G20-Demo in London: Der unbebilderte Eklat

Unverhoffte Begebenheiten können die Stimmung mehr anheizen als Großdemos mit tausenden Teilnehmern. Für eine Massenbewegung muss es aber Fotos dazu geben.

G-20 Proteste in London. Bild: dpa

Es bedarf auf Demonstrationen nicht immer gleich großer Massen, um die Gemüter der Allgemeinheit zu erregen. Im Gegenteil: Wer am Wochenende an den Krisendemos in Berlin oder Frankfurt teilgenommen oder auch nur zugeschaut hat, der wird sich gedacht haben: "Oh Mann, bloß die üblichen Verdächtigen". Und ein bisschen mehr Drive hätte es auch sein können. Trotz immerhin zehntausender TeilnehmerInnen waren es genau die gleichen Demos wie in den vergangenen Jahren. Die gleichen Fahnen von Attac, Antifas und Gewerkschaften - alles wie gehabt. Und von der - angesichts der Schwere dieser Krise - viel beschworenen Aufbruchstimmung war ebenfalls nicht viel zu vernehmen.

Wie heftig muss die von den Investmentbankern verursachte Krise noch werden, damit sich die Volkswut vor den Fernsehbildschirmen auch auf der Straße bemerkbar macht, mag sich so manch einer gefragt haben. Im Grunde aber gingen die Demos vom Wochenende den bundesrepublikanischen Otto Normalbürgern am Arsch vorbei.

Manchmal jedoch ergeben sich ganz unverhofft und abseits Begebenheiten, die die Emotionen dann doch zum Köcheln bringen. So geschehen an diesen Tagen in London. 4.000 DemonstrantInnen zogen zum Auftakt des G-20-Gipfels am Mittwoch durch Londons Bankenviertel - deutlich weniger als am Wochenende in Frankfurt oder Berlin. Und so sprachen nicht nur unabhängige Beobachter, sondern auch die Teilnehmer selbst zunächst von einer eher "karnevalesken Stimmung". Angesichts der dann doch recht großspurigen Ankündigungen einiger Demonstranten, "die Verhältnisse zum Kippen" zu bringen, und des Slogans "G 20 Meltdown" (Kernschmelze) auch nicht gerade ein Kompliment.

Doch am Rande der Proteste wagten es einige besonders übermütige Bankmitarbeiter von ihren verbarrikadierten Glitzerhochhäusern herab, den Demonstranten mit Zehn-Pfund-Noten hämisch zuzuwedeln. Das erregte Zorn. Wenig später stürmten G-20-Gegner eine Filiale der Royal Bank of Scotland, zertrümmerten die Glasfassade und warfen Gegenstände hinaus.

Diese Bank gilt in Großbritannien mittlerweile als Synonym dieser Bankenkrise, hat es der ehemalige Chef, Fred Goodwin, doch fertiggebracht, seine Bank sowohl in die größte Verschuldung der britischen Unternehmensgeschichte zu treiben, als sich auch im Zuge seines Rücktritts rasch eine jährliche Pension in Höhe von 700.000 Pfund im Jahr zu sichern. Seitdem wird er auch "Fred the Shred" genannt - Fred, der Zerkleinerer. Nahe Edinburgh hatten Unbekannte bereits die Scheiben seines Hauses verwüstet und die Scheiben seiner Mercedes-Benz-S-600-Limousine eingeschlagen. Einer der Demonstranten sprühte bei der Erstürmung der Bank entsprechend das Wort "Diebe" an die Wand. Die Schlagzeilen für den nächsten Tag waren gesetzt: "G-20-Proteste eskalieren" oder "Gewalt im Londoner Bankenviertel", titelten am Donnerstag die Zeitungen.

Dabei hätten die Bankangestellten die Folgen ihrer Provokation durchaus ahnen können. Immerhin waren viele ihrer weniger mutigen Kollegen am Mittwoch gar nicht zur Arbeit gegangen, weil sie Übergriffe von wütenden Demonstranten fürchteten. Andere tauschten aus Angst vor möglichen Angriffen ihre Anzughose gegen eine Jeans aus. Und viele Gebäude im Bankenviertel waren mit Brettern verrammelt, mehrere Straßen gesperrt. Zugegeben, eine strategisch immer wieder gern genutzte Stimmungsmache von Protestgegnern im Vorfeld, um die Demonstranten zu diskreditieren und weitere potenzielle Protestierwillige von der Teilnahme abzuschrecken.

Dass Banker und Manager in diesen Tagen zwar nicht unbedingt gleich um Leib und Leben bangen müssen, mit einer zeitweiligen Geiselnahme aber durchaus zu rechnen haben, zeigte sich in Frankreich. Dort nahmen Angestellte den nationalen Chef der US-amerikanischen Büromaterialfirma M3 für einige Stunden als Geisel. Vor zwei Wochen hatten wütende Arbeiter bereits den Frankreich-Chef des Sony-Konzern für eine Nacht als Geisel genommen, um gegen drohende Entlassungen zu protestieren. Solche Aktionen könnten auch hierzulande Opelaner oder Scheffler-Mitarbeiter inspirieren.

Von einem weltweiten Mob gegen die Verursacher und Mitwirkenden dieser Krise kann aktuell dennoch nicht die Rede sein. Zumal es die Fotografen versäumt haben, die Szene mit den mit Pfundnoten wedelnden Bankangestellten in Bildern festzuhalten. Somit bleibt der Unmut auf Londons City beschränkt. Zumindest vorerst.

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