UN-Tribunal über Genozid: Lebenslang für Ruandas Chefmörder

Vor dem Ruanda-Völkermordtribunal der UNO endet der Prozess gegen die höchsten Militärs während des Genozids mit drei Schuldsprüchen und einem Freispruch.

Wegen Völkermord schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt: Anatole Nsengiyumva. Bild: reuters

Das Ruanda-Völkermordtribunal der UNO hat gestern sein wichtigstes Urteil gefällt. Oberst Théoneste Bagosora, als faktischer Chef der Militärregierung Ruandas während des Genozids an über 800.000 Menschen zwischen April und Juli 1994 Hauptorganisator der Massaker, wurde wegen Völkermordes schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das gleiche Urteil gab es für Bagosoras Mitangeklagte Aloys Ntabakuze und Anatole Nsengiyumva. Der vierte Angeklagte im Sammelprozess "Militär Eins" im tansanischen Arusha, Gratien Kabiligi, wurde überraschend freigesprochen und freigelassen. Separat bekam Protais Zigiranyirazo ("Monsieur Z"), der Schwager des damaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana, 20 Jahre Haft.

Es ist das erste abgeschlossene UN-Verfahren gegen Organisatoren des Völkermords im damaligen ruandischen Militär. Bagosora, 1994 Kabinettsdirektor im ruandischen Verteidigungsministerium, hatte sofort nach dem Attentat auf Präsident Habyarimana per Flugzeugabschuss am Abend des 6. April die Kontrolle übernommen und die Bildung einer neuen Regierung unter Führung des Militärs in die Wege geleitet. Diese organisierte dann landesweit die Auslöschung aller Tutsi Ruandas. Das sollte ein Friedensabkommens, das Habyarimana mit der Tutsi-Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) geschlossen hatte, überflüssig machen.

Nsengiyumva war jahrelang Direktor des Militärgeheimdienstes gewesen und wurde 1993 Militärchef des nordwestruandischen Distrikts Gisenyi, Heimatprovinz des Präsidenten Habyarimana an der Grenze zum Kongo. Er baute dort Milizen auf und erteilte ihnen nach Rücksprache mit Bagosora in der Nacht zum 7. April den Befehl zum Umbringen aller Tutsi in Gisenyi. In Gisenyi liegt das Militärhauptquartier auf einem Hügel, von dem man aus die Stadt sowie die benachbarte kongolesische Grenzstadt Goma überblickt. Habyarimanas Schwager "Monsieur Z" wohnte direkt daneben; er organisierte schon vor 1994 Todesschwadronen.

Natabakuze war Chef der Fallschirmjäger und erteilte ebenfalls Befehle zum Töten von Tutsi. Der freigesprochene Kabiligi war Stabskommandeur in der ruandischen Armee und leitete laut Anklage Massaker.

Das Völkermordregime wurde schließlich von der RPF aus Ruanda in den Kongo vertrieben. Bagosora und Nsengiyumva flohen nach Kamerun, wo sie 1996 festgenommen wurden; Ntabakuze und Kabiligi wurden 1997 in Kenia gestellt. Die Anklagen gegen sie wurden in Arusha in einem Sammelprozess verhandelt, der von 2002 bis 2007 dauerte - und seit dem letzten Verhandlungstag am 1. Juni 2007 sind noch einmal fast anderthalb Jahre verstrichen.

Die Ursache für die lange Verfahrensdauer liegt darin, dass sich an diesem Militärprozess alle Grundkonflikte über den Genozid entzündeten, die die internationale Gemeinschaft der Ruanda-Beobachter bis heute spaltet. Die Anklage legte anhand der historischen Fakten dar, dass der Völkermord vorab geplant und von oberster staatlicher Stelle geleitet wurde. Die Angeklagten hätten die Ermordung von Tutsi-Zivilisten "vorbereitet, geplant, befohlen, angeleitet, angestiftet, ermutigt und begrüßt", sagte Chefankläger Hassan Bubacar Jallow in seinem Schlussplädoyer. Die Verteidigung wechselte zwischen der Leugnung des Genozids, der Argumentation, die Massaker seien spontan vom Volk ausgegangen, und der Behauptung, die Tutsi hätten die Hutu dazu provoziert - eine These, die die Opfer zu Tätern erklärt und die Täter zu Opfern.

Das Tribunal hat diesen Streit nicht endgültig entschieden. Auch im gestrigen Richterspruch, wie bei allen bisherigen, wurde der Anklagepunkt der "Verschwörung zum Völkermord" nicht aufrechterhalten - die Verteidigung sieht sich dadurch in ihrer These bestätigt. Bagosora, der darüberhinaus den Genozid komplett leugnet und höchstens von "exzessiven Massakern" sprechen mag, hat bereits Berufung angekündigt.

Die im Prozess aufgeworfenen Interpretationsfragen sind mehr als nur ein Historikerstreit. Denn zahlreiche Organisatoren des Völkermords sind bis heute flüchtig; einige leiten ruandische Hutu-Milizen im Kongo. Erst diese Woche beklagte sich das UN-Tribunal bei der Regierung Kenias, dass der von ihm gesuchte mutmaßliche Hauptfinanzier dieser Milizen, der Geschäftsmann Félicien Kabuga, unbehelligt in Kenia lebe. Und der jetzt freigesprochene Kabiligi hat in den ersten Jahren nach dem Völkermord Hutu-Milizenangriffe aus dem Kongo nach Ruanda organisiert und könnte nun zu dieser Tätigkeit zurückkehren, ohne internationale Verfolgung fürchten zu müssen.

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