Porträt Christian Semler zum 70.: Unser Semler

Am Samstag wird der taz-Autor Christian Semler 70. Daniel Cohn-Bendit gratuliert.

Alles Gute! Bild: dpa

Wenn man mich fragt, wie ich Christian Semler in einem Satz gerecht werden will, dann ist die Antwort selbstverständlich: Gar nicht. Einen Satz will ich aber dennoch versuchen: Christian ist das lebendige Gedächtnis der linken Revolte. In ihm steckt die Nachkriegsgeschichte dieser linken Revolte von damals bis heute. Mit allen Stärken. Und mit ihren Schwächen. Christian Semler hat auf der einen Seite einen unvergleichlich analytischen Verstand. In seinem Wirken findet sich aber auch das komplette Aussetzen dieses analytischen Verstandes. In ihm ist die positive Emotion der Revolte von 1968 - und deren komplette Umkehrung nach seinem Sprung in den Maoismus. Christian ist für mich der lebendige Widerspruch. Und genau das macht ihn bis heute so faszinierend.

CHRISTIAN SEMLER, geboren am 13. Dezember 1938 in Berlin. Studentenführer im SDS (1966-70). Danach Gründer und Vorsitzender der KPD-AO. Seit 1989 zunächst Hirn, inzwischen auch Herz der taz.

DANIEL COHN-BENDIT, 63, führte die Revolte von 1968 auf den Barrikaden von Paris an. Heute ist er Chef der Grünen im EU-Parlament.

Wenn man mich fragt, ob ich ihn eher dem Kopf oder dem Herzen zurechne, so sage ich zunächst: Er ist Kopf. Aber dann ist es auch wieder so, dass in Christian ein ständiger Kampf tobt zwischen linker und rechter Gehirnhälfte. Hier die kühle Analyse, dort Kreativität und Gefühle. Das ist bei anderen Menschen sicher auch so. Bei ihm ist es deshalb so spektakulär, weil es in seinem Schreiben öffentlich wird. Man liest seine Beiträge in der taz jedes Mal aufs Neue mit Spannung, weil man immer wissen will, welcher Verstand diesmal die Oberhand gewonnen hat. Um es konkret zum machen: Er ist realpolitisch menschenrechtsorientiert, was mir gefällt. Und er hat gleichzeitig ein starkes, linkes Gewissen. Beides ist manchmal, zum Beispiel auf dem Balkan, schwierig zusammenzubringen. Christian gelingt es, und das macht ihn menschlich.

Im Endeffekt ist Christian ein nachdenklicher Mensch und kein vorpreschender. Sicher: Er hat nach dem Attentat auf Rudi Dutschke als General der Schlacht am Tegeler Weg im November 1968 eine neue, militante Strategie der außerparlamentarischen Opposition umgesetzt. Er hatte auch später in der KPD-AO eine Phase des Vorpreschens. Danach aber wurde ihm genau dieses eigene Vorpreschen suspekt. Das ist sicher ein Grund, warum er nie Politiker wurde.

Christian ist auch ein absolut solidarischer Mensch. Ausdruck davon ist, dass er auch der taz gegenüber immer solidarisch geblieben ist. Und er ist ein Beweis dafür, dass die Rente mit 60 auch ein Unsinn sein kann. Man möchte Christian Semler heute und auch in Zukunft nicht missen. Nicht in der taz. Und auch sonst nicht.

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