„Gebaren schroffster Herausforderung“: Wenn du nicht lieb bist, kommst du ins Bauhaus!

Die Kunstschule kommt aus Weimar, doch sie wurde dort nur schwer ertragen und musste 1925 auf politischen Druck und wegen Streichung der Mittel nach Dessau übersiedeln. Ein Spaziergang

Siebdruckwerkstatt Bild: Nathalie Mohadjer/Bauhaus-Universität

Die Wände in der Bar des Traditionshotels „Elefant“ in Weimar strahlen in tiefstem Blau, Rot, Gelb. Eine Referenz ans Bauhaus? „Ja“, sagt der Barmann erfreut, „wir haben es extra für dieses Jahr geändert, aber bislang hat es niemand bemerkt.“ Vor 90 Jahren gründete Walter Gropius das Bauhaus in Weimar. Statt Wieland, Herder, Goethe, Schiller, Liszt und Wagner tafelten im zentral gelegenen „Elefant“ nun Kandinsky, Moholy-Nagy, Itten, Schlemmer und Klee. Eine Suite im „Elefant“ heißt heute Lyonel Feininger. Die elegante Wendeltreppe des Hotels „Elefant“ ist im Bauhaus-Stil gebaut. Weimar will mit dem Bekenntnis „Das Bauhaus kommt aus Weimar“ Besucher locken. Das 90-jährige Jubiläum wird gleichzeitig an zwei weiteren Standorten der Bauschule – Dessau und Berlin – mit Ausstellungen und Veranstaltungen gewürdigt. Ein Gedenken mit weltweiter Strahlkraft. Dabei wurde das Bauhaus in der Klassikerhochburg Weimar nur schwer ertragen.

1919 etablierte sich in Weimar eine neue Kunstschule, die lebensnah, handwerklich, funktional und sozial sein wollte. „Daß nun jeder arbeitende Mensch die Möglichkeit fände, für seine Familie eine gute und gesunde Wohnung zu beschaffen“, schrieb der Gründer und Architekt Walter Gropius. Er versammelte Designer, Architekten und Maler, die ihr Können dazu nutzen sollten, bessere Lebensbedingungen für alle zu schaffen. Mit der Kritik am Ornament propagierten die Bauhäusler eine funktionale Logik und Sachlichkeit. Neue Produkte und eine neue Ästhetik schufen ein anderes Design mit sozialem Anspruch. Ohne industrielle Serienproduktion im Baukastensystem, wie es beispielsweise Ikea heute global umsetzt, wurden die neuen Produkte allerdings selbst zum Luxusgut, zum Klassiker. Die echte Wagenfeld-Schreibtischlampe, die in vielen Weimarer Schaufenstern und auf Prospekten heute das Bauhaus-Jahr propagiert, hat ihren stolzen Preis.

Vor dem Deutschen Nationaltheater auf dem Weimarer Theaterplatz steht das eigentliche Wahrzeichen der Stadt: Schiller und Goethe in würdiger Eintracht, überlebensgroß. Hier im Theater tagte 1919 von Februar bis August die Nationalversammlung und erarbeitete die Verfassung der ersten deutschen Republik. Die Tafel am Theaterbau zur Erinnerung an die Nationalversammlung entwarf Walter Gropius (1922). Die Moderne ist auch in den gegenüberliegenden klassizistischen Bau eingezogen: Dort ist das Bauhaus-Museum bisher untergebracht. Die großen Ausstellungen zum Jubeljahr „Das Bauhaus kommt“ laufen nun seit Anfang April. Auf dem Weg von hier zur Bauhaus-Universität liegt das Möbelhaus Kneisz in der Ackerwand 2, gleich gegenüber der dazugehörige Bauhaus-Devotionalien Shop. Ein amerikanisches Ehepaar lässt sich im Möbelhaus das blau-gelb-grün-rote Bauhaus-Bauspiel einpacken. Der gelbe Gropius-Sessel F52, der Marcel-Breuer-Hocker und die Thonet-Stühle wären sicherlich schwieriger für den Transport nach Übersee.

Am Eingang der heutigen Bauhaus-Universität wartet David Fritsch, Architekturstudent in Weimar. Er führt den Bauhaus-Spaziergang. Das ehemalige Kunstschulgebäude war 1919 Gründungsort des Staatlichen Bauhauses, erbaut von Henry van de Velde. Er wurde 1902 vom Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar zum künstlerischen Berater für Industrie und Handwerk berufen. Nicht immer zum gegenseitigen Wohlgefallen. Zwischen 1904 und 1911 baute van de Velde das Ensemble der Kunstschule und der Kunstgewerbeschule, 1996 wurde dies in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen.

