Kunstkooperation: Raum und Anmaßung

Bremen, Hamburg und Lüneburg machen sich auf, in kleinen Häusern die Dimensionen des Raumes mit den Mitteln zeitgenössischer Kunst zu erfassen. Auf die Hilfe der großen Institutionen verzichtet man dabei bewusst. Die Reise sagt am Ende auch einiges über die Städte selbst.

Guido van der Werve: Nummer acht - Everything is going to be alright, 2007, 16 mm auf HD-Video, Galerie Juliètte Jongma Bild: Künstlerhaus Bremen

Es ist eine "Anmaßung", sagt Janneke de Vries, die Direktorin der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) in Bremen.

Und zwar in vielerlei Hinsicht. Geht es doch um eines der ganz großen Themen, nicht nur der zeitgenössischen Kunst: ihr Verhältnis zum Raum. So ganz allgemein. Eine Bestandsaufnahme soll es sein, vielleicht, eine Zwischenbilanz. Vorgenommen haben sich das vier eher kleine norddeutsche Häuser - neben der GAK das dort benachbarte Künstlerhaus Bremen sowie der Hamburger Kunstverein Harburger Bahnhof und die Halle für Kunst in Lüneburg. All die großen Institutionen zeitgenössischer Kunst in Norddeutschland bleiben ganz bewusst außen vor, egal, ob sie aus Bremen oder Oldenburg, aus Hannover oder Hamburg kommen. Die kleinen sollen die Aufmerksamkeit für sich haben.

Es ist die erste länderübergreifende Kooperation dieser Art in Norddeutschland. Und zwar eine, die zugleich eine anmaßende Erwartung an die BesucherInnen formuliert: Sie sollen reisen.

Am besten an einem Tag. Am besten von Bremen aus - denn in der GAK, wo die Idee entstanden ist, fängt mit der "Raumaneignung" alles an. Und am besten mit dem Zug. Schließlich muss man, per Bahn von Bremen nach Lüneburg reisend, ohnehin am Harburger Bahnhof umsteigen. Und warten. Es ist eine Reise, die auch den Umgang dieser Städte mit der Kunst widerspiegelt.

Die Eröffnung ist feingliedrig, und flüchtig, nahezu unscheinbar, langsam sichtbarer werdend. Katrin Meyer hat die lang gestreckte GAK mit handelsüblichem Tesafilm geteilt, diesen in langen schmalen Streifenbändern zwischen Decke und Boden eingespannt. Und dann nochmals, quasi als Vorhang, an einer langen Fensterfront zur Weser hin. Noch ist dieser kaum sichtbar, Staub und Spinnen werden das ändern. Schließlich wird alles Abfall. Auf dem neu entstandenen Binnenraum sind Kopien angeordnet - die etwas willkürlichen Ergebnisse von Meyers Recherchen zu jenen "White Cubes", in denen zeitgenössische Kunst meist stattfindet.

Überhaupt bestehen die "Strategien der Raumaneignung" in der GAK meist darin, temporär neue Räume zu schaffen. Zum Beispiel durch eine massive, raumhohe, rissige Gipswand von Guillaume Leblon, die jedoch nicht mehr sein will als ein architektonischer Fremdkörper. Oder durch ein in die Wand eingelassenes Miniaturmodell des Bremers Christian Haake, eine Szenerie aus Wohnhausfronten und Badezimmer im Kleinstformat, überaus allgemein und doch einem konkreten Tatort gleich.

Manche Raumaneignung scheitert. Bisweilen bewusst. Manchmal auch, weil die These, die zugrunde liegt, streitbar ist, aber nicht trägt. So wie bei Daniel Maier-Reimers Fotos - Ergebnisse einer langen Reise und sich doch dem Wesen der Fotografie entziehend. Was bleibt, ist die Vorstellung einer "Universalität der Landschaft". Die so abstrakt ist, das nichts bleibt.

Das Werk hätte vielleicht auch nebenan ins Künstlerhaus gepasst, wo es um "Raumverlust" geht. Es geht hier stets mit Bewegung einher. Sei es durch den Künstler Guido van der Werve, der im ewigen Eis scheinbar ziellos einem Eisbrecher vorausgeht. Sei es durch des Künstlers gefilmte Installation, die sich in all ihrer kontinentalen Plastizität doch dem Betrachter entzieht. Sei es, weil von Elín Hansdóttir neue labyrinthartige Räume geschaffen werden, dunklen Spiegelkabinetten nicht unähnlich. Was all dem fehlt, ist die tiefere Auseinandersetzung mit den Folgen des Raumverlustes. Ein Thema, das sich auch politisch ausdeuten ließe.

Die stärkste Position aller vier Ausstellungen findet sich unter der Rubrik "Raumverschiebung" - im früheren Wartesaal erster Klasse des Harburger Bahnhofes. Den 300 Quadratmeter großen, gut fünf Meter hohen Raum dominiert selbstbewusst ein einziges Werk: Eine hölzerne, nur für diesen Ort gebaute, hernach wieder verschwindende Arbeit des Berliners Kai Schiemenz. Es ist ein fragiles Zwitterwesen aus Architektur, Skulptur, Installation und Bühne, dass den Beobachter zum Teilnehmer macht und damit wie selbstverständlich die Beziehung von Architektur und Gemeinschaft kritisch diskutiert, sie ihrer scheinbaren Neutralität beraubt. Die Arbeit markiert zugleich einen Endpunkt in der bisherigen Entwicklung des Künstlers: Er hat sich in früheren, zunehmend abstrakter werdenden Holzarbeiten vor allem mit dem Stadionbau auseinander gesetzt, auch ihren totalitären Zügen.

Eine solche Vielschichtigkeit fehlt leider den meisten Arbeiten der Halle für Kunst in Lüneburg. Dort hat man sich für eine kleinteilige, wenig stringente, dabei fast beliebig wirkende Gruppenausstellung entschieden, die den "Sozialen Raum" zum Gegenstand hat. Zu sehr vertraut man dort auf das mittlerweile wenig originelle Konzept, alltägliches zur Kunst zu erheben.

Was nicht heißt, dass nicht auch in Lüneburg ein starker Beitrag zu "Space Revised" stünde: Er kommt von Christian Jankowski heißt "Kunstmarkt TV", eine Parodie auf Teleshoppingkanäle und zugleich das dokumentarische Video einer Live-Performance der Kunstmesse "Art Cologne" von 2008. Es entlarvt den kommerziellen Kunstmarkt in all seiner Selbstgefälligkeit. Inmitten seiner selbst, ohne dabei ins Moralinsaure zu verfallen. Und doch steckt auch darin eine Anmaßung.

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