Debatte Kommunisten in Italien: Italiens verschlissene Linke

Im einstigen Traumland der Kommunisten herrscht Berlusconi fast unangefochten. Denn das umworbene Prekariat hat keine Lust, abgehalfterten, linken Funktionären zu folgen.

Betrachten wir das italienische Tableau vor 25, vor 30 Jahren: Die größte kommunistische Partei außerhalb der Sowjetunion (rund 30 Prozent der Wählerstimmen, bei den Europawahlen sogar 33 Prozent), eine theoretisch ausdrucksstarke Gruppe von Intellektuellen um die Zeitung Il Manifesto, eine kommunistische Gewerkschaftsbewegung, deren Plakate, Streiks und Massenaufmärsche einen Hauch von Revolution verströmten. Dazu eine reichhaltige linksradikale Subkultur, die sich an der institutionellen Linken rieb wie die Sau am Eber.

Die deutsche Genossin, die 1970 nach Italien pilgerte, musste sich vorkommen wie die Ordensschwester am Ostersonntag auf dem Petersplatz beim "urbi et orbi". Die Organisationen der KPI (Zeitungen, Zeitschriften, Verlage, Kulturhäuser) und ihre Massenveranstaltungen prägten Italien derart, dass die Rechten glaubten, den Staat nur durch einen Putsch vor der roten Flut bewahren zu können. Das Land, in das ich 1967 zog, atmete eine Aufbruchstimmung, die das private und öffentliche Leben erfasst hatte.

Der Urteilsspruch der Geschichte sah anders aus. Im derzeitigen Parlament hat die Koalition der "rechten Mitte" unter Silvio Berlusconi in beiden Kammern eine satte Mehrheit, die dem "Medienzar" nahezu jedes Gesetz dienstfertig bewilligt. Die kommunistischen Parteien dagegen sind erstmals seit dem Sieg über Nazideutschland ohne parlamentarische Vertretung. Das aus dem antifaschistischen Widerstand geborene und auf Arbeit gegründete Italien hat im April 2008 aufgehört zu existieren. Ersparen wir uns einen Rückblick auf die Frage, ob die Welt der italienischen Linken jemals so heil war, wie es nördlich der Alpen den Anschein hatte. Auch wie zerrissen die KPI schon zu ihren besten Zeiten und wie sie real und theoretisch tatsächlich "aufgestellt" war, lasse ich beiseite.

Die Katastrophe begann trotzdem in globalhistorischer Steinzeit, und ich entsinne mich noch der Abfüllstation in der Kölner Südstadt, wo am 3. Februar 1991 nachts eine Genossin mit Tränen in den Augen hereinkam und mit erstickter Stimme berichtete, dass die KPI sich "aufgelöst" habe. Für sie war das fast so schlimm wie der Abend des 9. November 1989, als die Mauer geöffnet wurde.

Seither diskutiert man auch in Italien, was die Krise der Linken ausgelöst haben mag. Eine beliebte Erklärung lautet, die politische Auflösung des sowjetischen Blocks habe "nicht nur das komplexe internationale Gleichgewicht zerstört, sondern auch innerhalb der einzelnen Länder in Ost und West tiefgreifende Veränderungen ausgelöst - auf politischer, sozialer und kultureller Ebene. Dies ist hier in Italien besonders spürbar." So formulierte es zuletzt Valentino Parlato, einer der Initiatoren der Manifesto-Gruppe in Blätter für deutsche und internationale Politik (Heft 11, 2008).

Die Erklärung überzeugt nicht. Schließlich hat die 89er-Bewegung Gesellschaften mit sehr unterschiedlicher Bindung an die Sowjetunion politisch flachgelegt. Sie erklärt auch nicht, warum in Italien nicht nur die KPI kollabierte, sondern gleich das gesamte Parteiensystem, wie es sich in den Jahren 1943 bis 1948 - mit der großen, mächtigen christdemokratischen Partei an der Spitze - etabliert hatte. Sie erklärt auch nicht, warum das verzweigte Parteiensystem, in das die Auflösung von KPI und Democrazia Cristiana (DC) ab 1991 mündete, seit dem rauschenden Wahlsieg Berlusconis vom April 2008 auf parlamentarischer Ebene schon wieder ausgedient hat; nicht, warum altgediente Linke aus der einstigen fordistischen Arbeiterschaft zuletzt massenhaft die rassistische und rechtsradikale Lega Nord gewählt haben; nicht, warum der molluskenhafte mediengesteuerte Moloch der Pseudo-Partei Berlusconis die Wahl gewinnen konnte, warum Faschisten und Monarchisten ohne jeden Protest der "piazza" im Parlament sitzen können.

