Der Leiharbeiter, der Entleiher und der Verleiher: So leben wir von Leiharbeit
Seit zwei Jahren ist Ingo Herrmann als Leiharbeiter bei OTS. Gern würde er bleiben. OTS würde ihn vielleicht übernehmen - wäre da nicht die Krise.
Ingo Herrmann, Leiharbeiter bei OTS Er begutachtet sein Werk. Ingo Herrmann hat das Rohr sauber geschweißt, da kann keiner meckern. Soll ja auch so sein, wenn ein guter Schlosser wie er das macht. Er legt das fertige Teil in den Wagen neben seinem Arbeitsplatz und greift nach dem nächsten. Auch am Nebentisch stieben die Funken, sein Kollege verbirgt das Gesicht hinter der schwarzen Schweißermaske. Beide haben gut zu tun. Die Ostsee Trading and Shiprepair GmbH (OTS) hat einen großen Auftrag an Land gezogen - da muss es zack, zack gehen.
Obwohl beide Männer die gleiche Arbeit tun, unterscheidet sie etwas Wesentliches. Ingo Herrmann ist Leiharbeiter. Das klingt nach Menschenhandel, und deshalb sagen die, die dieses Geschäft betreiben, auch lieber Zeitarbeiter. Das klingt irgendwie gelassener, flexibler, als könnte Herrmann arbeiten, wenn es ihm gerade passt.
Dieser Tage wird viel berichtet über Leute wie Ingo Herrmann. Denn sie sind die Ersten, die die Konjunkturkrise hinfortspült. Gerade hat der Lkw-Bauer MAN erklärt, ab sofort auf seine 2.000 Leiharbeiter verzichten zu wollen, die Infineon-Tochter Qimonda schickt in Dresden 200 Leute weg, und der Autozulieferer Continental streicht 5.000 Leiharbeitsplätze. Ver.di rechnet mit bis zu 120.000 Leiharbeitern, die wegen der Krise gehen müssen - das wären 15 Prozent dieser seit Jahren extrem boomenden Branche.
Entlassen müssen Unternehmen ihre Leiharbeiter nicht. Dietmar Winter zum Beispiel, der Chef von OTS, würde seinen geliehenen Rohrschlosser Herrmann einfach zurückschicken zu dessen Verleiher Volkmar Marske. Der Inhaber einer Rostocker Zeitarbeitsfirma ist Ingo Herrmanns Arbeitgeber.
Aber so einfach ist es natürlich nicht, nicht in einer 17-Mann-Firma wie OTS. Es gibt da auch das Zwischenmenschliche, das Kollegiale. Es gibt die zwei Jahre, in denen der 29-Jährige seine sauberen Schweißnähte hier in der Werkstatt im Rostocker Überseehafen gesetzt hat. Es gibt Ingo Herrmanns Frau, von der jeder hier weiß, dass sie im neunten Monat schwanger ist. Und es gibt die Hoffnung, dass das Leiharbeitsgeschäft, das die Beteiligten miteinander verbindet, diese verdammte Krise glimpflich übersteht.
Wenn nicht, "wäre das schon Scheiße", sagt Ingo Herrmann. Er weiß, was es heißt, ohne Arbeit dazustehen. Um nicht zu den 112.000 Arbeitslosen in Mecklenburg-Vorpommern zu gehören, hat er diverse Jobs gemacht: am Fließband Tiefkühl-Cordon-Bleu sortiert, Bauschutt geschippt. "In der Lebensmittelbranche arbeiten", "im Abriss tätig sein", sagt er - als würden Synonyme diese Jobs interessanter machen. Quatsch. Er ist ein fitter Rohrschlosser, der nicht die ersehnte feste Stelle kriegt. Und zwar nicht, weil er schlechter wäre als andere, sondern weil Unternehmen wie OTS qualifizierte Leute wie ihn dringend brauchen, aber eben nicht ständig. Was ist, wenn Aufträge wegbrechen? Dann hätten sie nicht nur Umsatzeinbußen, sondern auch noch die Personalkosten an der Backe. Und so zahlen Firmen wie OTS lieber der Verleihfirma etwas mehr Geld, als Leute wie Ingo Herrmann fest anzustellen. Die Branche lebt davon, Produktionsspitzen geräuschlos abdecken zu können. Und zwar zack, zack. Dafür ist Ingo Herrmann der richtige Mann.
