Abschalten im Internet: Die Rückkehr des Testbilds

In der immer schnelleren Medien-Welt wird die Langsamkeit wiederentdeckt. Eine Ode an Testbilder, Malsendungen und Dumm-Rum-Gucker.

Meditative Botschaft an die Zuschauer: Testbild. Bild: Photocase/ timbec

BERLIN taz | Das Testbild war vor der Einführung des 24/7-Fernsehens dankbarer Lückenfüller nach Sendeschluss. Es hatte über lange Zeit einen regelrechten Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Sendungen: ihm gehörte ein großer Teil der heute so hart umkämpften Sendeplätze im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Der anfangs schwarz-weiß, später bunt gestreifte Kreis mit Klaviatur vor gerastertem Hintergrund - mal mit, mal ohne Messton oder Uhr - hatte seine eigene Ästhetik und eine meditative Botschaft an die Zuschauer zu Hause: "Jetzt ist Feierabend, jetzt schlafen auch die Leute vom ZDF. Du kannst nun auch ruhen. Mein Piepton wiegt dich in den Schlaf. Piiiieeeeeep..." Und wirklich viel inhaltsleerer als das heutige Fernsehen, war das Testbild auch nicht. Es war nicht Nichts, aber auch nicht Zuviel. Es war Projektionsfläche, Traumbild und Reset-Funktion in einem. Hier konnte man einschalten und doch abschalten. Den Fernseher und auch den Kopf einfach mal frei kriegen von all dem Ballast.

Doch der technische Fortschritt und das wachsende Programmangebot verdrängten das Testbild - sprichwörtlich - zunehmend von der Bildfläche und es wird nur noch in Störfällen gesendet oder dient in seiner eigentlichen Funktion als Test-Bild zur Kontrolle der Bildqualität von Fernsehapparaten und Monitoren.

Trotz allem oder gerade wegen seiner Verbannung hat das Testbild inzwischen Kultstatus erlangt, und eine Gemeinde von Liebhabern und Nostalgikern holt es sich einfach ins Internet, das eigentlich ohne auskommen könnte. "Ich will mein Testbild zurück! :-(" steht dann da und jemand anderes antwortet "Du Weichei!" Denn auf YouTube gibt es schließlich schon längst einen //::extra Kanal für Testbilder.

Sachen gibt's... die gibt es nicht. Oder nur auf YouTube. Wie auch der merkwürdige Video-Blog eines jungen japanischem Mädchens. Das Lolita-hafte Mädchen mit den großen Kulleraugen, die unter dem Namen MRirian inzwischen 75 Videos hochgeladen hat, guckt einfach nur in die Kamera. Frei nach dem Motto "Wer zuerst wegguckt hat verloren." 80.000 User haben ihre Sendung abonniert, 5,3 Millionen Abrufe kann sie verzeichnen. Die Zahlen sprechen für sich. Ein neuer Trend zum Abschaltfernsehen?

Nur einer fehlt auf YouTube: Bob Ross, das Original. Man erinnere sich: "The Joy of Painting - Malen (lernen) kann jeder!" Jenes unglaublich langsame und einfache Fernseh-Format, das eigentlich schon lange vor Erfindung des Internets genau das vorlebte, was heute die YouTube-Spezialität ist: einerseits Amateurentum, denn was da zu sehen ist, ist alles andere als Hochglanz-Produktion, andererseits selbsternanntes Expertentum: auf YouTube gibt es heute unzählige "Tutorials", die nach dem Prinzip "Learning by Looking" funktionieren.

Der vollbärtige und krausige Bob Ross ist genau das, was die Welt, was der von der Arbeit gestresste und von den Medien genervte Mensch braucht: einen Hippie-Think-Positive-Maler, der vor seiner Staffelei, mit einer Farbpallette in der Hand großartige Schöne-Welt-Aquarelle zaubert. Das man diese Bilder letztlich nicht nachmalt spielt keine Rolle. Alleine diesem absolut gechillten Exemplar Mensch am schöpferischen Werk zuzusehen und seiner einlullenden Sprache zu lauschen, tut gut. Jeder Malkurs beginnt mit der freundlichen Begrüßung "I am certainly glad to see you" ("Ich bin wirklich froh, Sie zu sehen"). Und seine Message "Jeder Mensch ist ein Künstler!" ist heute für YouTube in die Tat umgesetzt. Meister Bob Ross hat etliche YouTube-Produzenten zu eigenen Videos und Werken inspiriert. Meist sind es Parodien des Originals, die aber die Verehrung für diesen großen Vorreiter nicht kaschieren können. Wer Bob Ross in voller Länge und Pracht sehen will, wird nicht auf YouTube fündig, sondern im Fernsehen: auf BR Alpha laufen zu unterschiedlicher, aber meist nachschlafender Stunde, alte Folgen mit ihm. Hier hat der Spartensender vom Bayrischen Rundfunk den Trend zum Relax-TV richtig erkannt. Hoffen wir, dass er Bob Ross nicht, wie das Fernsehen das Testbild, auch noch verbannt.

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