Wichtigsprech und rhetorische Luft: Deppensprache Deutsch

Nicht die Jugend malträtiert die Sprache der Dichter und Denker bis zum Unverständnis. Es sind vielmehr die erwachsenen Dampfplauderer in den Medien.

Rechtschreibprobleme sind nicht das Problem und Anglizismen muss man easy sehen - schlimm sind nur die medialen Sprachverhunzer. Bild: ap

Deutsch soll als Nationalsprache im Grundgesetz verankert werden. Wunderbar so weit. Das Problem: Die Abgeordneten, die das entsprechende Gesetz verabschieden wollen, müssen erst lernen, klares und einfaches Deutsch zu sprechen. Zwar verwechseln sie relativ selten Fälle, wie das Gerhard Schröder gern tat. "Im September diesen Jahres", pflegte er zu sagen, statt "im Dezember dieses Jahres". Auch sind sie recht firm im Benutzen landläufiger Fremdwörter. Was aber Sinn und Präzision ihrer Rede angeht, besteht diese zu 50 Prozent aus verbaler Spachtelmasse.

In der deutschen Sprache gibt es eine Menge Wörter, die aus anderen Sprachen übernommen wurden. Doch es gibt auch zahlreiche Fälle, in denen Begriffe aus dem Deutschen in eine andere Sprache gewandert sind - über Zeitgeist und Kindergarten hinaus. Zum Beispiel:

In Spanien gibt es Estrudel zum Nachtisch. Ein Blätterteiggebäck, gefüllt mit Apfelmus und Rosinen. Das Wort stammt vom deutschen Strudel ab. In Chile kann man in einer Bäckerei sogar Kuchen kaufen.

Es kommt nicht täglich vor, aber ab und an liegt bei den Griechen tatsächlich eine Pretsel auf dem Teller. Und damit auch gleich ein Erbe des Begriffs Brezel. Ist der Tisch aber arg zu sehr geschmückt, beschwert man sich in Griechenland über den Kits - Kitsch.

Taucht in Frankreich irgendwo ein Mensch auf, der Nicolas Sarkozy verblüffend ähnlich sieht, werden die Menschen von einem Doppelgänger sprechen.

Und wer auf Persisch nach einer Tankstelle fragen will, sollte sich Pompe Benzin merken.

Fragen, die direkt an sie gestellt werden, beantworten sie nicht etwa konkret. Sondern zunächst einmal mit "Zunächst einmal …" Es folgt rhetorisches Nichts, wie "müssen wir das Problem konkretisieren und in seiner ganzen Tragweite erfassen". Und dann der entscheidende Satz: "Denn der Wähler hat ein Recht auf Information." Die besteht aus der "gewissenhaften Prüfung aller Tatbestände" und "wohl zu überlegenden Entscheidungen", gepaart mit "allen erforderlichen Maßnahmen".

Doch es ist wie immer. Sie, die größten Luschensprecher, ereifern sich über das Denglisch, Dürkisch oder Coolisch der heutigen Jugend. Die hat zwar zur eigenen Subkultur eine voll krasse Eigensprache entwickelt, wie das alle Generationen vor ihr machten. Das schlechteste und albernste Deutsch kommt jedoch von oben. Von sprachlich unterentwickelten TV-Moderatoren, die in die Sender geschwemmt werden. Von Wichtigsprechern aus der Wirtschaft. Von Mimen, die nur Vorgekochtes reden können. Von Promis, die vor keine Schulklasse treten dürften. Und von eben jenen, die genau das Deutsch, das sie nicht beherrschen, ins Grundgesetz packen möchten.

Die Qualen, die sie der Sprache zufügen, haben im Wesentlichen drei Erscheinungsformen: Den Man-ierismus, die rhetorische Luft und das moderne Wichtigsprech. Man-ierismus üben und beherrschen vor allem TV-Plaudertaschen. "Was macht man in einer solchen Situation?", will Sandra Maischberger von ihrem Gegenüber wissen. Kollege Meyer-Burckhardt in der NDR-Talkshow zum vor ihm sitzenden Michael Mittermeier: "Wie darf man sich das Leben, das Michael Mittermeier als Vater führt, vorstellen?" Neben ihm Barbara Schöneberger zu Hannah Herzsprung über deren Rolle als Liesel Karlstadt: "Wie macht man so was?" "Wie haben Sie das geschafft?", hätte die Frage lauten können.

Lustig: Spiegel-Autor Markus Brauck zitiert in seinem Beitrag "Männer ohne Eigenschaften" den Softmoderator Beckmann ("Wenn man Menschen fragt …") und verfällt dann selbst in die Man-ie: "Wenn man der neuen ZDF-Allzweckwaffe Markus Lanz im Fernsehstudio bei der Arbeit zusieht …"

Man könnte meinen, dass dieser Pudding ein Zeichen von Unsicherheit ist. Der wahre Grund jedoch heißt Faulheit. Vor allem im Denken. Wer einen klaren Gedanken hat, kann ihn auch klar mit Worten wiedergeben. Nur ist das nicht jedermanns Sache. Boris Becker etwa meinte kurz vor seinem 40. Geburtstag: "Die durchschnittliche Lebenserwatung für Männer ist in Deutschland 77 Jahre. Wenn ich vierzig werde, ist das fast schon mehr als die Hälfte."

