Debatte Pakistan: Anwälte statt Taliban

Wer Terroristen bekämpfen will, muss der Bevölkerung zivilgesellschaftliche Angebote machen. Der neue Präsident Pakistans setzt auf Veränderung.

Die frühere US-Außenministerin Madeline Albright hat Pakistan kürzlich als "Migräne der Welt" bezeichnet. In der Tat bereitet das Land derzeit jedem, der sich mit internationaler Sicherheitspolitik beschäftigt, Kopfschmerzen.

Schmerztabletten sind hier jedoch ebenso wenig hilfreich wie ein beherzter Griff zum Schwert, mit dem man vielleicht den Kopf abtrennen, aber nicht den Patienten retten kann. Entsprechend stellt auch die von Barack Obama in Aussicht gestellte Militäroffensive keine Perspektive dar. Pakistans Probleme lassen sich militärisch nicht lösen, das haben die letzten Jahrzehnte gezeigt. Trotzdem denkt die internationale Gemeinschaft bislang zu wenig über Hilfen zum Aufbau der Zivilgesellschaft nach.

Die entscheidende Frage aber lautet: Wie kann Pakistan dabei geholfen werden, sich von einem Pariastaat, der seine Nachbarn mit "staatenlosen" Kriegern (Präsident Asif Ali Zardari) bedroht, wieder zu einem vollwertigen Mitglied der Weltgemeinschaft zu wandeln? Zardari, dem neuen Militärchef und der demokratisch gewählten Regierung kommen bei dieser heute zumindest möglichen Wandlung eine Schlüsselrolle zu.

Auch wenn kaum jemand den als "Mr. 10 Prozent" geschmähten Staatschef für einen Ehrenmann halten dürfte - eine Zusammenarbeit mit ihm ist sinnvoll. Denn Zardari steht prinzipiell auf der richtigen Seite. Auch er geht davon aus, dass die Kräfte, die seine Frau Benazir Bhutto ermordet haben, für die Anschläge in Bombay verantwortlich sind. Gegenüber Indien hat er deshalb die richtigen Worte gefunden. Zum ersten Mal rückte ein pakistanischer Staatschef von der Doktrin eines möglichen nuklearen Erstschlags ab. Das ist ein entscheidender Schritt, auch wenn im Zweifelsfall nicht Zardari die Entscheidung darüber fällt, sondern die Armee. Trotzdem weiß Zardari, dass die international agierenden Islamisten mit Hauptquartier in Pakistan nichts lieber sähen, als dass das Land von Indien angegriffen würde. Dadurch wäre Pakistans Militär gezwungen, einen Zweifrontenkrieg zu führen oder die Westgrenze zu Afghanistan den Taliban zu überlassen.

Was nottut, ist daher eine engagierte Stärkung all jener Strukturen in Pakistan, die nicht nur dem Islamismus etwas entgegensetzen können, sondern auch der omnipräsenten Armee, die unter Expräsident Pervez Musharraf den Staat fast vollständig ersetzt hat. Das Ergebnis dieser fatalen Militarisierung war noch nie so sichtbar wie heute. Die Rede ist von der klandestinen Unterstützung der Terrorstrukturen durch Teile des Militärs und des Geheimdienstes. Denn ein Apparat, der die Hälfte des Staatshaushaltes verschlingt, vermag sich nur zu legitimieren, wenn er glaubhaft auf eine Bedrohung von außen verweisen kann.

Die Ironie dabei ist, dass Pakistan heute vom Zerfall bedroht ist, weil die Armee ihr Partikularinteresse über Jahrzehnte hinweg erfolgreich als das allgemeine Interesse des Landes ausgegeben hat. Bei diesem "Missverständnis" hat der Westen eine entscheidende Rolle gespielt.