Dietmar Winter, Geschäftsführer bei OTS "Bei mir hat jeder einen Tag zum Einarbeiten. Dann ist scharfer Schuss." Scharfer Schuss heißt bei Dietmar Winter, korrekt und selbständig Rohre zu schweißen - oder nach Hause zu gehen. Reibungslos muss die Arbeit laufen, das verlangt der 50-jährige Geschäftsführer. Damit es zack, zack geht, hat Winter sich bei der Rostocker Zeitarbeitsfirma Project Start den Rohrschlosser Ingo Herrmann geliehen. "Guter Mann, der bringts", sagt Winter.
Er sitzt im Büro seiner Firma im Rostocker Überseehafen. Ostsee Trading and Shiprepair (OTS) fertigt Rohrsysteme. Wenn sich auf dem Flusskreuzfahrtschiff "A-Rosa Bella" ein Passagier die Hände wäscht, fließt das Seifenwasser durch eines von Winters Rohren ab. Seine Mitarbeiter haben sie nach komplizierten Zeichnungen passgenau zugeschnitten, geheftet und geschweißt, eine Montagefirma hat sie eingebaut.
Winter kommt ins Schwärmen, wenn er von den Schiffen erzählt, die OTS ausgerüstet hat. Der Schiffsmaschinenbauingenieur liebt seinen Beruf. Vor zehn Jahren hat er die Firma gegründet, heute macht OTS 1,2 Millionen Euro Umsatz. 17 Leute hat er im Laufe der Jahre fest angestellt, zurzeit arbeiten zusätzlich neun Leiharbeiter für ihn. Einer ist Ingo Herrmann.
Winter erzählt, wie er 1998 versucht hat, ausschließlich mit Leiharbeitern zu produzieren. Um die Lohnkosten der jungen Firma niedrig zu halten. Aber das ging schief. "Leiharbeiter haben kein Interesse, schnell fertig zu werden. Und das", formuliert er vorsichtig, "harmoniert nicht mit mir." Er setzt seither auf eine Mischung aus Festen und Geliehenen. Im Laufe der Jahre hat er sechs Leiharbeiter angestellt. Ein Problem in dieser spezialisierten Branche ist es, die Besten nicht nur zu finden - sondern sie auch zu halten. "Schlosser ist nicht gleich Schlosser", erklärt Dietmar Winter. Wenn die Leiharbeitsfirma ihm jemand Guten schickt, kann der früher oder später mit einem Vertrag rechnen.
Kann Ingo Herrmann bleiben? Winter überlegt. Vor drei Monaten hätte er vielleicht ohne zu zögern ja gesagt. Aber wer kann im Moment schon sagen, wie schwer die Konjunkturkrise die Branche trifft? Noch haben Meyer und Neptun, die großen Werften, volle Auftragsbücher. Er hofft auf ruhiges Fahrwasser, weil OTS kein Material vorfinanzieren muss. "Rohre, Schrauben, Dichtungen kriege ich fertig von der Werft geliefert."
Da haben es andere Unternehmen schwerer. Immer weniger Banken geben der Branche Kredite. Eine Entwicklung, die auch der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) besorgt beobachtet. "23 Prozent der Zeitarbeiter sind im metallverarbeitenden Gewerbe", sagt BZA-Hauptgeschäftsführer Ludger Hinsen. Kriselnde Unternehmen schicken diese Leute schon jetzt weg. Der Geschäftsmann Winter formuliert das so: "Wir können nur verteilen, was wir haben."
Zurzeit aber läuft das Geschäft. Für Winter, den Entleiher; für den Leiharbeiter Herrmann, der den Tariflohn gezahlt bekommt; und für dessen fest angestellten Kollegen, der zusätzlich Erholungsgeld, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen bekommt. Ungleichbehandlung? Dietmar Winter schüttelt den Kopf. "Die Leiharbeiter sind mit unseren Leuten gleichwertig", sagt er, "nur das Gehalt läuft eben anders. Das ist aber nicht mein Problem."