Es erklärt auch nicht den Parteiapparat des Partito Democratico (PD) mit dem Wahlverlierer Walter Veltroni an der Spitze, der in Deutschland fälschlich als "links" bezeichnet wird. Gewiss, Veltroni war KPI-Funktionär, doch ein genealogischer Baum, mit dem der PD im Internet hausiert, nennt die KP nur als eine von vielen Wurzeln, und das ist korrekt. Die Demokratische Partei Veltronis ist zwar direkt aus der Auflösung der KPI hervorgegangen, doch ist sie ein Spaltprodukt vieler institutioneller Parteien und ein politischer Bauchladen wie die CDU oder die SPD, ein politisches Chamäleon.

Anzunehmen ist vielmehr eine globale Krise, der sowohl die Sowjetunion als auch das italienische Parteiensystem zum Opfer fielen. Betrachtet man politische Parteien als Manifestation von Klasseninteressen und nicht nur als Teil der politischen Folklore oder Agenturen zur Besetzung der staatlichen Administration, so bedeutet ein Verschleiß der Parteien, wie er in Italien seit 1989 erfolgt, dass die Klassen sich verändert und ihre Interessen sich verlagert haben.

In der heutigen Parteienlandschaft Italiens spiegelt sich das Ende des fordistischen Industriezeitalters. Linke Parteien haben nur noch eine Chance als Fürsprecher der Emarginierbaren aller sozialen Gruppen. Insoweit ist die deutsche Linkspartei nicht populistischer, als jede Partei es zu sein hat. Es war das Manko der "Partei zur Wiedergründung der kommunistischen Partei" (PRC) von Fausto Bertinotti, dass sie diese Aufgabe nicht glaubhaft vertreten konnte - zum einen wegen ihrer Beteiligung an der Regierungskoalition Romano Prodis, die im Februar 2008 gestürzt wurde, vor allem aber durch die persönliche Diskreditierung Bertinottis selber, der unter Prodi Präsident des Abgeordnetenhauses war.

Natürlich gibt es in Italien nach wie vor eine große und lautstarke linke Bewegung. Die centri sociali in den Großstädten, Globalisierungsgegner, Umweltgruppen, Kriegsgegner,Teile des Prekariats sowie zuletzt die selbstbewusste Schüler- und Studentenbewegung. Es gibt sogar wieder eine "politisch-militärische kommunistische Partei" mit Zellen in Mailand, Padua, Turin, Triest, die vom Staat als "neue rote Brigaden" diffamiert wird und deren Anhänger zum Teil im Knast sitzen.

Die kleinere der beiden legalistischen kommunistischen Parteien (Partei der Kommunisten Italiens, PdCI) hat deshalb sofort nach der Wahlniederlage im Frühjahr 2008 (PRC, PdCI und Grüne erhielten 2008 zusammen nur knapp über 3 Prozent) einen Appell lanciert, die "Regenbogenlinke" müsse sich zum Interessenvertreter der "sozialen Schichten" machen, "die es nicht mehr schaffen", und für die das in Italien sprichwörtliche "Problem der vierten Woche" - also der bitteren Tatsache, dass der Arbeitslohn bei vielen Familien nach drei Wochen aufgebraucht ist - kein Schlagwort sei. Es ist fraglich, ob das italienische Prekariat nach allen Erfahrungen mit der parlamentarischen Demokratie sich noch mal zum Fußlappen von linken Parteifunktionären machen lässt, die Claqueure, einen Dienstwagen und Diäten suchen.

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