Kommentar Schnüffelskandale: Die bespitzelte Gesellschaft

Der Schutzwall um die Privatspäre ist inzwischen sehr löchrig geworden. Es wird daher Zeit, darüber zu reden, ob nicht eine transparentere Gesellschaft erstrebenswert ist.

Die Telekom hat es auf etwa sechzig Bespitzelte gebracht, zumeist Vorstände, Gewerkschafter und Journalisten. Beim Discounter Lidl spionierten angeheuerte Detektive vor allem die Mitarbeiter der Märkte in Niedersachsen aus. Die Deutsche Bahn hingegen hat tatsächlich fast alle ihrer Mitarbeiter überwachen lassen. Das ist gut so.

Es ist gut, weil es eines deutlich zeigt: Der ehemals hehre Schutzwall um das hoch geschätzte Gut "Privatsphäre" ist inzwischen durch einen löchrigen Zaun ersetzt. Wenn es in den vergangenen Jahren darum ging, abzuwägen zwischen einem gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Interesse und dem der Privatheit, entschieden sich staatliche und wirtschaftliche Eliten stets gegen den Schutz der persönlichen Sphäre. Wie die Spitzelskandale in der Wirtschaft drücken die Vorratsdatenspeicherung und die Onlinedurchsuchung eine lange nicht gekannte Lust an der Beobachtung aus. Weitere Gesetze sollen folgen. Vielleicht ist auch das gut so.

Denn dem Voyeurismus der Eliten steht zwar laut Umfragen eine Mehrheit der Deutschen gegenüber, die sich um die Zukunft des Datenschutzes sorgt: Nur artikuliert sich diese Mehrheit äußerst sparsam. Privatsphäre gilt eigentlich als Schutzraum, in dem sich die Persönlichkeit entfalten darf und man keine Angst vor Beobachtung und Kontrolle haben muss. Hier entwickeln sich eigene Gedanken und unangepasstes Verhalten - Grundvoraussetzungen für freie, demokratisch verfasste Gesellschaften. Wenn dies nun zunehmend nicht mehr gelten soll, warum reden wir dann so wenig darüber?

Eventuell ist es ja tatsächlich so, dass das Private immer mehr als finsteres Verlies gilt, in dem Korruption, häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung verborgen herrschen. Es mag sein, dass wir eine skandinavisierte Gesellschaft erstrebenswerter finden, in der jeder alles von allem weiß und deshalb erst gar keine falschen Verdächtigungen aufkommen. Darüber ließe sich reden, und der Bahn-Skandal wäre dafür ein geeigneter Anlass. Denn der gegenwärtige Zustand, in dem die Mächtigen ihre Untergebenen bespitzeln dürfen, ohne sich selbst dafür genauer betrachten lassen zu müssen - der ist untragbar.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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