Volkmar Marske, der Verleiher Die besten Kräfte gehen immer", sagt Volkmar Marske. Der 65-Jährige sitzt hinter seinem Schreibtisch und schildert die Lage am nordostdeutschen Zeitarbeitsmarkt. Marske meint mit den "besten Kräften" nicht die Tausende, die dieser Tage krisenbedingt zu ihrer Verleihfirma zurückgeschickt werden. Sein Problem ist ein anderes. Er ist auf der Suche nach neuen Leuten, die er verleihen kann. Sie müssen aber gut sein. Nicht zu gut: keine überqualifizierten Spezialisten, aber auch keine unqualifizierten "Helfer". Marskes Firma Project Start verleiht zuverlässig arbeitende Allrounder, die wissen, was der Schiffbau braucht.
Er findet sie, weil er sich gut auskennt in Mecklenburg-Vorpommern. Aber es kommt eben immer wieder vor, dass seine Superarbeiter ihren Job so gut machen, dass der Entleiher ihnen einen festen Vertrag anbietet. Und dann sind sie weg, raus aus Marskes Kartei, und er muss wieder neue suchen.
Ingo Herrmann zum Beispiel, das ist so einer. Bei dem würde Marske sich nicht wundern, wenn OTS ihn übernähme. Ein guter Rohrschweißer, der Herrmann, ein umgänglicher Kollege, wird ja jetzt zum zweiten Mal Vater. Volkmar Marske entspricht nicht dem Klischee vom skrupellosen Unternehmer, dessen Geschäft die "moderne Sklaverei" ist, wie der Spiegel kürzlich schrieb. Marske gehört die Zeitarbeitsfirma Project Start, und er spricht offen und gern über sein Geschäft, weil er überzeugt ist davon. Viele der 200 Fachkräfte, die sein Unternehmen verleiht, kennt er noch von früher. Dreißig Jahre hat er in der Rostocker Warnow-Werft Lehrlinge ausgebildet, am Schluss leitete der Ingenieur den Bereich Aus- und Fortbildung.
Die Wende brachte der stolzen Küstenregion Ein- und Umbrüche: Das Fischkombinat schloss, das Dieselmotorenwerk wurde abgewickelt, die Werftenkrise nahm die 250.000-Einwohner-Stadt fest in ihren Griff. Jeder fünfte Rostocker ist seither fortgegangen. Marske war früh klar: So wie einst wird es nie wieder, und wenn es schon keine sicheren Arbeitsplätze mehr gibt, dann doch wenigstens überhaupt welche.
1999 gründete er Project Start. In seiner Kartei hatte er 10 Leute, heute sind es 200. Volkmar Marske wird demnächst seine vierte Niederlassung eröffnen, "weil kleine Firmen schnell weg sind". Er erzählt von großen Unternehmen, die am liebsten seine Arbeiter leihen. "Wo wir der Hauptlieferant sind", so formuliert er das. 55 Mann hat er gerade im Schiffbau, 20 beim Baumaschinenhersteller Caterpillar. Und wenn einer seiner Leute von oben herab behandelt wird, geht er schon mal beim Firmenchef vorbei. Es läuft gut für Volkmar Marske. Aber wird das auch so bleiben?
"Dass es im nächsten Jahr weniger wird, ist schon jetzt erkennbar", sagt er. "Wir merken das, weil die Werft ein bisschen verzögert an uns zahlt." Schuld ist die Kreditklemme, in der sich die Schiffbauer wiederfinden. Plötzlich hat der Auftraggeber kein Geld, um die Zulieferer in den Docks zu bezahlen. Die waren ihrerseits finanziell in Vorleistung gegangen. Die Konjunkturkrise findet ihre Opfer. Volkmar Marske formuliert es optimistischer: "Der Abbau von Zeitarbeit ist da. Aber unsere Guten gehen zum Schluss." Marske ist nicht stärker als der Markt. Aber wohl gut auf ihn vorbereitet.
