die taz vor 11 jahren: die kohl-ära geht in eine neue runde
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Noch zwei Jahre, dann hat Helmut Kohl sein großes Vorbild Konrad Adenauer eingeholt – zumindest was die Dauer von dessen Amtszeit betrifft. Falls sein Kabinett gar vier Jahre durchhalten sollte, dann hätte die Republik den am Dienstag wiedergewählten Kanzler 16 Jahre lang erduldet. Rekordhal- ter und Kohl-Vorbild Adenauer hatte es nur auf 14 Regierungsjahre (1949 bis 1963) gebracht.

Der CDU-Chef hat seine Mannschaft mit zwei neuen Gesichtern aufgetunt: Frischlinge in einem um zwei Ressorts auf 16 Ministerien verkleinerten Kabinett werden voraussichtlich Jürgen Rüttgers und Claudia Nolte. Rüttgers, bisher parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion und Schäuble-Intimus, soll das „Zukunftsministerium“ übernehmen, das aus den bisherigen Ressorts Bildung, Wissenschaft und Forschung gebildet wird. Die 28-jährige Thüringerin Claudia Nolte gilt als Favoritin für das Frauen- und Familienministerium. Der bisherige Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) soll ins Bauministerium versetzt werden. Seinen bisherigen Job macht dann voraussichtlich Angela Merkel, Vorzeige-Ossa und bislang Frauen- und Jugendministerin. Die FDP, die statt fünf nur noch drei Großkopferte bekommt, zeigt sich phantasielos, aber risikofreudig und nominiert erneut Klaus Kinkel (Außen), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Justiz) und Günter Rexrodt (Wirtschaft). Für die Kanzlerwahl am Dienstag hatte die Koalition heftig mobilisieren müssen – und dennoch: Der neugewählte Pforzheimer CDU-Abgeordnete Roland Richter verschlief die Abstimmung. Richters süße Träume werden hoffentlich nicht die letzte Gefährdung der Regierungsmehrheit bleiben.

Hans Monath, taz, 17. 11. 1994