Auffällig am Universitätsbau sind die großen Atelierfenster der oberen Geschosse und die aufwendige Wendeltreppe im Inneren. Wenn Studenten im Eingangsbereich an der „Eva“-Statue von Auguste Rodin vorbeigehen und der schönen Nackten über den Po streichen, dann gehört auch das zum geistigen Erbe des Bauhauses: „Es soll schön machen“, sagt David Fritsch. Bauhaus- Spuren finden sich in dem Gebäude heute wieder in Wandmalereien, Reliefs und im nachgestalteten Gropius-Zimmer. Bis zur behutsamen Rekonstruktion der Universität in den 90er-Jahren war es ein langer Weg, der von Missverständnissen, Intrigen, Geldknappheit und Umbauten geprägt war. Zu DDR-Zeiten waren sich die Funktionäre nie ganz schlüssig, ob man den Funktionalismus und gesellschaftlichen Anspruch des Bauhauses preisen oder seine libertäre Utopie geißeln musste. Wandgemälde von Herbert Bayer, einem Schüler Kandinskys, wurden in den Fluren freigelegt. Gelbe Dreiecke, rote Quadrate, blaue Kreise zieren die Wände und weisen den Weg zum Sekretariat. Die Farbenlehre des Bauhauses, angelehnt an Goethes Farbenlehre, schreibt den Farben auch gefühlsmäßige Eigenschaften zu. Die ersten Bauhäusler scheuten sich nicht, auch kleinste Räume mit starken Farben zu bepinseln.

Jugendstil-Wendeltreppe im Hauptgebäude Bild: Tobias Adam/Bauhaus-Universität

Restauriert wurde auch das „Haus am Horn“. Der Flachdach-Bau liegt nicht weit von Goethes Gartenhaus auf der anderen Seite des Parks an der Ilm. Er wurde 1923 als Versuchshaus für die große Bauhaus-Ausstellung errichtet. Der Entwurf stammt von Georg Muche, dem jüngsten Meister am Bauhaus, ausgeführt wurde er vom Baubüro Gropius. „Weil das Handwerk Basis allen künstlerischen Schaffens sein sollte, wurden Werkstätten gegründet“, erzählt David Fritsch. „Die Professoren nannten sich Meister, die Studenten Lehrlinge und Gesellen.“ Der Hauptraum im Mittelpunkt des Hauses überragt mit 4,14 Meter Höhe die um ihn herum angeordneten kleinen Räume. Er wird durch Oberlicht mit Tageslicht versorgt. Nur ein Fenster in der Arbeitsnische gibt den Blick auf den Garten frei. „Licht, Luft, Sonne und Wohnruhe – in diesem zweckmäßigen Flachbau sind die Bauhaus-Prinzipien verwirklicht“, schwärmt Fritsch. Der danebenliegende klassizistische Bau wurde von den Nazis errichtet. „Sie wollten mit Giebeldach und Erkern zeigen, wie deutsche Baukunst auszusehen hat“, erläutert Fritsch. Bauen als soziale Aufgabe für bessere Lebensverhältnisse mit neuen Entwürfen, die von der Tapete bis zum Geschirr reichten. Die Einbauküche im Haus am Horn aus den Zwanzigerjahren mutet modern an. Bauen war zumindest für den Direktor Gropius ein ästhetischer Vorgang. Der Superfunktionalismus der Platte, der dem Bauhaus zugerechnet wird, hat sich davon verabschiedet.

Etwas oberhalb des Hauses am Horn hat man ein neues Viertel in guter, alter Bauhaus-Tradition errichtet. Es wirkt ansprechend, mit hohen Fenstern, bunten Farben, Gärten. Das „neue bauen am horn“ ist „eine Hommage an die Bauhauskünstler“, sagt Fritsch. „Das Prinzip der kubischen Bauten: sparsamer Umgang mit Energie, Material und Boden. Ein Projekt der Expo 2000.“

Der Weg zurück in die Stadt führt durch den Park, vorbei am Tempelherrnhaus. Es ist seit der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg eine Ruine. In den Zwanzigerjahren wohnte dort der Bauhauskünstler Johannes Itten. „Er war wie ein Mönch gekleidet, kahl geschoren und Anhänger der Maznazdan-Sekte. Abends trafen sich Meister und Schüler zum Trommeln im Park“, erzählt Fritsch. Nicht nur das Trommeln mag die beschauliche Kleinbürgerwelt Weimars aufgeschreckt haben.