Leser*innenkommentare
Antimaterie
Gast
Sehr geehrte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen,
heute stelle ich Ihnen unser neustes Modell vor, den Sklaven 20008. Sie werden alle davon profitieren.
Der Sklave wird Ihnen bis vor die Tür gebracht. Sie brauchen ihn nicht zu füttern, da er sein Essen selbst mitbringt. Er wird sich auch eigenständig um seine Gesundheit bemühen und ebenso für eine Unterbringung selbst sorgen. Mit diesen Balast brauchen Sie Ihre Zeit nicht zu verunstalten. Desweiteren ist es ihm verboten mit anderen Sklaven oder Herren zu reden, um eventuell Unruhe zu stiften. Er arbeitet zu jeder Tageszeit die sie vorschreiben. Ein Anruf genügt und er steht bei Ihnen vor der Tür.
In vielen Fällen geben wir Ihnen noch 2000 Euro auf den Sklaven drauf, damit sie Ihn bei sich arbeiten lassen. Sie können Ihn ruhig einmal anschreien oder beleidigen, nur körperlich sollten sie ihn lieber nicht attackieren, da dieses seine Arbeitskraft beeiträchtigen könnte.
Lästige Sicherheitsregeln können Sie bei unserem Sklavenmodell komplett ignorieren. Sollte es einmal zu einem unglücklichen Arbeitsunfall kommen, so werden wir Ihren Sklaven selbstverständlich umgehend durch ein neues Modell ersetzen.
Unser Modell ist gerade für niedere Arbeiten aller Art einzusetzen, da besonders genugsam.
Pro Stunde müssen Sie jedoch einen kleinen Betrag für seine Arbeitskraft bezahlen, der jedoch weitaus unter den Verbrauchskosten einer Maschine liegt. 3 Euro die Stunde (verhandlungsbereit).
Diesen Preis können sie jederzeit durch fadenscheinige Begründungen wie angeblich langsame Arbeit, Fehlzeiten oder ähnliches herabsetzen oder gar ganz streichen, was Sie auch regelmäßig tun sollten, um den Sklaven in seine Schranken zu weisen.
Und was die Bezahlung betrifft, so möchten wir Sie auf folgendes Hinweisen: 2000 Euro erhalten Sie von uns, wenn Sie für 6 Monate einen unserer Sklaven bei sich aufnehmen.
5 Tage pro Woche * 4 Wochen pro Monat * 6 Monate *8 Stunden am Tag = 960 Stunden
Gelingt es Ihnen durch geschicktes Taktieren den Stundenlohn auf 2,08 Euro zu drücken, so kommen Sie unterm Strich ohne einen einzigen Cent Verlust heraus. 960 Arbeitsstunden umsonst!
Als Gegenleistung möchten wir Sie lediglich an den Namen unserer Partei erinnern und im Anschluss unsere Kontonummer für eventuelle Parteispenden bekanntgeben.
Wir freuen uns auf eine gemeinsame Zusammenarbeit.
Mit freudnlichen Grüßen
Ihre Regierung
nobody
Gast
@Hans: Die Gewerkschaften sind nach wie vor gegen die Leiharbeit und sicher wäre der DGB auch nicht so dumm gewesen einfach so einen "Leiharbeiter-Tarifvertrag" abzuschließen, sondern er tat dies um gegen die Dumping-Tarifverträge der christl. Gewerkschaften (CGM, CGB, usw.) vorzugehen. Denn durch diese war der rechtl. Grundsatz "Gleiche Arbeit, gleiches Geld" bereits ausgehebelt! Trotzdem stellt sich natürlich die Frage ob man nicht einen (speziell vom Entgelt her)besseren Tarifvertrag hätte abschließen können bzw. sollen.
Wollte nur darauf hinweisen, dass z. B. die IG Metall zur Zeit eine Kampagne gegen Leiharbeit führt. Vor der Finanzkrise war davon sogar teilweise auch in den Medien zu lesen/hören. Jetzt ist die Aufmerksamkeit sicher etwas zurückgegangen.
