Kulturwissenschaftlerin Giese über die Männeruniform: "Der Anzug verzeiht viel"

Der Herrenanzug steht für geschäftliche Grundtugenden. Er verkörpert die traditionelle Form der Ökonomie. Ist er jetzt auch in der Krise?

"Zu Guttenberg hat dabei die Rolle des Staatsmannes, der repräsentiert die Institution, das ist okay, der muss im Anzug kommen." Bild: dpa

taz: Wir stecken in einer Wirtschafts-, einer Finanz- und einer Bankenkrise. Schlechte Zeiten für den klassischen Herrenanzug, möchte man meinen.

Jahrgang 1973, ist ausgebildete Damenschneiderin und Diplomdesignerin. Heute arbeitet sie als Kulturwissenschaftlerin.

Ihre Forschungsinteressen gelten urbanem Lifestyle, Mobilität, Kommunikation und vor allem: Kleidung.

Sie hat über Brand Fashion als innovative Form der Markenkommunikation promoviert.

Charlotte Giese: Ja und nein. Die Arbeitswelt hat sich schon vor der Krise stark verändert: durch die Zunahme der freien Arbeit, und auch der Projektarbeit, ist der Anzug als Ensemble flexibler geworden. Der Beschäftigte unserer Zeit ist in vielen Bereichen aus seiner Bürokrinoline befreit, also dem einengenden Gestell, das seinen Körper umgibt. Bereits seit geraumer Zeit werden Elemente des Anzugs mit informellerer Kleidung kombiniert, man kennt das Sakko zur Jeans. Auf der anderen Seite erlebt der Anzug in der Krise gerade eine Art Renaissance, er wird durchaus gezielt getragen, denn er steht für Erfolg.

Seit wann gibt es denn Anzug für den Mann eigentlich?

Den Anzug wie wir ihn in etwa kennen gibt es als demokratisch-bürgerlichen Anzug ungefähr seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Dadurch, dass die Körper nach und nach gleich aussahen, konzentrierte sich alles auf den Kopf und letztlich auch die Kopfarbeit in Abgrenzung zur körperlichen. Der Anzug hat sich schon früh als Angestelltenkleidung durchgesetzt. Bei den Männern.

Der Frauenanzug hingegen?

Das Business-Kostüm der Frau kam erst etwa in den 1980ern als Erfolgsmodell auf. Der Hosenanzug statt der Rockvariante ist noch einmal eine klarere Aussage Richtung Herrenanzug.

Was sagt uns so ein klassischer Herrenanzug denn?

Der klassische Herrenanzug, also Sakko und die Hose in gedeckten Farben mit Hemd und Krawatte, wird immer mit gewissen männlich konnotierten geschäftlichen Grundtugenden verbunden, beispielsweise Effizienz, Kompetenz und Seriosität. Er steht eben in seiner Historie auch für die traditionelle Form der Ökonomie, für die hierarchischen Strukturen und das, was man ja eigentlich nicht so unbedingt haben will. Damit hat er oft einen negativen Beigeschmack. Er steht für Einengung und Bevormundung, was ihm eigentlich nicht gerecht wird. Wenn man sich den Anzug mal genauer anguckt, dann ist es ein wunderbares Kleidungsstück, hinter dem sich viel verstecken lässt und das auch viel verzeiht.

Und trotzdem gibt es diesen Druck, der sich in dem Wort "Anzugzwang" wieder findet. Vor allem im linken Milieu möchte man sich davon befreien.

Deswegen verschwindet der Druck aber nicht, man macht sich nur einen anderen. Das hören viele sicher gar nicht gerne, aber das ist natürlich auch eine Form von sozialem Druck. Wenn ich z. B. links-alternativ unterwegs bin, kann ich eigentlich keinen Anzug tragen, sonst könnte man mich für neo-liberal halten. Weil mich letztlich der Gruppendruck zwingt, anders auszusehen, mich leger zu kleiden.

Leger und Anzug trafen kürzlich zusammen: Als Wirtschaftsminister zu Guttenberg den Fiat-Chef Sergio Marchionne traf. Zu Guttenberg trug seinen Zweireiher, Marchionne einen Pullover. Was ist das für eine Konstellation?

