Völkermord an den Armeniern: "Die Türkei hat kein Verbrechen verübt"

Regierungschef Tayyip Erdogan kritisiert die Initiative türkischer Intellektueller, sich bei den Armeniern für den Völkermord 1915 zu entschuldigen. Viele sehen das anders.

Seit Jahren fordert Armenien, der türkischen Staat solle den Genozid zugeben: Zeremonie für die Nato-Partnerschaft in Armenien Bild: ap

ISTANBUL taz "Entschuldigung, wofür sollen wir uns entschuldigen. Die Leute, die sich entschuldigen, haben offenbar ein Verbrechen begangen. Dieses Problem hat der türkische Staat nicht. Es gibt nichts, wofür der Staat oder die Regierung sich entschuldigen müsste." Mit dieser harschen Reaktion hat sich der türkische Premier Tayyip Erdogan am dritten Tag nach Beginn einer beispiellosen Unterschriftenkampagne zur Entschuldigung bei den Armeniern in die Debatte eingeschaltet, die seit Tagen die türkische Öffentlichkeit beherrscht.

Am Montag hatte eine Gruppe türkischer Intellektueller einen Text ins Internet gestellt, mit dessen Unterzeichnung man sich individuell und persönlich dafür entschuldigt, dass der türkische Staat immer noch "die große Katastrophe, die den osmanischen Armeniern 1915 widerfahren ist", leugnet und völlig unsensibel mit dem Leid der Armenier umgeht. "Dafür entschuldige ich mich", heißt es in dem Aufruf. Binnen Stunden hatten mehrere tausend Menschen den Aufruf unterschrieben, bis gestern waren es rund 15.000. Ein zuvor kaum vorstellbarer Erfolg, angesichts der Tabuisierung der gesamten Völkermord-Debatte und der kategorischen Ablehnung von offizieller türkischer Seite, überhaupt irgendeine Schuld zuzugeben.

So begründete denn auch Erdogan seine harsche Ablehnung der Kampagne mit dem Argument, das Ganze sei völlig unlogisch. "Entschuldigen kann man sich nur, wenn man ein Verbrechen begangen hat. Wir haben aber kein Verbrechen begangen."

Der türkische Premier warf den Initiatoren der Kampagne, eine Reihe führender Intellektueller des Landes, dagegen vor, mit den Entschuldigungen der Türkei außenpolitisch zu schaden. Die Kampagne sei "kontraproduktiv". Offenbar befürchtet er, die Position der Türkei in den Gesprächen mit Armenien über eine Öffnung der Grenze und eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den Nachbarn könnte durch die Kampagne geschwächt werden.

Seit Jahren fordert Armeniens Regierung, vor allem aber die armenische Diaspora, der türkische Staat solle anerkennen, dass an den Armenien des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg ein Völkermord begangen wurde. Die Türkei bestreitet das und behauptet, die Opfer unter den Armeniern seien den Umständen des Krieges geschuldet. Da die armenische Bevölkerung mit den russischen Kriegsgegnern kollaboriert habe, wurde sie nach Syrien, damals Teil des Osmanischen Reichs, deportiert. Die Zahl der dabei getöteten Menschen sei weit niedriger gewesen als die 1,5 Millionen, die die armenische Seite angibt. Als Reaktion auf die Kampagne melden sich derzeit immer mehr Leute in den türkischen Medien, die berichten, dass ihre Großeltern angeblich Opfer von Armeniern wurden, die als Verbündete der Russen damals muslimische Dörfer angegriffen hätten. Wenn man sich entschuldigt, dann sollen sich gefälligst beide Seiten entschuldigen, ist der Tenor vieler Kommentare.

Auch der Chefredakteur von Hürriyet, Ertugrul Özkök, höhnte in seinem Kommentar, die Kampagne sei wohl "ein schlechter Witz". "Wer entschuldigt sich denn bei den Angehörigen der türkischen Diplomaten, die von der armenischen Asala ermordet wurden." Wesentlich gelassener als Premier Erdogan nahm Präsident Abdullah Gül zu der Auseinandersetzung Stellung. Die Debatte, so Gül, zeige, dass mittlerweile in der Türkei eben über alle Themen offen debattiert werden könne. Das sei doch erfreulich.

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