Doch auch ich kann mich nur über diesen Artikel wurnder, denn ich habe einige gute Bekannte die in der Leiharbeitsbranche tätig sind/waren. Und hier konnte keiner von einer Festanstellung berichten. Niemand sprach von gleichwertigen Arbeitsbedingungen. Teilweise wurden sogar unter 7€/Std. gezahlt! Urlaub etc. wurde häufig nicht oder nur widerwillig bewilligt! Wurde die Arbeit beim entleihenden Betrieb knapp so wurde von Seiten der Leiharbeitsfirma oft versucht mit windigen Begründungen den Arbeitnehmer loszuwerden usw. usw.
Also ich kann niemand dazu raten in Zeitarbeit zu arbeiten oder diese weiter zu fördern. Sie ist eine beispiellose Abzocke, die das unternehmerische Risiko zu Großteilen auf den Beschäftigten verlagert u. ihn dafür noch schlechter bezahlt als die "normalen" Kollegen.
Deshalb gehören meiner Ansicht nach auch die Arbeitsagenturen an den Pranger gestellt. Sind Sie es doch die immer mehr Leute in Zeitarbeit vermitteln, spezielle junge Leute. Von denen vielen noch nie eine feste Anstellung (Ausbildung ausgenommen) hatten, von denen viele noch nie von ihrem Lohn leben konnten.... Nur weil die ARbeitsagenturen zu faul sind/waren um diesen Leuten vernünftige JObs zu besorgen, schoben sie die Menschen in Massen an die Verleiherfirmen ab, die hatten komischerweise ja Arbeit. Damit wird und wurde eine unzufriedene Generation geschaffen, die von den Unternehmen und der Poltitk Tag für Tag verarscht und abgezockt wird.
Fazzo
Gast
Leider gibt es bei Leiharbeiterfirmen nicht nur gut geschultes Personal; oft ist das Gegenteil der Fall. In mehreren städtischen Kliniken in Stuttgart werden in vielen Dienstleistungsbereichen (Empfangs-, Reinigungs-, Transportdienste, etc.) seit Jahren sogenannte Leasingkräfte eingesetzt. Offiziell sollen damit die angeblich viel höheren Lohnkosten der städtischen Mitarbeiter eingespart werden. Daher werden gezielt Firmen gesucht, die solche Dienstleistungen so billig wie möglich anbieten. Die Mitarbeiter dieser Firmen arbeiten dann jahrelang für sehr geringe Löhne und sind oft weder motiviert noch qualifiziert. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber da sie keine Aussichten auf eine Übernahme haben, bleiben diese meist nicht lang und finden woanders eine (gerechter bezahlte) Festanstellung. Man bekommt das Gefühl, solche Leiharbeiterfirmen - in diesem Fall aus den Branchen Sicherheits- und Reinigungsdienste - stellen jeden ein, der sich bewirbt, und vermitteln ihren Kunden einfach irgendwen, da die Qualität der Dienstleistung entweder gar nicht von diesen kontrolliert wird oder sogar zweitrangig ist, weil der Sparfaktor im Vordergrund steht. Meiner Meinung nach dient sogenannte Zeitarbeit sehr häufig nur zum Zwecke des Lohndumpings, des Aushebelns von Tarifverträgen und der Umverteilung von Geld von unten nach oben. Sicherlich kann es auch für die Beteiligten von Vorteil sein, wie dieser Bericht zeigt, aber ganz sicher gilt das nicht für den Öffentlichen Dienst, wo sich die Inhaber von Zeitarbeits- und Leiharbeiterfirmen sowie andere private Dienstleister auf Kosten des Öffentlichen Wohls eine goldene Nase verdienen, und dabei von Entscheidungsträgern in Städten, Kommunen und deren Eigenbetrieben tatkräftig unterstützt werden.
Hans
Gast
Ich habe vor vielen Jahren ca. 3 Jahre für eine Leihfirma gearbeitet. Wenn ich diesen Bericht so lese, muss sich ja inzwischen sehr viel geändert haben. Das liest sich ja, wie das reinste Paradies. Ich kenne keinen einzigen Leiharbeiter, der wie der in dem Artikel genannte Schlosser, den Tariflohn des Entleiherunternehmens (ohne Sonderzahlungen) erhält.
