Plattenrezension Kreator: Hier gibt's Dresche

Thrash Metal und die neue Weltordnung: In "Hordes of Chaos" der Veteranen Kreator geht es wieder mal um alles: Apokalypse, Krieg im Gaza und permanenter Ausnahmezustand.

Kreator in Aktion. Bild: wikipedia

"Die Horden des Chaos", "Fluch des Krieges", "Radikaler Widerstand", "totale Menschenfeindlichkeit". Ins Deutsche übersetzt, erinnern die Songtitel von Kreators neuer Platte "Hordes Of Chaos" frappant an den Jargon, mit dem sich gerade Gazakriegsbefürworter und -gegner, Hamasfeinde und -unterstützer hochrüsten. Auch die überraschende Verarbeitung des "Macht kaputt, was euch kaputt macht"-Slogans der Ton Steine Scherben durch "Destroy What Destroys You", könnte einem Hamas-Kämpfer aus dem Mund genommen worden sein, schließlich behauptet die Terrorgruppe ja genau das: mit Israel das Land vernichten zu wollen, das einen vernichtet. Auf der Rückseite der CD posieren außerdem verschleierte Kämpfer mit klobigen Maschinengewehren. Ungewöhnlich ist diese Darstellung des Martialischen für eine ThrashMetal-Band wie Kreator nicht. Die Platten, mit denen die Essener Band Mitte der Achtziger weltweit erfolgreich und zur prägendsten Band des Knüppel-Metal-Genres überhaupt wurden, hießen "Endless Pain" und "Pleasure to kill". Die Bestie Mensch ist Kreator so geläufig wie dem Pfaffen seine Schäflein als Sünder.

Die Bezüge zur Realität in Gaza, die man auf "Hordes of Chaos" dutzendweise finden kann - textlich geht es ununterbrochen um "pure hate", "abnormal cruelty", "escalation", "terrorists with a strong belief" und immer so weiter -, sind kein Zufall. So konkret auf die Lage im Nahen Osten zugeschnitten, wie es scheinen mag, sind die Texte aber dennoch nicht. "Hordes of Chaos" führt eher fort, was bereits 2005 mit dem Album "Enemy of God" begonnen wurde, wo sich Kreator mit den Folgen des 11. September beschäftigt hatten. Es geht schon dort um die weltweite Entfesselung der Gewalt, um den permanenten Ausnahmezustand als neue Normalität, wie es der italienische Philosoph Giorgio Agamben beschrieben hatte. Die Büchse der Pandora ist geöffnet, die Apokalypse schreitet voran, die Horden des Chaos marschieren weiter.

Auch musikalisch wird am letzten Album angeknüpft und sich, so wie zuletzt Metallica, die wie Kreator Anfang der Achtziger als Thrash-Metal-Band begonnen haben, bevor sie auch mal sanftere Töne anschlugen, wieder an den eigenen Wurzeln orientiert. Und das ausgerechnet mithilfe des Berliner Produzenten Moses Schneider, der mit seinen Arbeiten für Bands wie Tocotronic oder die Beatsteaks bislang eher für Indierock zuständig war. Schneider wollte ein "echtes" Kreator-Album, kein am Rechner zurechtdesigntes Metal-Produkt. Deshalb ließ er die Band ihre Songs live im Studio einspielen, was Direkt- und Rohheit erzeugen und dem verstärkt Rechnung tragen soll, was "Thrash" schon dem Namen nach immer sein sollte: eine einzige Drescherei und Prügelei.

Dieses Vorhaben ist einerseits geglückt, andererseits aber auch nicht. Die Platte klingt durchaus angemessen aggressiv, Schlagzeug und Gitarre künden immer wieder drohendes Unheil an, die mit dem Fallbeil erzeugten Breaks sind eine Herausforderung für jeden Headbanger, und das Album wird durchzogen von Double-Bass-Explosionen. Doch dann weichen die permanenten Gitarrensoli die Härte immer wieder auf, lassen den druckvollen Sound breiiger wirken, und Sänger Miland "Mille" Petrozza klingt mit seinem Vorsatz, möglichst verständlich seine Texte vorzutragen und nicht in ein vom Death Metal her bekanntes Gegrunze überzugehen, etwas zu bemüht wie ein Sänger einer politischen Hardcore-Band mit ernsthaftem Anliegen.

Ein prinzipielles Problem ist natürlich auch, warum es so erstrebenswert sein soll, als Metal-Band endlich wieder so zu klingen wie vor 20 Jahren. Diese Haltung lässt Metal wertkonservativer erscheinen, als er eigentlich ist. So werden im Black Metal, einem Genre, das Kreator mit auf den Weg gebracht hat, inzwischen teilweise atemberaubend avantgardistisch Grenzbereiche zu Neuer Musik und Noise ausgelotet, Thrash dagegen scheint sich nur des eigenen Regelwerks bedienen zu dürfen, sonst werden die Fans sauer. Auch Kreator mussten diese bittere Erfahrung bereits machten, als sie in den Neunzigern mit Industrial und sogar Gothic herumexperimentierten und damit in Metal-Kreisen zur Lachnummer wurden.

Jetzt aber sind sie wieder ganz die Alten, und "Hordes of Chaos" ist genau das Album geworden, das in Fachkreisen heftigst bejubelt werden wird und sicherlich auch den aktuellen Standard von Thrash Metal neu definiert. Es zeigt, wie vital diese Musik auch heute noch sein kann, vor allem, weil sie jetzt nicht mehr den Gehörnten oder den Herrn der Ringe besingen muss, sondern die Verarbeitung der Realität jetzt anscheinend ausreicht, um beim geneigten Hörer ein hinreichend elendes Gefühl zu hinterlassen. Was ja auch eine Aussage ist. Gleichzeitig bleibt die traurige Erkenntnis: Zu mehr Selbsterneuerung wird es das Genre Thrash Metal wohl nicht mehr bringen.

Kreator: "Hordes of Chaos" (SPV)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.