Einblick in die Metallwerkstatt Bild: Nathalie Mohadjer/Bauhaus-Universität

„Am Bauhaus sammelten sich unterschiedlichste intellektuelle und kulturelle Strömungen. Das charakteristisch Moderne des Bauhauses liegt im Pendeln zwischen Esoterik und Wissenschaft, Handwerksromantik und Industriestandard, reiner Kunst und Funktionalismus“, schreibt der Politologe Klaus von Beyme. Für die Weimarer Anfänge stimmt dies sicherlich. Und es pendelt auch in Fragen der Emanzipation: Frauen waren im Bauhaus zwar angekommen, aber sie wurden auf wenige Orte wie die Weberei verwiesen.

1924, kurz bevor das Bauhaus Weimar verließ, schrieb die Weimar Zeitung über ein „Gebaren schroffster Herausforderung“, wenn „Bauhausleute beiderlei Geschlechts irgendwo in der Natur sich nackt tummelten“. Unbedingt sei davor zu warnen, den Sohn, die Tochter „dieses Institut beziehen zu lassen“. Und David Fritsch weiß: „Unfolgsamen Kindern wurde gedroht: Wenn du nicht lieb bist, kommst du ins Bauhaus.“

Feiern: Nicht hundert, sondern neunzig Jahre Bauhaus wird in Weimar, Dessau und Berlin gefeiert. Alle Infos und die Bauhauscard www.bauhaus2009.de

Weimar: Vier Ausstellungsorte beschäftigen sich bis zum 5. Juli 2009 mit den frühen Jahren des Staatlichen Bauhauses www.das-bauhaus-kommt.de, www.weimar.de

Bauhaus-Spaziergang: Dauer 2,5 - 3 Std. Tel.: 03643 872-603 oder -630 www.uni-weimar.de/bauhausspaziergang

Sonderticket: Gibt es bei der Bahn vom 22. 7. bis 4. 10. für 89 Euro von jedem Bahnhof entweder nach Weimar, Dessau oder Berlin Tel. (0 18 05) 31 11 53

Pauschalen: zahlreiche Hotels wie das Dorinth Hotel in Weimar bieten Bauhaus-Pauschalen. Infos bei den Touristikämtern

Das könnte durchaus Spaß gemacht haben. Denn der Mythos Bauhaus lebt auch von seinen Festen, begleitet von der eigenen Band mit Jazz, Stepp und Maskenbällen. Die wilden 20er-Jahre eben. Man feierte im Ilmschlösschen, das man auf einem halbstündigen Fußmarsch vom Stadtzentrum Richtung Oberweimar entlang der Ilm erreicht. Hier im Ilmschlösschen gab das Bauhaus seinen Abschied von Weimar. Der Festsaal scheint sich seither nicht viel verändert zu haben, „außer dass der Vermieter zu DDR-Zeiten eine Fußbodenausbaufirma führte und das Parkett mit irgendeinem Verbundstoff überzog“, sagt Christine Klostermann, die das Ilmschlösschen, das seit 1914 von ihrer Familie geführt wird, vor 25 Jahren übernahm. Die Eintrittskarte vom 28./29. März 1925, entworfen von Herbert Bayer, hängt im Restaurant. Sie lud zur letzten Feierlichkeit. Der Eintritt kostete 5 Mark. Zu gewinnen gab es Selbstentworfenes von Kandinsky und Klee. Das Bauhaus verließ im April 1925 Weimar und zog nach Dessau, das bessere Bedingungen versprach. Die Gründe des Wegzugs: politischer Druck der Rechtskoalition, die der Schule die Hälfte der Mittel strich.

In der Gelsenkirchener-Barock-Gaststätte Ilmschlösschen gibt es Thüringer Küche, dunkles Bier, frische Osterglocken, Blumenkissen. Zwei ältere Damen beim Kaffee schäkern mit dem schlaksigen Kellner. Es würde nicht wundern, wenn er schon Paul Klee die Knödel übel gelaunt serviert hätte. Nur zwei Bildbände zum Bauhaus – auf einem Tischchen mit Zimmerlinde – verweisen versteckt auf die fröhliche Avantgarde. Das Kapitel Bauhaus, inzwischen Unesco-Weltkulturerbe und weltberühmt von Chicago bis Tel Aviv, hat die ostdeutsche Provinz bis heute nur schwer für sich entdeckt.

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