Man hat mich damals trotz Facharbeiterbrief als Helfer eingestellt.
Der Arbeitsvertrag hatte eine Menge seltsamer Klauseln, die ich damals nicht richtig verstand und mir das Gefühl gaben, dass ich mich nun komplett selbst verkauft hatte...
Meine Tätigkeit war sehr vielfältig, von Facharbeitertätigkeiten bis Bandarbeiten. Wenn das Entleiherunternehmen bereit war, verhältnismäßig gut zu zahlen, bekam ich einen Zuschlag zu meinem Normalstundenlohn, der anfangs 11,- DM/h, nach einer Lohnerhöhung dann 11,60 DM/h betrug. Dazu kamen noch mit 40,- DM/Woche ein steuerfreier Zuschlag, der als "Verpflegungsmehraufwand" bezeichnet wurde. Dieser wurde nur bezahlt, wenn während des Monats keine Klagen vom Verleiher kamen und man nicht krank und immer pünktlich war. Die Arbeitsbedingungen waren so unterschiedlich, wie die Entleiherunternehmen, von "unter aller S.." bis ausgezeichnet. In der Lebensmittelindustrie "durfte" man z.B. meistens seine Straßenkleidung an einem Fleischerhaken im Flur aufhängen. Umkleideschränke und Duschen gab es nur für Festangestellte.
Auf mancher Baustelle gab es nur einen Wasseranschluss, den man sich mit Betonmischern und anderen Leuten teilen musste. Einige Unternehmen haben trotz ordentlicher Arbeit ständig Ärger gemacht, um den Preis zu drücken. In diesem Fall fiel einem dann auch noch das "eigene" Unternehmen in den Rücken. Ärger ging nach meiner Erfahrung immer zuungunsten der Leiharbeiter aus. Und natürlich gab es extrem unangenehme, ungesunde und z.T. auch lebensgefährlich Arbeiten.
Wenn man, wie ich damals, mehrere Jahre in so einem Leihunternehmen tätig war, dann hatten sich in der Regel mehrere Entleiherfirmen herauskristallisiert, die einen mehr oder weniger regelmäßig namentlich angefordert hatten. Da konnte sich manchmal ein Übernahmeangebot entwickeln. Mich wollte z.B. eine Großbäckerei übernehmen, für 9,98 DM/h. Das habe ich dankend abgelehnt. Ich in einem Lebensmittellager wurde ich ebenfalls aufgefordert, mich zu bewerben. Der gebotene Lohn wäre ganz ordentlich gewesen. Aber meine dann zukünftigen Kollegen hatten von mir erwartet, dass ich mich nahtlos einordne und 3-4 mal pro Woche mit ihnen nach der Arbeit "einen Trinken" gehe. Auch da habe ich dankend abgelehnt...
Viele Unternehmen hatten einen bestimmten Anteil der Arbeitsplätze in ständige Leiharbeitsplätze umgewandelt.
Leiharbeiter, die gelegentlich nicht verliehen werden konnten, hatten ganz schnell die Kündigung im Briefkasten.
Inzwischen arbeite ich seit Jahren in einem soliden Unternehmen, für ein annäherndes Durchschnittsgehalt als Facharbeiter.
Nach all den Erfahrungen vorher bin ich jetzt relativ zufrieden. Diesen Job habe ich aber nicht über die Leiharbeit gefunden.
Mal ein Wort zu den Gewerkschaften: Anfangs wollten die mit Leiharbeit gar nichts zu tun haben. Dann haben sie z.T. mit Hungertarifverträgen in die andere Richtung ausgeschlagen. Ich bin der Meinung, dass sich die Gewerkschaften durchaus um Leiharbeit kümmern und u.U. auch Tarifverträge abschließen sollten, doch nicht um jeden Preis! Manche Leiharbeiter mit Tarifvertrag "verdienen" heute weniger, als ich vor vielen Jahren dort...