Regisseur Polesch schreibt Buch: Theorie-Pop und Trotz

Komische Kollisionen: In "Liebe ist kälter als das Kapital" sind René Polleschs Theatertexte nachzulesen.

Kein Schlingensief'scher Selbstdarsteller: Coverbild von René Pollesch. Bild: buchcover rowohlt

Auf dem Coverfoto ist der Autor nur verpixelt mit Grünstich zu sehen: René Pollesch, wie wir ihn kennen. Der derzeit wohl erfolgreichste deutsche Theateravantgardist - ein Selbstdarsteller wie Christoph Schlingensief ist er nicht. Bei Pollesch sprechen die Texte für sich.

Weit über hundert Stücke hat er geschrieben, ruck zuck geht das, inzwischen sind seine Einsätze weit über das deutschsprachige Theatergebiet verstreut. Gerade probt er in Stuttgart mit Harald Schmidt. Schmidt ist Fan. Und Schmidt analysiert (in einem Interview der Stuttgarter Zeitung): "Großartig, wie er philosophische Theorien ins Schauspiel einbringt - und das nicht akademisch trocken, sondern mit absolut theatralischen Mitteln, mit Slapstick, Boulevard und Melodram."

Ja, so kennen wir Pollesch. Er ist nie akademisch trocken und doch der große Theoriereinbringer im deutschen Schauspiel. Und, wenngleich die Konkurrenz in diesem Fall größer ist: Der entschiedenste Kinoreinbringer ist er auch. Kino tritt bei Pollesch auf als Anspielungshorizont und als Clip. Außerdem hantieren die SchauspielerInnen (ganz großes I) auch auf der Bühne selbst mit Videokameras und filmen, irgendwo hinten, irgendwo draußen, irgendwo drinnen, dem Blick entzogen oder auch nicht. Im Text bleibt davon naturgemäß kaum eine Spur. Eine DVD liegt dem vorliegenden Band "Liebe ist kälter als das Kapital", der neuere Stücke von Pollesch versammelt, nicht bei, es steht nur immer als Regieanweisung da: Clip.

Was man dem Text auch nicht ansieht, ist die paradoxe Autorenposition des René Pollesch. Er gibt als Regisseur keine Anweisungen, er zwingt keinem was auf, das betont er immer wieder. Er macht Vorschläge und geht auf die Vorschläge seiner DarstellerInnen ein. Erarbeitet werden Text und Darstellung bei den Proben, sagt er, egalitär. Andererseits gibt er seinen Text nicht aus der Hand, beziehungsweise: nur in Bücher wie dieses. Aber fast keins der mehr als hundert Stücke hat ein anderer als Pollesch selbst inszeniert. Er hält den Daumen drauf, Coverversionen und Remakes gibt es nicht. Er haut die Sachen raus, stellt sie auf die Beine, hetzt zum nächsten Termin. Kein Wunder, dass er schon zu Studienzeiten in Gießen erste Triumphe feierte mit einer wöchentlichen Soap. Was bleibt, stiftet nicht der Nachspielerfolg, sondern das Buch.

Und was bleibt, im Buch? Ohne Clips, ohne die berühmten Volumenwechsel (Pollesch-Geschrei)? Ist der Text nur Drehbuch, Libretto oder steht er auf eigenen Beinen?

Es bleibt, zuerst, der Sound. Wer den Pollesch-Sound kennt, hat ihn als Rhythmus schon nach ein paar Zeilen im Ohr. Man imaginiert sich die Pollesch-DarstellerInnen-Stimmen sofort dazu, es ist ganz unvermeidlich. Pollesch-Stücke im Buch sind Songtextmusik. Was auch bleibt, ist die Komik. Wie Pollesch in einem der nachgedruckten Interviews des Bands sagt: "Ich glaube, die Leute lachen auch darüber, wie die Themen kollidieren. Dass die Schnitte so unrealistisch sind, die Anschlüsse so merkwürdig."

Man darf sich durch die Kino-Metaphern nicht täuschen lassen. Die Kollisionen sind solche der Sprache, der Themen-, aber insbesondere der Sprach-Sphären. Große Theorie, kindischer Trotz, das Banale und das Verstiegene. Hans Moser und Systemtheorie in "Das purpurne Muttermal". Die Hitler-Scheiße und die Repräsentationstheaterreflexion in "Capuccetto Rosso". Buback und Pilates-Training in "Liebe ist kälter als das Kapital. Das funktioniert, Sound inklusive, auch im Buch in der Hand.

Natürlich ist das, was Pollesch da treibt, Pop. Theorie-Pop. Es amüsieren sich darüber die akademisch gebildeten Schichten. So weit ist Pop längst gekommen. Wie aller linke Pop ist auch der Pollesch-Pop ambivalent: Er meint es ja ernst und genau das macht ihn für alle, die ihn eher ironisch nehmen, erst interessant. Das Pollesch-Theater erreicht als nicht vermiedenes Missverständnis die Leute, siehe nur Harald Schmidt. Das Pollesch-Theater ist, darin liegt ein großes Problem, meist überhaupt nicht anstrengend. Man amüsiert sich trotzdem über seinem Niveau.

Im Vorwort macht sich Dietmar Dath, der das Problem kennt, Gedanken, wie einer wie Pollesch der Vereinnahmung durch den Kulturbetrieb am besten entgeht. Es bleiben, für Dath, "schleimlösende, erfreuliche Augenblicke", sehr viel mehr aber nicht. Er hat ja recht. Die ganze Kulturbetriebsscheiße: das sind Pollesch, du, Dath und ich. Und nicht zuletzt Harald Schmidt. Natürlich wissen und reflektieren die Pollesch-Stücke das auch. Weil es aber nichts hilft, weil sie sich bei ihrem eigenen Scheitern zusehen müssen, sind sie auf der Meta-Ebene, was sie zunächst am allerwenigsten scheinen: immer auch tragisch.

EKKEHARD KNÖRER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.