Nutzerbezogene Online-Werbung: EU setzt Großbritannien Frist

In Großbritannien möchte der Reklamedienst "Phorm" in Nutzerdaten schnüffeln, um passende Werbung einblenden zu können. Dem Land droht nun ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.

"Revolution" in Privatsphäre? Die Homepage des umstrittenen Werbedienstes "Phorm". Bild: Screenshot phorm.com

BERLIN taz Es ist das ultimative "Behavioral Targeting", die Ansprache von Kunden nach ihrem Verhalten: Der umstrittene Werbedienst "Phorm" plant, in Zusammenarbeit mit großen Internet-Providern die Surftouren der Nutzer im Netz zu verfolgen, um ihnen dann passende (und deshalb auch besonders lukrative) Reklame einzublenden. Wer beispielsweise viel auf Tourismusseiten surft, bekommt dann Reiseangebote angezeigt, wer sich für Kino interessiert, die neuesten DVD-Tipps.

So harmlos das zunächst klingen mag: Vielen Usern geht die Analyse ihres gesamten Nutzungsverhaltens zu Werbezwecken viel zu weit, selbst wenn Phorm Stein und Bein schwört, man anonymisiere die erhobenen Daten strikt und "kenne" seine User nur als Nummern und nicht nach Namen und Adressen. In Großbritannien ist Phorm dabei besonders weit gekommen: Das Unternehmen arbeitet unter anderem mit großen Providern wie British Telecom und Virgin Media zusammen, die die umstrittene Technik bereits testen und bis zu 70 Prozent aller britischen Breitband-Haushalte abdecken würden.

Nun könnte Phorm und seinen Netzbetreiberpartnern aber die Europäische Union in die Quere kommen - und deren Datenschützer. Die EU-Kommissarin für die Informationsgesellschaft, Viviane Reding, sieht zwar grundsätzlich mögliche Vorteile für Kunden und Unternehmen in solchen Technologien. Dies gelte aber nur dann, wenn dabei gleichzeitig die Regelungen für den Schutz der Privatsphäre eingehalten würden. Dazu gehöre unter anderem, dass die Vertraulichkeit der übertragenen Nachrichten gewährleistet sein müsse und diese nicht ohne ausdrückliche Einwilligung der User überwacht und durchleuchtet werden dürften.

Die EU-Kommission hatte deshalb im vergangenen Jahr von der britischen Regierung gefordert, ein Regelwerk vorzulegen, unter dem Phorm zugelassen werden soll. Doch genau das scheint Brüssel nun zu lasch zu sein. Dort sieht man inzwischen grundsätzliche Probleme bei der Umsetzung von EU-Vorschriften aus dem Bereich der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation durch Großbritannien.

Reding sagte, man sei im Zusammenhang mit dem Fall Phorm zu dem Schluss gekommen, dass entsprechende EU-Datenschutzregelungen nicht breit genug umgesetzt seien. Diese müssten nun angepasst werden. "Ich fordere die britische Regierung auf, ihre einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu ändern und die nationalen Behörden mit ausreichenden Befugnissen und echten Sanktionsmöglichkeiten auszustatten", sagte Reding, die gleichzeitig mit einem Schreiben an die Londoner Regierung die erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens einleitete.

Nach britischem, von der Polizei vollstreckbarem Recht sei es eine Straftat, unrechtmäßig Nachrichten abzufangen. Allerdings sei der Tatbestand dieser Straftat auf das "beabsichtigte" Abfangen beschränkt. Ferner werde nach diesem Recht das Abhören auch als rechtmäßig angesehen, wenn "vernünftige Gründe" für die Annahme vorlägen, dass eine Zustimmung für das Abfangen erteilt wurde. Die Kommission sei außerdem besorgt darüber, dass das Vereinigte Königreich keine unabhängige nationale Aufsichtsbehörde habe, die sich damit befasse.

Das Land hat nun zwei Monate Zeit, auf das Brüsseler Schreiben zu reagieren. Fällt die Antwort nicht zufriedenstellend aus, nimmt die Kommission erneut Stellung. Im letzten Schritt kann sie dann den Europäischen Gerichtshof anrufen, um durchzusetzen, dass das Vereinigte Königreich seine aus dem EU-Recht erwachsenden Verpflichtungen nachkommt.

Der Fall Phorm wird auch deshalb von Datenschützern und Netzbürgerrechtlern intensiv beobachtet, weil es nicht der einzige Anbieter ist, der mit dem so genannten Behavioral Targeting experimentiert. Auch der Online-Riese Google kündigte im März eine entsprechende Technologie an, die das Verhalten der Nutzer über zahlreiche Seiten im Web erfassen kann - die so genannten "interessenbasierten Anzeigen". Zwar hat Google keinen Zugriff auf die gesamte Online-Nutzung, wie es ein Internet-Provider potenziell hat, ist mit seiner Reklame aber bereits derart breit im Web vertreten, dass es auch hier zum Anlegen genauer Profile kommen könnte. Immerhin kann ein Nutzer die Technologie jederzeit abschalten.

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