Fit für die Klassenvielfalt

Alle fordern die Integration von Einwanderern. Schule hat dabei eine Schlüsselfunktion: Neue Ansätze zum Thema Partizipation

VON EDITH KRESTA

Da staunte auch die Hürriyet. Überrascht vermeldete die deutsche Ausgabe der türkischen Zeitung, dass Wolfgang Schäuble die „Vernachlässigung einer ganzen Generation“ beklagte. Der ehemalige Innenminister kritisierte die völlig verfehlte Integrationspolitik der letzten 15 Jahre. Und versprach, die Integration zum Schwerpunkt seiner Politik als Innenminister zu machen.

Solange die Vorstädte nur in Frankreich brennen, kann sich die Politik hierzulande trauen, unverbindliche Integrationsversprechen abzugeben. Solche Losungen allein sind nicht viel wert. „Wenn der politische Wille da wäre, könnte man durch die Bildung kleiner Klassen aus dem Problem Multikulturalismus eine Chance machen“, klagt etwa der Sozialwissenschaftler Werner Schiffauer. „Dafür müsste man aber die Klassenstärken auf die Größen von zwölf Schülern herunterfahren.“ Ein Herkulesaufgabe – für die der Innenminister nicht mehr zuständig und in den Bundesländern nicht genug Geld da ist.

Aber Geld allein kann die durch Vielfalt geprägte Gesellschaften nicht zu mehr Selbstbewusstsein bringen. Pädagogen und Migrationswissenschaftler setzen sich mit der Qualität interkultureller Erziehung auseinander. Als Hauptursachen für das Versagen von Einwandererkindern sehen sie mangelnde Sprachkenntnisse und mangelnde Konzepte zur Förderung sozialschwacher Migrantenkinder. Der formale Spracherwerb ist jedoch nur ein Schritt zur Partizipation. Wichtig ist auch die Vermittlung von Lerninhalten, Lernerfahrungen und Lernkontexten. Die Frage also, wie historisch-politische Bildung in der Einwanderergesellschaft ausgestaltet werden kann. Für den Migrationsexperten Rainer Ohliger, Sozialwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität, heißt dies: „Den heutigen Schülern eine moderne Vorstellung von den historischen und politischen Zusammenhängen einer durch Migration geprägten Gesellschaft zu vermitteln.“

Die Hauptschule in Stuttgart-Ostheim ist eine Schule, die Interkulturalität als Schulprogramm hat. Es ist eine Modellschule in einem ehemaligen Arbeiterviertel mit vielen Einwandererkindern. Die historisch-politische Bildung dort knüpft sehr eng an Alltagserfahrungen der Schüler in ihrer direkten Umgebung an. Dies bedeutet, über Familienerzählungen und Migrationserfahrungen der Kinder einen Zugang zum historisch-politischen Wissen zu öffnen. „Unser Konzept würde ich nicht als interkulturell bezeichnen“, meint Gudrun Greth, die Direktorin, „unser Konzept geht dann auf, wenn sich die Schüler hier verwurzeln können und auf beiden Beinen stehen.“

Der interkulturelle Hintergrund der Schüler wird in der Stuttgarter Schule zum Thema. Dies ermöglicht die Verbindung lokaler Erfahrungen im Einwanderungsland mit den übernationalen Erzählungen und Erinnerungen. Für Gudrun Greth heißt das, einen sehr individuellen Umgang und eine individuelle Förderung der Schüler zu versuchen. Dies gelinge nur, wenn die Lehrer viel Engagement für die Schule und viel Empathie für die Schüler aufbringen. „Wir kümmern uns ganz intensiv“, sagt Greth, deren eigener Migrationshintergrund immerhin der Wechsel von Ost- nach Westdeutschland ist. Die Direktorin kann wegen des Programmstatus ihrer Schule ihre Lehrkräfte gezielt aussuchen.

In den schulischen Lehrplänen haben die Themen Migration und Integration in den letzten Jahren Berücksichtigung gefunden, vor allem bei den Fächern Geschichte, Politik/Gemeinschaftskunde und Erdkunde. Allerdings gibt es in den einzelnen Bundesländern gravierende Unterschiede. „Über die Erfahrungen und Konzepte sollte ein die Bundesländer übergreifender Erfahrungsaustausch angeregt werden“, schlägt der Sozialwissenschaftler Ohliger vor.

Dazu gehört auch die Entwicklung neuer Lehrmaterialien. „Die Neuauflagen hinken den gesellschaftlichen Entwicklungen und Diskussionen aber immer etwas hinterher“, rechtfertigt Goetz Schwarzrock vom Cornelsen Verlag in Berlin die zögerlich Bearbeitung der Themen in Schulbüchern. Bei der Lehrerausbildung hingegen, weiß Ohliger, stünden an deutschen Unis zahlreiche Konzepte und Ansätze zur Verfügung. Auch wenn diese Kenntnisse bislang nicht flächendeckend in der Lehrerbildung vermittelt würden.

Perspektivisch setzt man auch darauf, das mehr Lehrer an deutschen Schulen eingesetzt werden, die selbst eingewandert sind. Sie bringen unterschiedliche Perspektiven schon mit. Denn genau darum geht es bei der interkulturellen Kompetenz in der Schule: unterschiedliche Sichtweisen zuzulassen, die sich möglicherweise gegenseitig relativieren und befruchten.