Kolumne einen versuch legen: Chappi und die Völkerwanderung

Schweizer können Fußball spielen. Das beweisen sie auch in der Bundesliga, die in dem Ländchen immer populärer wird

Für uns Schweizer begann die Bundesliga erst 1991 zu existieren, dem Jahr, in dem Stéphane Chapuisat auszog, um die Großen das Fürchten zu lehren. Einer von uns, dem dank der urschweizerischen Tugenden Bescheidenheit und Zurückhaltung die Sympathien nur so zuflogen und der trotz dieser Tugenden bestehen konnte. Und wie: 20 Tore in seiner ersten Saison für Dortmund! Er war ein Held für uns.

Der Effekt war gewaltig. Die Bolzplätze unseres Landes waren plötzlich übersät mit Kindern in den leuchtend gelben "Continentale"-Trikots, und alle wussten nun, wer im Ruhrderby spielt und dass die Schiedsrichter auf dem Betzenberg immer für die Heimmannschaft pfeifen. Chappi hat uns bewiesen, dass wir gar nicht so klein, schwach und unbedeutend waren, wie wir immer geglaubt hatten. Wir konnten tatsächlich mitmischen!

Und bald kamen noch mehr Eidgenossen, und sie waren erfolgreich: Chapuisat wurde Meister und Champions-League-Sieger, Sforza ebenso. Und Alain Sutter sah gut aus und brachte Uli Hoeness zur Weißglut. Dass wir in der Folge auch einige Rohrkrepierer - von Pascal Zuberbühler bis Hakan Yakin - in den Norden exportierten, tat der neu gewonnenen Beliebtheit der Bundesliga keinen Abbruch. Wir waren angefixt und wollten mehr von diesem Spektakel. Wie sehr wünschten wir uns, dass unsere Liga auch so wäre! Während "ran" und später auch die "Sportschau" selbst ein dröges 0:0 zwischen Bielefeld und Cottbus zur Weltklassepartie hochkommentierten, berichtet das Schweizer "Sportpanorama" über das Spitzenspiel der Runde, eingeklemmt zwischen Radquer und einem Porträt einer Fechtjuniorin mit bemerkenswerter Teilnahmslosigkeit.

Immer mehr Schweizer wandten sich der Bundesliga zu. Bald wussten viele Schweizer Fußballbegeisterte besser Bescheid über die internen Querelen bei deutschen Abstiegskandidaten als über die Neuzuzüge Schweizer Meisterschaftskandidaten. Ganz einfach, weil es deutlich mehr hergab, um unsere Sucht nach Fußball und seinen Geschichten zu stillen. Die "Sportschau" wurde zum Pflichttermin und Streitgrund in Beziehungen, weil der Sendetermin stets mit so Nebensächlichem wie Nachtessen, Elternbesuchen oder gar Gesprächen kollidierte.

Und dann setzte auch noch die Völkerwanderung ein. Nach der Jahrtausendwende wagten sich erste Deutsche in die kleine Schweiz, meist gut ausgebildete junge Männer auf der Suche nach einem gut bezahlten Job. Auf diese Pioniere folgten bald die nächsten und diesen die übernächsten. In Zürich ist bereits jeder zehnte Einwohner ein Deutscher, damit lohnt es sich für Sportbars, die Samstagskonferenz zu zeigen und für Kioske, den Kicker im Angebot zu haben. Die Bundesliga ist präsenter denn je.

Gleichzeitig scheinen die Schweizer plötzlich das Fußballspielen gelernt zu haben. Heute verdienen knapp 100 Fußballer ihr Geld im Ausland, davon 12 in der Bundesliga. Aus der ersten Tabellenhälfte spielen nur die Bayern und Hoffenheim ohne Spieler mit Schweizer Pass. Wenn wir also unsere Besten bei der Arbeit sehen wollen, dann kommen wir nicht um Premiere oder die "Sportschau" herum. Die Verteilung der Sympathien erfolgt dabei nach der Anzahl Schweizer im Kader. Wolfsburg war bis vor Kurzem noch ein Verein, dem Schweizer nur Niederlagen und Abstiege wünschten, seit unser Diego Benaglio dort den Kasten hütet, hofft man auf die Champions-League-Qualifikation.

Und dass nun ausgerechnet die Hertha, für die Gleiches gilt wie für Wolfsburg, dank Schweizer Importen die Bundesliga dominiert, das macht uns dann doch ein bisschen stolz. Unser Ländchen zeigt dem großen Nachbarn, wie man Fußball spielt! Mit jedem Spieltag wächst unser fußballerisches Selbstbewusstsein, bis wieder mal die deutsche Nationalelf kommt, die hierzulande etwa so beliebt ist wie Schneeregen, und unsere Helden mit 4:0 überfährt. Dann beginnen wir eben wieder von vorne.

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