Vatikan und Pius XII.: Der Papst, der schwieg

Papst Pius XII. ist noch immer hochumstritten: Von 1939 bis 1958 im Amt, prangerte er nie den Holocaust an. Der Vatikan will ihn trotzdem seligsprechen, eine Berliner Ausstellung dient diesem Ziel.

Eine Aussstellung über Pius XII.? Ein Triumph der Vatikan-Reaktionäre.

Diese Ausstellung ist ein Skandal. Und sie zeigt, wie die Reaktionäre im Vatikan triumphieren.

Man könnte beides auch vorsichtiger formulieren, diplomatischer sozusagen. Oder ganz vornehm öffentlich schweigen, weil das Thema etwas Unangenehmes hat und man sich so Feinde schafft. So wie Papst Pius XII. das zu machen pflegte - ad maiora mala vitanda, um Schlimmeres zu verhindern. Womit wir mitten im Thema wären: bei einer Ausstellung des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften. Sie ist ab dem Freitag im Neuen Flügel des Berliner Schlosses Charlottenburg zu sehen und zeigt das Leben des umstrittensten Papstes der letzten hundert Jahre: Pius XII.

Eugenio Pacelli, so der bürgerliche Name von Pius XII., lebte von 1876 bis 1958 - in seinen letzten 19 Jahren saß er auf dem Thron Petri. Pacelli soll selig gesprochen werden, es ist die Vorstufe zur Heiligsprechung. Der heutige Papst Benedikt XVI. hat das Dekret zur Seligsprechung des asketischen Intellektuellen schon unterschriftsreif auf seinem Schreibtisch, wenn man richtig deutet, was sein Sprecher Federico Lombardi jüngst gesagt hat. Doch Joseph ("Wir sind Papst") Ratzinger zögert noch, braucht noch Zeit "zur Vertiefung und zur Reflexion", so Lombardi. Der Grund ist klar: Kann man einen Papst seligsprechen, der zum Holocaust schwieg?

Hoppla, das ist jetzt rausgerutscht! Die Berliner Ausstellung besagt dagegen: "Pius XII. hat zum Holocaust nicht geschwiegen", so die Ausstellungsmacher in einem Begleittext. "Jeder, der die biografische Ausstellung über Pius XII. ohne ideologische Scheuklappen betrachtet, wird feststellen, dass der Vatikan hier nicht Apologetik, sondern sachliche Aufklärung leistet." Die Ausstellung ist "auf Wunsch des Papstes organisiert worden", betonte Walter Brandmüller bei der Vorstellung der Schau. Der Prälat ist der Präsident des päpstlichen Komitees und der Hauptverantwortliche für die Ausstellung mit dem Titel "Opus Iustitiae Pax. Eugenio Pacelli - Papst Pius XII".

Der Kern der Ausstellung, die bisher nur in einem Flügel der Kolonnaden des Vatikans am Petersplatz zu sehen war: Raum 7. Mit der dreisten Überschrift an der Stirnwand: "Hier hören Sie das Schweigen des Papstes." Zu sehen ist eine Bronzebüste von Pius XII. vor einem alten Mikrofon. Dahinter an der Wand der angebliche Beweis, dass der Schweige-Papst zum Völkermord an den Juden eben nicht geschwiegen habe.

Dieser angebliche Beweis ist ein Zitat aus der Weihnachtsansprache von Pius XII. am 24. Dezember 1942. Darin sagte der Papst: "Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den Hunderttausenden, die persönlich schuldlos bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder fortschreitender Verelendung preisgegeben sind." Daneben steht, weil wohl doppelt gemoppelt besser hält, ein Zitat des Papstes vor seinen Kardinälen am 2. Juni 1943. Er sagte, seine "besonders innige und bewegte Anteilnahme" gelte denjenigen, "die wegen ihrer Nationalität oder wegen ihrer Rasse von größtem Unheil und stechenderen und schwereren Schmerzen gequält werden und auch ohne eigene Schuld bisweilen Einschränkungen unterworfen sind, die ihre Ausrottung bedeuten".

Das wars. Das also ist der offizielle Beleg des Vatikans dafür, dass der erwiesenermaßen wohlinformierte Pius XII. angesichts eines Völkermords an sechs Millionen Menschen mitten in Europa nicht geschwiegen habe. Das Wort Juden kam Pacelli nicht über die Lippen, Massenmord oder Hitler erst recht nicht. Dafür irritierende Relativierungen wie "persönlich schuldlos bisweilen", "auch ohne eigene Schuld bisweilen" oder "Einschränkungen", was schon fast euphemistisch klingt. Der damalige britische Gesandte beim Heiligen Stuhl erklärte angesichts der mehr als schwammigen Worte des Papstes zum Judenmord, seine Rede könnte "ebenso gut das Bombardement deutscher Städte gemeint haben". Und diese windelweichen Andeutungen von Pius XII. dienen dem heutigen Papst und den Ausstellungsmachern als Beleg dafür, dass der Schriftsteller Rolf Hochhuth völlig falsch lag, als er in seinem "Stellvertreter" 1963 schrieb: "Ein Stellvertreter Christi, der das vor Augen hat und dennoch schweigt, ein solcher Papst ist ein Verbrecher."