Zu Guttenberg hat dabei die Rolle des Staatsmannes, der repräsentiert die Institution, das ist okay, der muss im Anzug kommen, und Fiat kommt informeller im Pullover. Das bedeutet, dass er nicht als Panzer kommt, sondern sich einlässt. Ein Pullover steht immer auch z. B. für Weichheit und Flexibilität. Es gab mal ein Treffen von Helmut Kohl und Michail Gorbatschow im Kaukasus. Das, was mir im Gedächtnis geblieben ist, sind die Strickjacken, die beide getragen haben. Sie haben, allerdings beide auf derselben Ebene, miteinander informell Politik gemacht. Ich würde sagen, Marchionne kommt als Macher und ist gesprächsbereit.

Barack Obama ist ja ein Politiker, der im Anzug extrem gut aussieht, noch besser aber, wenn er das Jackett ablegt und die Ärmel hochkrempelt. Gerhard Schröder machte das auch gerne.

Ja, wegen der Symbolik, die da lautet das Sakko ablegen, die Formalität ablegen, Ärmel aufkrempeln, zupacken. Einerseits ist es, als würde eine Rüstung abgelegt, an der sonst viel abprallt. Bei Veranstaltungen fangen dann die Herren abends irgendwann an, die Krawatte zu lockern, abzutun. Wenn man dann in Hemdsärmeln irgendwo steht, die sogar aufkrempelt, ist das darüber hinaus eine Erinnerung an und Bezugnahme auf die Arbeiterschaft, also an Leute, die körperlich arbeiten. Die SPD macht das gerne, hemdsärmelig am Rednerpult stehen ohne Sakko, um die Nähe zur eigentlichen Wählerschaft darzustellen.

Das mit dem Aufkrempeln ist ein männliches Phänomen. Sind Frauen da benachteiligt?

Da hat in der Tat die Frauenkleidung nicht so eine starke Symbolik. Frauen haben weichere Kleidung, die müssen nicht unbedingt eine Bluse unter dem Sakko tragen, deshalb - und auch weil die Frau nicht für Kraftarbeit steht, funktioniert dies symbolisch für Frauen auch nicht.

Ist der Anzug also Teil der Ausgrenzung?

Frauen haben ihn sich angeeignet, also sich selbst in das Spiel männlicher Ökonomie eingebracht. Insofern steht er sogar für Teilhabe. In Unternehmensdarstellungen wird aber mit der Kleidung und den Geschlechterrollen gespielt. Wenn ich mir Geschäftsberichte anschaue, wird das Spiel schon schnell deutlich. Das Vorstandsbild ist formell inszeniert, die Männer stehen da in ihren Anzügen. Wenn es dann um die Illustration dieser ganzen Zahlenkolonnen geht, wird es deutlich informeller. Plötzlich tauchen dann Frauen auf, die sich kümmern und sorgen. Wenn Männer und der Anzug in solchen Publikationen für Seriosität stehen und dieses Frauenbild für die soft skills verantwortlich ist, findet über die subtile Polarisierung des Geschlechterbildes eine andere Form der Ausgrenzung statt, inszeniert über den Herrenanzug.

In vielen Unternehmen herrschen bestimmte Kleiderregeln. Wer legt die fest?

Der Angestellte wird sich meistens so kleiden, wie er glaubt, dass es von ihm erwartet wird. Ich habe z. B. mit Beschäftigten bei BMW gesprochen. Dort trägt man im Büro Anzug und Krawatte. Wechseln aber die gleichen Angestellten zu Mini, auch eine Marke der BMW-Group, kommt man ohne Krawatte, obwohl ihnen das niemand vorschreibt. Die Telekom als ehemaliges Staatsunternehmen, hat z. B. eine Corporate Fashion, eine einheitliche Kleidung für die Beschäftigten im Kundenkontakt.

Kommen wir zu James Bond. Hat er das Bild geformt, das wir vom Anzug haben?

Ja, ich denke schon. Und steht auch für die andere Seite des Anzugs, nämlich lässig, cool und sexy zu sein. Deswegen wird der Anzug nicht aussterben, sondern mindestens in Fragmenten immer überleben, weil er eben für cool und erfolgreich steht.

INTERVIEW: NATALIE TENBERG

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