Mehr als 10 Milliarden US-Dollar sind in den vergangenen Jahren zur Unterstützung des "Krieges gegen den Terror" in den Taschen des Militärs verschwunden. Immer unter dem Vorwand, dass Musharraf das "kleinere Übel" sei, weil wenigstens vergleichsweise seriös. Diese Buchhalterlogik rächt sich heute bitter. Denn: Gemeinsam mit dem pakistanischen Militär und dem Geheimdienst ist es den USA gelungen, aus einer kleinen Gruppe ungebildeter Mullahs (den Taliban) eine effektive Kampftruppe zu formen. Warum sollte es dann nicht möglich sein, die zivilen Institutionen in einem Land zu stärken und Männer und Frauen in die Regierung einzubinden, die nicht jeden geliehenen Dollar veruntreuen oder an Terroristen weiterleiten?

Doch der Versuch, Pakistans Zivilgesellschaft zu stärken, wurde kaum unternommen. Entsprechend sei die Frage zugelassen: Kümmert sich eigentlich noch jemand um die mutigen Anwälte, die 2007 unter Einsatz ihres Lebens gegen die Militärherrschaft rebelliert haben? Sollte da nicht der ein oder andere darunter sein, der über genügend Erfahrung, Kompetenz und Intelligenz verfügt? Sollte es nicht möglich sein, mit 10 Milliarden US-Dollar auch in den paschtunischen Stammesgebieten Schulen zu bauen, in denen Kinder auf das Leben vorbereitet werden statt auf einen ehrenvollen Tod im vermeintlichen "Dschihad" gegen Ungläubige?

Wenn es der Regierung Zardari längerfristig gelänge, den Bürgern Pakistans ein bisschen Würde zurückzugeben sowie einen Staat aufzubauen, in dem nicht jede Dienstleistung durch Schmiergelder erkauft werden muss und in dem auch Menschen etwas erreichen können, die nicht zum Feudaladel oder zum Militär gehören, wäre mehr als nur eine Schlacht gewonnen.

Was Pakistan braucht, ist eine massive internationale Initiative zum Wiederaufbau der staatlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft. Zardari sollte nicht nur davon überzeugt werden, dass es in Pakistans eigenem Interesse ist, gegen Terrororganisationen wie Laschkar-i-Taiba vorzugehen, die für den Angriff auf Bombay verantwortlich gemacht wird. Es ist auch im Interesse des Landes, den von Musharraf abgesetzten Obersten Richter Iftikhar Chaudhury wieder ins Amt zu bringen. Kombiniert mit einem Rechtsstaatsdialog, der die Anwaltsbewegung einschließt, würde dies eine der wichtigsten zivilen Säulen des Staates, die Judikative, stärken.

Da Zardari, der wegen Korruption zehn Jahre im Gefängnis saß, bisher aus Furcht davor, selbst wieder in die Mühlen der Justiz zu geraten, Chaudhury ablehnend gegenübersteht, muss schnell ein "Deal" gefunden werden, der die Wiederherstellung der Justiz ebenso ermöglicht wie einen Schutz vor Strafverfolgung für den Präsidenten.

Eine weitere Maßnahme, die weniger schnell Erfolge zeitigen, aber langfristig umso wirkungsvoller wäre, sind massive Investitionen der internationalen Gemeinschaft in das marode Bildungssystem. Pakistan kann nur modernisiert werden, wenn eine breitere Mittelschicht jenseits des Militärs und des alten Feudaladels entsteht. Dafür braucht es mehr Menschen mit einer guten Grundausbildung, die auch für Investoren ein attraktives Arbeitskräftereservoir darstellen. Leicht wird vergessen, dass das boomende demokratische Indien und das gescheiterte Pakistan einmal dasselbe Land waren.

Die Chancen für zivilstaatliche Reformen standen schon lange nicht mehr so gut wie jetzt. Asif Ali Zardari ist ein schwacher Präsident, der verstanden hat, dass er selbst nur eine Chance hat, wenn Pakistan sich ändert. Und Armeechef Ashfaq Parvez Kayani - der eigentlich starke Mann im Land - hat den Rückzug der Armee aus der Politik bereits eingeleitet. Die internationale Gemeinschaft muss diese Männer unterstützen und zugleich das Spektrum vergrößern, mit dem sie in Pakistan zusammenarbeitet. Die bisher praktizierte Politik des "kleineren Übels" offenbart eine Denkfaulheit, die sich weltweit niemand leisten kann.

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