Streitgespräch über Medien: "Neuer Weg ist überfällig"

Im taz-Streitgespräch fordert der Publizist Lutz Hachmeister eine Neuordnung der Medienregulierung in Deutschland. Medienpolitiker Martin Stadelmaier (SPD) verweist auf "beachtliche Fortschritte".

Lutz Hachmeister (49, l.), Publizist und Journalistikdozent, Martin Stadelmaier (50), SPD-Medienpolitiker. Bild: dpa

Das Berliner Institut für Medienpolitik hat den für die Medienpolitik zuständigen Ländern im Sommer ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. "Rundfunk" werde "als medienpolitisches Ordnungsfeld bald so bedeutsam sein wie die Verwaltung der illyrischen Provinzen im 19. Jahrhundert" - also völlig bedeutungslos. Institutsdirektor Lutz Hachmeister bemängelte die "immer hektischeren Anbauten an den Rundfunkstaatsvertrag", der die Spielregeln für TV und Radio festlegt: Mit diesen sei heute "nichts mehr zu regeln". Nun ist der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der vor allem regelt, was ARD und ZDF im Internet dürfen und was nicht, unter Dach und Fach. Die taz lud daher Lutz Hachmeister und Staatssekretär Martin Stadelmaier (SPD), Koordinator der Bundesländer für die Medienpolitik, zum Streitgespräch.

taz: Herr Hachmeister, der Kompromiss beim Staatsvertrag ist da. Bleiben Sie trotzdem bei Ihren Vorwürfen?

Lutz Hachmeister: Ja, mehr denn je. Das Metamedium Internet berührt alle bisherigen Parameter der Medienpolitik und Medienregulierung ganz entscheidend, sieht man einmal von den verfassungsrechtlichen Garantien der Meinungsfreiheit ab. Das sieht man schon sehr praktisch daran, dass das Fernsehen rein technisch vollständig im Internet aufgehen wird. Ohne zu futuristisch klingen zu wollen: Das ist auch publizistisch eine revolutionäre Phase. Eine Medienpolitik, die ihren Namen verdiente, müsste darauf angemessen reagieren. Aber das tut sie nicht. Die föderale Medienpolitik in Deutschland produziert vor allem Begriffsschlacken.

Martin Stadelmaier: Die Formulierung mit den "illyrischen Provinzen" ist reizvoll und aus dem Elfenbeinturm wissenschaftlicher Institute schnell gemacht. Ihr revolutionäres Szenario spielt aber auf absehbare Zeit nur eine untergeordnete Rolle: Das Internet ist zunächst einmal eine neue Verarbeitungsweise. Es wird auf Dauer Fernsehen geben, auch wenn Presse und Rundfunk im Internet in neue Produkte hineinwachsen. Uns geht es um Regulierung von Meinungsmacht, und diese Problematik stellt sich im Internet genauso wie in der analogen Welt. Und was die Frage der Gesetze und beteiligten Institutionen angeht, hat die Medienpolitik in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte gemacht: Hier wurde sehr viel zusammengefasst und klarer geregelt.

Hachmeister: Pardon, aber ich argumentiere als jemand, der in der publizistischen Praxis arbeitet und versucht, das zusätzlich wissenschaftlich zu reflektieren. Wahrscheinlich unterscheidet uns das. Der berühmte 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag hat einen Zwischentitel bekommen und heißt jetzt auch noch "Arbeitsentwurf zur Umsetzung der Zusagen gegenüber der EU-Kommission im Rahmen des EU-Beihilfeverfahrens ARD und ZDF". Das spricht ja begrifflich schon für sich. Hier wird unglaublich viel Kraft darauf verwendet, bis in die Einzelheiten hinein zu definieren, was "Rundfunk" noch sein soll. Da wird dann formuliert, was unter Information, Bildung, Kultur, Unterhaltung zu verstehen ist. "Zeitgeschichte" zählt danach zu "Information", "Geschichte" und "andere Länder" aber zu "Bildung". Da wird mit dem Werkzeug des Rechtspositivismus versucht, Dinge in althergebrachter Weise zu katalogisieren, die in der Realität längst ineinander verschoben sind.

Stadelmaier: Sie reden von ganz verschiedenen Ebenen: Nur weil Dinge ineinander übergehen, müssen nicht auch die Maßstäbe, mit denen sie beurteilt werden, völlig zerfließen. Wir nehmen gerade an dieser Stelle vorweg, was in der kommenden Richtlinie für Audiovisuelle Medien durch die Europäische Union vorgegeben ist, nämlich Begrifflichkeiten zu definieren. Das braucht man nach wie vor.

Hachmeister: Oder nehmen wir das System der Landesmedienanstalten, die für den privaten Rundfunk zuständig sind: Das ist alles sehr, sehr anachronistisch. Viele Direktoren geben ja im kleinen Kreis offen zu, dass es kaum noch originäre Aufgaben für ihre Anstalten gibt. Aber heute muss man zu anderen Lösungen kommen, als eine ZAK und eine KEK und die anderen Kommissionen als Anhängsel der vierzehn Landesmedienanstalten zu haben. Wir brauchen sinnvollere Einheiten, einen staatlichen Regulierer, der auch von der Branche als solcher akzeptiert wird und angesprochen werden kann. Das ist überfällig.

Stadelmaier: Wir sind uns einig, dass wir für länderübergreifende Regelungsmaterien auch eine länderübergreifende einheitliche Entscheidung brauchen. Insofern betrachte ich das, was mit dem 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag auf den Weg gebracht worden ist und Sie etwas karikieren, als einen ersten Schritt, der im Übrigen auch ausdrücklich von den Direktoren der Landesmedienanstalten unterstützt wird. Aber es hat Länder gegeben, die den von mir gewünschten Schritt - unterstützt übrigens von den unionsregierten Ländern Bayern und Baden-Württemberg - in Richtung einer Länderanstalt für diese Aufgaben noch nicht gehen wollten. Ich bin mir aber sicher, dass wir das Ziel in den nächsten fünf Jahren erreichen werden. Denn dies ist ein Muss, das schlicht aus der Praxis kommt. Aber auch wenn der Titel dann Medienstaatsvertrag heißt, wird das an der Substanz dessen, was wir schon jetzt auf den Weg bringen, nichts verändern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.