Kein Wunder, dass sich Rolf Hochhuth schon im Vorfeld der Ausstellungseröffnung mit einem ihrer Macher öffentlich gestritten hat. Man kann seinen Ingrimm verstehen. Denn in der Ausstellung und bei der Vorstellung der Schau wurde und wird nicht nur sein epochemachendes Drama als unhistorisch abgekanzelt - als müsste ein Theaterstück geschichtswissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Auch die anhaltende Wut Hochhuths über den mutlos-sprachlosen Papst ist verständlich, vergleicht man etwa die verhuschte Reaktion von Pius XII. angesichts des Völkermords an den Juden mit seinem lauten, öffentlichen Protest bei der Verhaftung und Verurteilung eines einzelnen Menschen, nämlich von Kardinal Joseph Mindszenty. Dieser Primas der katholischen Kirche in Ungarn wurde von den Kommunisten im Februar 1949 wegen "Spionage" zu lebenslanger Haft verurteilt. Pius XII. protestierte prompt vor dem diplomatischen Korps gegen Mindszentys Prozess und hielt eine Solidaritätsmesse für ihn - die Millionen Tote der Shoah waren dem Römer dagegen keine Messe wert. Übrigens heißt die Mindszenty-Tafel in der Schau "Kirche des Schweigens". Der schweigende Papst ist nicht gemeint.

Die Nicht-Haltung des Papstes gegenüber den Juden ist auch innerkirchlich ein Skandal: Während in Deutschland und im von den Nazis besetzten Teil Europas Tausende einfache katholische Geistliche öffentlich gegen den Judenmord protestierten, Juden halfen und ins KZ verschleppt wurden, wobei über 2.000 von ihnen starben, hielt Papst Pius XII. im fernen Rom diplomatische Leisetreterei gegenüber den Nazis für das einzig mögliche Mittel. Sicher, Pius XII. hat auch vielen Juden geholfen. Er hat sie, vor allem nach der deutschen Besetzung Roms im Herbst 1943, in Klöstern verstecken lassen, was in der Ausstellung groß gefeiert wird. Die katholischen Bischöfe der Niederlande protestierten nach der Besetzung ihres Landes durch die Wehrmacht öffentlich gegen die bevorstehenden Deportationen der Juden - was die kontraproduktive Folge hatte, dass die Besatzer jetzt erst recht gezielt zum Katholizismus konvertierte Juden jagten. Aber reicht diese mögliche Angst des Papstes um seine eigenen Schäfchen als Entschuldigung dafür, zum millionenfachen Mord an den Juden zu schweigen?

Unnötig zu erwähnen, dass die Ausstellung natürlich auch die "Rattenlinie" nicht erwähnt. Darunter versteht man die Hilfe unter anderem päpstlicher Behörden nach 1945 bei der Flucht von Nazi-Massenmördern wie Josef Mengele und Adolf Eichmann nach Lateinamerika. Darauf angesprochen, erklärte ein Mitarbeiter der Ausstellung, der Potsdamer Historiker Thomas Brechenmacher, bei der Vorstellung der Schau: Es sei klar, dass Papst Pius XII. bei dieser Hilfe für NS-Schwerverbrecher "keinen Anteil hatte" und dies auch niemals gebilligt hätte. Der Witz ist: Das kann mit letzter Sicherheit niemand sagen. Denn die vatikanischen Archive zur Amtszeit von Pius XII. von 1939 bis 1958 werden nach Auskunft des Papstsprechers Lombardi frühestens im Jahr 2014 geöffnet.

An dieser Stelle wird die Berliner Ausstellung und die geplante Seligsprechung des wortreich-schweigenden Papstes zum Politikum. Denn ungezählte jüdische Organisationen im In- und Ausland haben bereits gegen die wohl zu erwartende Beatifikation von Pius XII. protestiert - auch mit Verweis auf die noch nicht geöffneten Archive des Vatikans. Das Verhältnis jüdischer Verbände Italiens zum Papst ist wegen der Pius-Verehrung Ratzingers und wegen dessen Förderung der tridentinischen "lateinischen" Messe zerrüttet. Schließlich wird in dieser Liturgie für die Bekehrung der Juden gebetet. Benedikt XVI. aber pusht diese alte Messe, um den ultrakonservativen Kräfte in seiner Weltkirche zu gefallen. Diesem Ziel dienen auch die offiziellen Lobhudeleien für Papst Pius XII. Der vorkonziliäre Papst ist für viele Reaktionäre ein Symbol der angeblich so guten alten Welt des Katholizismus. Da ist es fast frech, wenn die Ausstellungsmacher wie jüngst der Papst nun versuchen, den erzkonservativen Pius XII. als angeblichen Vorbereiter des Konzils darzustellen - um seinen Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen. Übrigens besuchte am Donnerstag Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) im Vatikan auch das Grab Pius XII. Ausgerechnet.

So sucht das Gespenst des Pius XII. die Kirche noch heute heim. Nicht zuletzt die Pius-Verehrung hat zwischen dem Vatikan und Israel in letzter Zeit zu heftigem Streit geführt. Unter diesem schlechten Stern steht auch die für den Frühling geplante Reise des Papstes nach Israel. Im Oktober 2008 erklärte der israelische Minister Jitzhak Herzog, eine Selig- und Heiligsprechung von Pius XII. sei nicht hinnehmbar. Herzog ist ein Enkel des ersten aschkenasischen Oberrabbiners Israels, Isaac Herzog. Dieser hatte 1943 Papst Pius XII. um Hilfe bei der Rettung ungarischer Juden gebeten. "Mein Großvater spürte nach einer Audienz beim Papst das Bedürfnis, ein Reinigungsbad in der Mikwe in Rom zu nehmen", erzählte sein Enkel. Man kann Isaac Herzog gut verstehen.

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