theaterheros: "Gleich oben angefangen"

Der "Wilde" vom Waller Ring kommt nach Hause: Claus Peymann über nächtliche Schrei-Duelle auf dem Marktplatz, seine Rolle als siebter Zwerg in Hastedt und andere Auswüchse des Größenwahns

Der Bremer Peymann über Bremen: "Wo ich bin, ist keine Provinz" Bild: DPA

taz: Herr Peymann, wie ist Ihre Verbindung zu Bremen?

Claus Peymann: Ich bin immer noch ein Werder-Fan, das hat sich über die sieben Jahrzehnte gehalten. Meine eigentliche Verbindung zur Stadt ist das samstägliche Beobachten von Werder Bremen.

Ist das alles?

Natürlich sind auch meine Wurzeln in dieser Stadt und es geht eine gewisse Zärtlichkeit dahin zurück. Neulich hatten wir ein Klassentreffen der Schule am Waller Ring. Vom Hermann-Böse-Gymnasium war ich ja wegen meines Eintretens für Brecht geflogen.

Und Sie sind jetzt wieder hingegangen?

Das war absolut grotesk: Lauter gesetzte ältere Damen und Herren, alle schon in Pension und ich als "Wilder" dazwischen. Das Amüsante ist, wir waren zwei Parallelklassen: Eine mit Geisteswissenschaftlern, von denen lebten nur noch die Hälfte, aber die Naturwissenschaftler fast alle noch.

Das hätte ich früher wissen sollen...

Ja, das sollte man sich merken: Die Lebenserwartung steigt mit der Logik und sinkt mit der Phantasie. Das habe ich bei der Gelegenheit gelernt.

Ist das alles, was Sie an Lebensweisheiten aus Bremen mitgenommen haben?

Nein, ich habe in Bremen immerhin achtzehn wichtige Jahre meines Lebens verbracht: Der Aufbruch nach dem Krieg, diese Hoffnung, nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus und die Rückkehr der verbotenen Literatur, das hat mich entscheidend geprägt. Ich wollte ja eigentlich Schriftsteller werden, aber der Job war mir zu einsam und ich hab mich dann in diese Theaterfamilie hinein geflüchtet.

Noch in Bremen?

In der Kirche in Hastedt habe ich als Fünf-, Sechsjähriger mal den siebten Zwerg spielen sollen. Dort waren damals meine Eltern und ich war noch nicht aus der Kirche ausgetreten. Aber ich hab offenbar während der ganzen Proben nur rumgebrüllt vor Angst, das führte zunächst zum Ende meiner Theaterlaufbahn.

Und dann?

Damals waren der Goetheplatz und das Theater zerbombt und man spielte in der Aula der Delmestraße. Unser Lehrer hat uns mit zehn oder elf in diese Behelfsbühne geführt, dort habe ich Sachen wie den "Waffenschmied" oder "Entführung aus dem Serail" gesehen. Später habe ich die gloriose Hübner-Ära miterlebt. Man hat ja gesagt, so wie Hübner das Theater Bremen zum Mittelpunkt gemacht hat, hätte ich später Stuttgart und Bochum zu den führenden Stadttheatern gemacht. Mich hat animiert, dass man mit einem Theater eine Stadt gestalten und polarisieren kann. Bremen, das war Hübner. Vorher war es Borgward, dann war es Hübner.

Und heute?

Jetzt ist es eigentlich nur noch Werder Bremen.

Beobachten Sie die aktuelle hiesige Entwicklung?

Ehrlich gesagt weniger. Die Pierwoß-Zeit war mir einfach zu gemütlich, ein bisschen sehr sozialdemokratisch. Alles immer so ganz nett und viel Bockwurst und viel Buletten. Eine Ausnahme war da die Reanimation des U-Boot-Bunkers. Das fand ich eine gute Tat, dass man diesen Raum mal wahrgenommen hat.

Und sonst?

Ansonsten hat mich das nicht so angezogen. Vielleicht stand auch die Legende dazwischen, ich war immer unterwegs. Die Rosstour durch die Provinzbühnen ist mir glücklicherweise erspart geblieben - so über Lüneburg, nach Oldenburg bis Bremen. Abgesehen davon gehe ich mit meinem Größenwahnsinn immer von der These aus, dass, wo ich bin, keine Provinz ist. Ich lebe ja immer in dieser Hybris, dass ich mich selbst als Mittelpunkt sehe. Ich habe gleich oben angefangen. Aber ich bin auch immer besonders gut gewesen und hab immer etwas riskiert.

Schon immer?

Als wir gegen die Schließung des Theaters am Goetheplatz demonstrierten war ich an der Spitze der Bewegung. Vom Goetheplatz, an der Kunsthalle vorbei zum Rathaus. Da haben wir nachts um zwölf schwer Radau gemacht. Einige meinten, es sei Quatsch, um die Zeit Lärm zu machen. Da hab' ich am Seiteneingang des Rathauses geklingelt und hatte tatsächlich den damaligen Bürgermeister Hans Koschnick an der Sprechanlage, der Senatssitzung hatte. Der kam erstaunlicherweise tatsächlich runter und wir haben mit ihm geredet. Die Tragik war nur, dass dieser Koschnick ein so gut sitzendes Organ hat und ohne Verstärkung über den ganzen Platz hinweg gebrüllt hat. Ich war an dem Tag eigentlich todkrank und ein schwacher Gegner. Das Theater wurde dann ja auch gerettet - zumindest ist ein gewisses Fragment geblieben.

Wie sehen Sie die aktuelle Situation?

Die kann ich schwer beurteilen. Man spricht von diesem Musical, vielleicht werde ich das sogar sehen am Sonntagabend.

Sie selbst sind unter dem Titel "Stars lesen" angekündigt ...

Herr Frey spekuliert ein bisschen mit solchen Slogans. Aber das ist mir wurscht. Ich bin ihm dankbar, dass er mich eingeladen hat - ich koste allerdings auch nur das Hotelzimmer und den Zug. Ich hoffe nun, dass es ein vergnügter Abend wird und kein Seniorentreff. Ich werde sehen, ob ich noch einen speziell bremischen Teil einbaue.

Im Buch findet sich dazu nichts...

In den Nachkriegsjahren, das war ein Riesenaufbruch - da hat nur kein Mensch Interviews mit mir gemacht. Man kann sich ja heute gar nicht mehr vorstellen, was damals los war. Da gab es in der Kurfürstenallee zum Beispiel ein Theater unter dem Dach, das Bremer Zimmertheater. Da bekam ich für sechs Eier an der Kasse eine Karte und habe diese ganzen Sartres und Camus und diese anderen verbotenen Leute gesehen. Heute ist das ja alles viel abgesicherter und dadurch natürlich auch langweiliger. Das ist vielleicht auch das Manko des Buches: Es sind ja nur Dinge aus Interviews, Talkshows und Artikeln darin gesammelt.

Dann schreiben Sie die Bremer Jahre doch selber auf!

Ich glaube nicht, dass es mit einer Autobiographie noch was wird. Ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich alles noch mal wissen will, ob ich mich überhaupt noch erinnere. Es sei denn, ich fliege in Berlin raus und weiß nichts mit der Zeit anzufangen.

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