Älteste Menschenfigur: Die schwäbische Venus

In einer schwäbischen Höhle machen Archäologen einen Sensationsfund. Ihre Venus aus Elfenbein ist weltweit die älteste Figur, die einen Menschen darstellt.

Die "Venus vom Hohlen Fels" ist 35.000 bis 40.000 Jahre alt. Bild: h. jensen/Universität Tübingen.

Der Tübinger Archäologe Nicholas Conard hat es wieder einmal geschafft, unsere Kenntnisse über die Vorgeschichte der Menschheit durcheinanderzuwirbeln. Seine Forschergruppe hat die älteste figürliche Darstellung eines Menschen gefunden - in der Höhle "Hohler Fels" bei Schelklingen im Alb-Donau-Kreis. Am Mittwoch stellte der Archäologieprofessor den Fund der Öffentlichkeit vor. Die sechs Zentimeter große, aus Mammutelfenbein geschnitzte Venusfigur ist mindestens 35.000 Jahr alt - vielleicht sogar 40.000 Jahre. Die Figur sei eine Sensation, sagte der Archäologe. Sie werfe ein völlig neues Licht auf die Entstehung der Kunst in Europa und vermutlich auf der ganzen Welt.

In den vergangenen 150 Jahren haben Archäologen auf der Schwäbischen Alb die ältesten weltweit bekannten Kunstwerke gefunden. Ein Überblick:

1939: In der Höhle Hohlenstein-Stadel im Lonetal finden Forscher Elfenbeinfragmente. 30 Jahre später gelingt es, daraus den berühmten Löwenmenschen zusammenzusetzen.

1999: Im "Hohlen Fels" finden Experten einen aus Elfenbein geschnitzten Pferdekopf.

2002: Die Nachbildung eines Wasservogels im Hohlen Fels liefert den Beweis für vogelkundliche Kenntnisse vor mehr als 30.000 Jahren.

2004: In der Geißenklösterle-Höhle bei Blaubeuren finden Experten die bislang älteste bekannte Flöte der Welt.

2006: Das berühmte, 3,7 Zentimeter große Mammut aus Elfenbein wird in der Vogelherdhöhle im Lonetal gefunden.

2008: In sechs Fragmenten finden die Experten die 40.000 Jahre alte "Venus vom Hohlen Fels". (dpa)

Gefunden hat die Venusfigur eine Schweizer Studentin aus Conards Arbeitsgruppe und zwar schon im September 2008. Es war sehr schnell klar, dass der Fund etwas ganz Besonderes ist. "Wir alle waren sprachlos", beschreibt Nicholas Conard die Situation. Bis diese Woche waren alle Beteiligten zum Schweigen verdonnert. Diesen Donnerstag erschien in dem international renommierten Wissenschaftsmagazin Nature dann auch ein umfangreicher Bericht des Tübinger Archäologen über den "Sensationsfund".

Ab September 2009 soll die Figur zusammen mit anderen prähistorischen Funden im Stuttgarter Kunstgebäude zu sehen sein.

Die Figur, die aus sechs einzelnen Bruchstücken besteht, sei ausgezeichnet erhalten geblieben, berichtete Conard. Es fehlten jetzt nur noch der linke Arm und die linke Schulter.

Die Figur sei sehr detailliert geschnitzt, beschreibt der Archäologe das Fundstück. Auffällig ist vor allem die extreme Betonung der Brüste und Vulva. Gesicht und Beine hingegen sind stark verkleinert oder verkürzt. Oben, am kaum sichtbaren Kopf befindet sich eine kleine Öse. Sie zeige, dass die Venus als Anhänger am Hals getragen wurde.

Welchen Zweck die Figur einmal gehabt hat, könne bisher niemand sagen, so Conard. Mit großer Sicherheit handele es sich jedoch um einen Ausdruck von Fruchtbarkeit.

"Mit den Maßstäben des 21. Jahrhunderts würde man diese Figur als an der Grenze zur Pornografie einordnen", schreibt der Archäologe Paul Mellars von der University of Cambridge, Großbritannien, in einem begleitenden Artikel in der aktuellen Ausgabe von Nature. Mellars weist auch darauf hin, dass zuvor schon zahlreiche andere von Menschenhand gefertigte Figuren in dieser schwäbischen Region gefunden wurden. Sie alle sind in einer Zeit entstanden, in der der Homo sapiens nach Europa einwanderte (vor rund 40.000 Jahren) und sich gegenüber den Neandertalern durchsetzte.

Die Experten vermuten daher, dass die schwäbische Region mit zu der Wiege gehört, von wo aus sich die figürliche Darstellung ausbreitete. Conard mag sogar nicht ausschließen, dass auf der Schwäbischen Alb das erste Kulturvolk der Welt gelebt hat. Auf jeden Fall, so Conard, seien von der Alb wesentliche Impulse für die Entwicklung der Musik und der figürlichen Darstellung ausgegangen.

Gänzlich ausschließen, dass die Schnitzereien von Neandertalern gefertigt worden sind, können die Experten aber auch nicht. Schließlich haben Homo sapiens und Homo neanderthalensis eine Zeit lang dicht nebeneinander gelebt.

Auffällig ist auch, dass die Venus vom Hohlen Fels einer fast 10.000 Jahre jüngeren Figur, der "Venus vom Willendorf", in Österreich sehr ähnlich ist. Auch diese ist sehr faltig und muss als fett bezeichnet werden. Ebenso sind die Geschlechtsmerkmale extrem überbetont. Diese Frauendarstellung muss lange Zeit Tradition gewesen sein.

Die Arbeitsgruppe von Nicholas Conard sucht jetzt schon seit zwölf Jahren im Hohlen Fels nach Überbleibseln unserer Vorfahren. Er hat schon zahlreiche Funde gemacht, den Körper eines Wasservogels zum Beispiel, ein Jahr später fand er den Kopf dazu. Demnächst beginnen neue Ausgrabungen. Conard möchte natürlich gern noch das fehlende Stück von seiner Venus finden. Er ist sich sicher: "Wenn es noch da ist, werden wir es finden."

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