstelle des Individuums das Kollektiv entscheiden solle, was gerecht sei. Es ist also die Demokratie, die ihr nicht mehr gefällt. Und die müssen wir gegen die Neokonservativen nicht nur verteidigen - wir dürfen auch ruhig mal wieder mehr von ihr wagen: Denn die Demokratie ist wirklich sexy.

AMBROS WAIBEL ist Meinungsredakteur der taz.

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