Doch es sind nicht nur die Unbedarften, die seltsames Deutsch vorsprechen. Der Wirtschaftspsychologe Winfrid Neun sagte zum Beispiel in einer Phoenix-Runde über die aktuellen Befürchtungen der Deutschen: "Es sind wirklich in der Tat echte Ängste." Ein sprachliches Desaster der besonderen Art liefert das Philosophische Quartett. Peter Sloterdijk und Kollegen verzichten zwar auf Füllstoffe. Dafür ist jeder Satz eine komplizierte Zangengeburt. Mit mehreren Anläufen, Pausen, sprachlichen Kryptogrammen und Verschachtelungen. Eine klare Rede wäre nicht philosophisch.

Die größten Qualen für die deutsche Sprache kommen jedoch nicht vom Auswalzen der mageren Inhalte. Sondern vom Kaschieren mit Wichtigsprech. Seit einigen Jahren werden Leistungen oder Erfolge nicht mehr erzielt, sondern generiert.

Und was früher Mitarbeiter, Erfindungen, Märkte oder Käuferschichten waren, sind heute Ressourcen. Sobald sie entwickelt, erschlossen oder genutzt werden, tritt das modernste Wort aller modernen Wörter in Aktion: nachhaltig. Langfristig? Dauerhaft? Wirksam? Wie ärmlich! Um wie viel bedeutsamer sind Ressourcen, wenn sie nachhaltig generiert werden.

Am nachhaltigsten geht es zu bei den vier großen deutschen Energieversorgern. Die schwäbische EnBW hat sich freiwillig verpflichtet, weitergehende Standards in ihre nachhaltige Unternehmensführung einzubauen. Was immer das bedeuten mag. Vattenfall engagiert sich mit Windenergie und Kohlekraftwerken für eine nachhaltige Energieversorgung. Eon will den Anteil erneuerbarer Energien nachhaltig ausbauen. RWE hat sogar einen speziellen Nachhaltigkeitsbericht. Darin geht es unter anderem um die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Geschäftserfolg. Kein Wunder, dass die Bundeskanzlerin mit ihrer deutschen Nachhaltigkeitsstrategie nicht nachstehen möchte.

Doch wie können Politiker, Moderatoren, Journalisten und andere TV-Redner lernen, einfaches und klares Deutsch zu sprechen? Die brutalste Methode: Sie hören sich an, was sie gesagt haben und geben sich für jedes überflüssige "man" und jedes Füllwort einen Minuspunkt. Den folgenden Schock können sie mit einem guten Wein verdauen.

Die einfachste Methode ist das laute Lesen von Beiträgen in guten Zeitschriften und Zeitungen. Geübte Autoren schreiben ohne verbalen Kitt und Wichtigdeutsch. Wenn doch, werden ihre Ausrutscher durch das Lautlesen gnadenlos entlarvt.

Die wirksamste Methode ist ebenfalls Lesen. In diesem Fall ein ganz bestimmtes Buch: "Deutsch für Profis" von Wolf Schneider. Schneider war über viele Jahre (Wichtigdeutsch: langjähriger) Leiter der Hamburger Journalistenschule und Moderator der NDR-Talkshow. In seinem Buch zeigt er an vielen Beispielen, wie die deutsche Sprache malträtiert und verschachtelt wird. Und wie sie sich ohne große Anstrengungen in klare, verständliche Formen bringen lässt.

Irgendwann stößt aber auch er an Grenzen. In seinem späteren Buch "Speak German" geißelt er das Aufweichen der deutschen Sprache mit Anglizismen und versucht, Fast Food & Co. einzudeutschen. Dass sein Computer zum Rechner wird, mag noch angehen, obwohl es nicht stimmt.

Der Airbag als Prallkissen ist aber zu viel der Germanisierung. Trotz ihrer Härte (aber auch Präzision) ist Deutsch eine lebendige Sprache. Das Fenster kommt aus dem Lateinischen, der Arzt ist griechischen Ursprungs, die Gurke war einst Slawin. Wer glaubt, Deutsch könne sich den englischen Einflüssen entziehen, sollte der "Aktion Lebendiges Deutsch" beitreten und zum Netzplaudern (chatten) einen Geh-Kaffee trinken (coffee to go).

Gleiches sollten die Gegner der neuen fetten Jugendsprache tun. Für einen Germanisten mag es schrecklich sein, wenn die Schule zum Bildungsschuppen und der Freund zur Keule wird. Andererseits kann er von der Jugend lernen, wie sich Fremdwörter erfolgreich eindeutschen lassen: Bordell wird zum Reiterhof, der Friseur zum Kopfgärtner, die Discothek zum Zappelbunker. Jugendsprache darf nicht nur, sie muss sein. Ohne sie wäre Deutsch so tot wie seine großen Dichter. Und so leblos wie die neuen Wichtigsprecher.

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